Herr Peterfalvi, Sie haben seit 2017 die deutsche Staatsbürgerschaft, sind also im verflixten siebten Jahr: Wie geht es Ihnen in dieser Beziehung?
Ich hätte an dieses Datum gar nicht mehr gedacht, aber es geht mir gut. Ich habe diesen Schritt, Deutscher zu werden, keine einzige Sekunde bereut. Es war ein langer Prozess, und ich habe mich ebenso lange gefragt, ob ich es tun will oder nicht. Ehrlicherweise muss ich sagen, dass ich den Stein vielleicht gar nicht ins Rollen gebracht hätte, wenn nicht Olaf Scholz, der damals Bürgermeister von Hamburg war, mir diesen Brief geschickt hätte.
Was stand darin?
Sie sind so lange in Deutschland. Haben Sie nicht Lust, Deutscher zu werden? Ich war sehr geehrt, so einen Brief persönlich vom Ersten Bürgermeister zu bekommen. Später habe ich erfahren, dass er diesen Brief auch noch an 150.000 andere Leute geschickt hatte. Also, so persönlich war er doch nicht. Egal. Damit begann für mich ein innerer Prozess, und schließlich bin ich dann deutscher Staatsbürger geworden.
Dieser innere Prozess, den Sie angesprochen haben, hat mit Ihrer Familiengeschichte zu tun, insbesondere mit der Ihrer Großmutter Erica Grünfeld. Wer war sie?
Meine Großmutter war eine großartige Frau. Und die ganze Geschichte, wie und warum ich Deutscher geworden bin, warum es ebenso lange gedauert hat, bis ich mich entschied: »Ja, ich will es machen«, alles das hat viel mit ihr zu tun. Weil meine Großmutter in Auschwitz war, und sie hat es überlebt. Als ich die Gelegenheit bekam, Deutscher zu werden, habe ich mich einfach gefragt: Was hätte sie gesagt? Hätte sie gesagt: »Ja, mach das« oder »Mach das bloß nicht« oder was auch immer. Ich konnte sie ja nicht mehr fragen. Sie lebte nicht mehr. Ich habe aber sehr viel an sie gedacht und angefangen zu schreiben. Daraus wurde ein Theaterstück, über meine Einbürgerung. Und über meine Großmutter. Das Stück heißt: »Alfons – Jetzt noch deutscherer«.
In Ihrem Bühnenstück geht es auch um eine Plastikfliege. Was hat die mit Ihrer Großmutter zu tun?
Meine Großmutter war nicht nur eine großartige Frau. Sie hatte auch viel Humor. Diese Fliege war etwas, was für sie sehr wichtig war. Sie hatte diesen Scherzartikel, eine Plastikfliege mit einem Magneten dahinter, und sie hat sie oft in der U-Bahn oder wenn sie unterwegs war, angeheftet und ihren Spaß damit gehabt; wenn sie mit ihrer Fliege redete, wenn sie sich bewegte. Ab und zu gab es jemanden, der darauf hereinfiel und fragte: »Wie machen Sie das?« Und das war für meine Großmutter das Großartigste der Welt. Ich glaube, es konnte ihr nichts Besseres passieren als jemand, der auf ihre Plastikfliege hereingefallen war. Sie rief mich an und sagte: »Weißt du was? Schon wieder ist einer hereingefallen.« Und so war sie: Sie hatte ein schweres Schicksal, konnte sich aber trotzdem über sehr kleine Dinge freuen. Und das ist groß.
Wussten Sie schon als Kind, dass Ihre Großmutter in Auschwitz war?
Ja, sie hat ganz offen darüber gesprochen. Sie hatte ja auch eine tätowierte Nummer auf ihrem Arm. Das konnte ich nicht übersehen. Das sind möglicherweise sogar die ersten Zahlen, die ich in meinem Leben gesehen habe. Sie hatte einen gewissen Stolz, glaube ich, dass sie überlebt hat – und dass ich da war. Für sie war das wie: »Die haben nicht gewonnen. Das Leben geht weiter.« Insofern habe ich es immer gewusst. Ich war auch sehr neugierig, habe ganz viele Fragen gestellt, und meine Großmutter hat auch immer geantwortet. Jedes Jahr trafen sich die Überlebenden in Paris. Ich war oft dabei, für mich als Kind war das ein toller Termin, denn ich durfte bei einer Tombola Lose verkaufen. Die Erlöse gingen an Bedürftige des Vereins. Ich kann mich auch sehr gut an Dinge erinnern, die mich sehr bewegt haben.
