Interview

»Israel ist oft Feindbild«

Befördert Gangsta-Rap antisemitische Einstellungen bei jungen Hörern? Welche Auswirkungen haben Zeilen wie »Mein Körper definierter als von Auschwitz-Insassen« oder Texte, in denen zum Dschihad in Tel Aviv aufgerufen wird? Und wie sollten Lehrer damit umgehen, wenn ihre Schüler judenfeindliche Songs hören? Das sind die zentralen Fragen eines großen Forschungsprojekts, das die nordrhein-westfälische Antisemitismusbeauftragte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger vor zwei Jahren beim Bielefelder »Zentrum für Prävention und Intervention im Kindes- und Jugendalter« in Auftrag gab. Nun liegen die Ergebnisse der empirischen Studie vor. Mehr als 2000 Einzelinterviews und Gruppengespräche führten die Forscher, unzählige deutsche Rap-Songs werteten sie für ihr Projekt aus. Der Politikwissenschaftler Jakob Baier war an dem Forschungsprojekt maßgeblich beteiligt. Ein Gespräch über die Wirkung von umstrittenen Rappern wie Bushido und Kollegah, positive Beispiele und Handlungsempfehlungen für Politiker.

Herr Baier, befürworten junge Hörer von Rappern wie Bushido, Kollegah und Farid Bang häufiger antisemitische Urteile als Gleichaltrige, die andere Musik hören?
Ja, das ist ein zentrales Ergebnis unserer Studie. Wir können einen messbaren Zusammenhang zwischen Gangsta-Rap-Konsum und antisemitischen Neigungen sowie zwischen Gangsta-Rap-Konsum und misogynen Neigungen belegen. Jugendliche Gangsta-Rap-Hörer tendieren im Schnitt also eher zu antisemitischen und misogynen Einstellungsmustern als solche, die keinen Gangsta-Rap hören.

Liefert Ihre Studie Erkenntnisse zu der Frage, was zuerst da war: die Neigung zu judenfeindlichen Äußerungen oder die Präferenz für Rap?
Das lässt sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen. Wir haben in unserer Studie eine Korrelation messen können. Über das Kausalverhältnis von Musikkonsum und antisemitischen Neigungen können wir jedoch keine Aussage treffen. Als Jugendforscher beschäftigen wir uns intensiv mit dem komplexen Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren, die im Prozess der Identitätsbildung und Politisierung von Jugendlichen wirksam werden. Der Musikkonsum kann dabei eine Einflussgröße von vielen sein, auch hinsichtlich der Ausbildung von menschenfeindlichen Einstellungen. Dies muss Gegenstand weiterer Forschungen sein.

Die Frage, wie antisemitisch der deutsche Rap ist, wird immer wieder viel diskutiert. Können Sie die Frage nun beantworten, etwa ganz konkret mit Blick auf den israelbezogenen Judenhass?
Seit Beginn der 2010er-Jahre lässt sich eine deutliche Zunahme von Liedern beobachten, in denen der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern thematisiert wird. Das sind größtenteils eher schlagwortartige Bezugnahmen, wie etwa Liedzeilen, in denen »Free Falastin« auftaucht. Manche Rapper veröffentlichen aber auch ganze Lieder über den Konflikt. Einige von ihnen sind Palästinenser und haben selbst familienbiografische Bezüge zur Region. Doch auch andere Rapper beziehen sich darauf. Vor dem Hintergrund, dass andere politische Konflikte im deutschsprachigen Rap vergleichsweise unterrepräsentiert sind, kann man hier durchaus von einer Überthematisierung des Nahost-Konflikts sprechen. In einzelnen Liedern, Musikvideos und Social-Media-Statements wird Israel oft als Feindbild herangezogen und in Verschwörungserzählungen eingebunden.

In jüngster Zeit gab es auch von deutschen Rappern immer wieder Zustimmung zur QAnon-Bewegung. Welche Erkenntnisse haben Sie hierzu gewinnen können?
Am Anfang der Corona-Pandemie sind einzelne Rapper und Hip-Hop-YouTuber mit der Verbreitung von Verschwörungsmythen aufgefallen, die auch unter QAnon-Anhängern kursieren. Die Kritik an diesen Äußerungen kam damals teilweise sogar von Rappern und Hip-Hop-Journalisten selbst. Heute gibt es einzelne Podcast-Formate, in denen Verschwörungsmythen geäußert und verbreitet werden. Insofern spielt auch das eine große Rolle.

Im Jahr 2018 sorgten die Rapper Kollegah und Farid Bang für eine große Antisemitismus-Debatte. War diese Kontroverse, die der Zentralrat der Juden als Schlag ins Gesicht der jüdischen Gemeinschaft bezeichnet hatte, ausschlaggebend für Ihre Studie?
Sicherlich hat diese Debatte die Notwendigkeit einer solchen Studie unterstrichen. Das Problem des Antisemitismus im Gangsta-Rap geht aber über Kollegah hinaus. Und zwar weit.

