Frau Magén, Sie haben Ihrem neuen Roman »Zuversicht« das folgende Motto vorangestellt: »Der Mensch steht auf und fällt, steht auf und fällt.« Was bedeutet Ihnen dieser Satz?
Für mich macht diese Beschreibung den Menschen und unser Leben aus. Wir alle erleiden Krisen, wir alle kommen im Laufe unseres Lebens an diesen einen Punkt, an dem wir sagen: Ich schließe ab mit allem, es geht nicht mehr weiter, und ich möchte auch nicht, dass es weitergeht. Und dann passiert etwas Bemerkenswertes: Sehr häufig, nicht immer, aber doch erstaunlich oft geht es dann doch weiter. Die Freude, das Lachen, der Sinn kehren irgendwann langsam wieder zurück. Davon wollte ich in meinem neuen Buch Zuversicht erzählen.
Die Heldin in Ihrem Buch verliert alles: ihren geliebten Ehemann, ihren kleinen Sohn, ihre Zuversicht.
Ja, Nava ist gerade einmal 39 Jahre alt, aber sie versucht von da an, sich mit aller Kraft, die ihr geblieben ist, jeder Zukunft zu verweigern. Sie beschließt, in einem Altersheim für den Rest ihres Lebens auf den Tod zu warten. Wider Erwarten, nach langer Zeit und ohne dass sie sagen könnte, warum, gelangt sie zurück in den Fluss des Lebens. Ihr Schmerz ist noch da, er ist nicht weniger geworden und wird auch nie schwächer werden, aber plötzlich spürt sie wieder so etwas wie Hoffnung.
Die Reaktionen auf das Buch waren in Israel gewaltig. Wie erklären Sie sich das?
Es stimmt, ich habe so viele Mails und Anrufe bekommen wie noch nie. Ich glaube, dass sich viele Leser mit Nava identifizieren können. Manche von uns laden im Laufe ihres Lebens Schuld auf sich, die sie sich selbst niemals verzeihen. Mit dieser Strafe müssen sie dann leben. Sie denken, dass diese Situation für immer anhalten wird. Andere wiederum stehen an diesem einen Punkt, an dem es nicht mehr weiterzugehen scheint. Aber das tut es doch. Eine Leserin erzählte mir davon, wie ihre achtjährige Tochter an Blutkrebs starb. Vor einiger Zeit las sie mein Buch und meinte, sie hoffe, es gehe ihr wie Nava. Allein durch das Buch habe sie etwas Zuversicht geschöpft. Nichts wird wieder gut, sagte sie. Aber zu dem Schmerz gesellte sich überraschenderweise so etwas wie Lebenssinn.
Gab es in Ihrem Leben einen ähnlichen Moment?
Ich bin in einer sehr orthodoxen Familie aufgewachsen. Es war eine Katastrophe für sie, als ich Schriftstellerin wurde. Ein Teil meiner Familie lehnt mich bis heute ab. Nach dem Motto: »Es gibt die Tora – warum noch ein Buch schreiben?« Um mich selbst zu verwirklichen, musste ich sie enttäuschen. Und jetzt raten Sie mal, dieses Pessach feiere ich den Seder nach langer Zeit mit ebenjenem Teil der Familie, der sich geschworen hatte, nie wieder Kontakt mit mir zu haben.
Wer Gott zum Lachen bringen will, muss nur einen Plan machen, heißt es ...
So ist es. Ich beschäftige mich viel mit diesen Fragen. Ich würde sagen, dass ich den orthodoxen Weg nie verlassen habe. Wir wissen nicht, welche Rolle und welche Handlung in unserem Leben vorgesehen ist. Ich glaube aber fest daran, dass beides gut sein wird – auch wenn wir es nicht als solches erkennen können.
Das Gespräch mit der israelischen Schriftstellerin führte Philipp Peyman Engel.
Am 11. April liest Mira Magén im Rahmen der Deutsch-Israelischen Literaturtage in Berlin aus ihrem neuen Roman und diskutiert mit Clemens Meyer über das Thema »Gerechtigkeit«.
www.goethe.de/literaturtage