Antisemitische Textstellen werden vom deutschen Feuilleton gerne bisweilen relativiert oder romantisiert. Wie bewerten Sie die Rezeption solcher Lines?
Das Problem besteht aus meiner Sicht weniger in einer Romantisierung als darin, dass selbst antisemitische Texte gerne mit Verweis auf die Kunstfreiheit verteidigt werden und dass außerdem nur dann ein Skandal entsteht, wenn sich eine Textzeile auf den Nationalsozialismus bezieht – nicht aber, wenn aktueller Antisemitismus darin aufscheint.

Ein Ergebnis Ihrer Studie ist, dass antisemitische Lines mit frauenfeindlichen und gewaltverherrlichenden korrelieren, nicht aber mit rassistischen Aussagen. Das überrascht …
Das Verhältnis von antisemitischen und rassistischen Einstellungen wird derzeit auch im Fachdiskurs erörtert. Dieses Teilergebnis unserer Studie lässt sich als Hinweis darauf deuten, dass antisemitische Einstellungsmuster vertreten werden können, ohne dass gleichzeitig eine Affinität zu rassistischen Einstellungen besteht.

Aus welchem Grund ist Ihrer Einschätzung nach Gangsta-Rap so attraktiv für junge Hörer? In den deutschen Charts ist es das Genre mit der größten Reichweite.
Es erscheint naheliegend, dass Jugendliche in einer bestimmten Phase ihres Lebens für vereinfachende Welterklärungsmuster ansprechbar sind, wie man sie im Gangsta-Rap sehr häufig findet. Gangsta-Rapper inszenieren sich zudem als Personen, die sich aus widrigen Umständen den Weg nach ganz oben erkämpft haben und dabei zu Reichtum und sozialer Anerkennung gelangt sind. Auch diese Erzählung erscheint vielen Jugendlichen attraktiv, weil sich darin häufig ihre eigenen Anerkennungswünsche und Aufstiegsaspirationen spiegeln. Wenn Rapper dann behaupten, sie würden unbequeme Wahrheiten aussprechen, weil man Politik und Medien nicht trauen könne, dann kann das diesen Jugendlichen plausibel erscheinen. Zumindest zeigen unsere Interviews, dass ein relevanter Teil von ihnen Gangsta-Rapper als authentische Sprecher wahrnimmt.

Gibt es auch positive Beispiele aus dem Gangsta-Rap?
Gangsta-Rapper sind in ihrer Selbstinszenierung häufig ambivalent. Nicht selten finden sich in der Musik einzelner Rapper sowohl positive als auch negative Aspekte.

An welchen Rapper denken Sie?
»Haftbefehl« thematisiert in seiner Musik beispielsweise sehr persönliche Themen, wie etwa die ökonomische Ausgrenzung und die soziale Randständigkeit von jungen Menschen in prekarisierten Wohnvierteln sowie eigene Erfahrungen mit Depression. Viele Jugendliche – ob aus ähnlichen Verhältnissen oder nicht – können sich damit identifizieren. Sie erkennen in ihm ein Sprachrohr für eigene Diskriminierungserfahrungen. In älteren Liedern finden sich allerdings auch Verschwörungserzählungen, die antisemitisch aufgeladen sind.

Was folgt daraus?
Die gilt es mit aller Entschiedenheit zu kritisieren. Jugendliche müssen lernen, solche Widersprüche zu erkennen und auszuhalten. So können sie eine kritische Haltung zum Idol einnehmen und möglicherweise auch mit anderen Widersprüchen umgehen, denen sie in der Gesellschaft begegnen.

Geben Sie mit Ihrer Forschungsgruppe Lehrern oder Eltern Handlungsempfehlungen, wie sie reagieren sollten, wenn die Jugendlichen antisemitischen Rap hören?
Wir wissen aus der Forschung, dass Jugendliche selten ein geschlossenes Weltbild vertreten. Sie sind also für Intervention und Prävention erreichbar. Politisch-historische Bildung ist weiterhin unabdingbar, sie ist aber nicht das einzig wirksame Mittel.

Sondern?
Vielmehr müsste Jugendlichen ein grundlegendes Wissen über Verschwörungsideologien vermittelt werden. Sie müssen also in die Lage versetzt werden, diese zu erkennen. Außerdem müssten sie in ihrer Medienkompetenz gestärkt werden, sodass sie lernen, zwischen seriösen und unseriösen Quellen zu unterscheiden. Mit Blick auf den Gangsta-Rap bringt es nichts, dieses Genre zu dämonisieren und jugendlichen Hörern mit erhobenem Zeigefinger zu begegnen …

Toleranz für lupenreinen Antisemitismus?
Auf keinen Fall. Aber zunächst gilt es, Verständnis für die Lebenswelt von Jugendlichen zu entwickeln. Es ist wichtig zu verstehen, warum sie Gangsta-Rap hören und was sie daran attraktiv finden. Es gilt also, Sprachbarrieren abzubauen. Erst dann kann man mit Jugendlichen ins Gespräch kommen und kritisch mit ihnen über Inhalte diskutieren. Eine klare Haltung gegen Antisemitismus, Misogynie und Rassismus ist dabei unabdingbar.

Das Interview mit dem Politikwissenschaftler führte Philipp Peyman Engel.

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