Welche Momente waren das?
Bei diesen Treffen gab es ein Mikrofon. Und immer wieder traten Menschen an dieses Mikrofon und sagten Nummern durch oder Wörter wie »Konvoi Nummer …«. Gibt es jemanden, der auch in diesem Konvoi war? Oder Baracke soundsoviel. War jemand auch in dieser Baracke? Ich habe heute noch Tränen in den Augen, wenn ich darüber spreche, weil es unglaubliche Szenen waren, wenn sich die Menschen dann wiedersahen. Erkennst du mich? Ich bin soundso … Es dauerte ein paar Sekunden, und dann fielen sie sich in die Arme. Ich fand das immer sehr beeindruckend. Diese Treffen der Überlebenden waren eine Mischung aus Kuchenessen, Tombola-Lose-Kaufen und diesen sehr schweren, zutiefst menschlichen Dingen.
Sie haben ein Projekt mit Schülerinnen und Schülern. Was genau tun Sie da?
Es waren eigentlich Lehrkräfte, die »Alfons – Jetzt noch deutscherer« privat gesehen hatten und mir dann sagten: »Meine Schüler müssen das unbedingt sehen.« Also habe ich ihnen angeboten, dass sie gern vorbeikommen können, und eine Lehrerin hat extra einen Bus gemietet. Ich hatte mir überlegt: Wenn sie das wirklich machen, den Aufwand, aus einer anderen Stadt anzureisen, das Stück zu sehen, dann fahre ich mit ihnen zurück und komme am nächsten Tag in die Schule und treffe die Schülerinnen und Schüler. Es war super! Es ist übrigens ein Stück, bei dem man viel lacht. Logischerweise gibt es auch Momente, in denen man gar nicht lacht. Aber es ist diese Mischung aus ernst und lustig. Und die Jugendlichen haben diesen Wechsel sehr genossen.
Als Sie den jungen Leuten von Ihrer Großmutter erzählt haben – wie haben die Schüler reagiert?
Sie waren vom Stück und vom Schicksal meiner Großmutter sehr, sehr bewegt, sie stellten sehr kluge Fragen, die ich teilweise gar nicht beantworten konnte. Ich war erstaunt, dass die Schüler so viel wussten, aber die Klasse hatte sich vier Wochen darauf vorbereitet. Daraus ist dann mein Schulprojekt entstanden. Wenn ich in einer Stadt mit diesem Stück auftrete, dann können Schulen der Stadt und der Region Karten bekommen. Aber: Das ist keine Schulvorstellung, sondern – und das ist mir ganz wichtig – es sind auch ganz normale Zuschauer da. Und am nächsten Tag gehe ich in deren Schule und rede mit den Jugendlichen. Mittlerweile ist daraus ein richtiger Workshop geworden – über Toleranz, Offenheit und vor allem über Demokratie.
Wie kam es dazu?
Ich hatte gelesen, dass 40 Prozent der Jugendlichen sagen, dass Demokratie gar nicht so wichtig ist und sie gern einmal etwas anderes ausprobieren wollten. Irgendetwas mit einem starken Mann oder so etwas. Dadurch habe ich mich sehr motiviert gefühlt zu sagen: »Schaut mal, wohin das führt. Das ist kein Spiel, das ist auch keine Sache, die man einfach mal kurz ausprobieren kann – es gibt keine Schnupperstunde für Diktatur. Wenn man drin ist, ist man drin.« Das ist immer ein sehr interessanter Austausch mit den Jugendlichen. Ich versuche, mit ihnen gar nicht so viel über die Vergangenheit zu sprechen. Sie haben natürlich immer Fragen, über meine Großmutter, über Auschwitz, die ich auch gern beantworte, aber mir geht es eher darum zu erkunden: Was machen wir daraus? Was machen wir daraus für unser Heute und für unser Morgen?
Wie nehmen Sie die Stimmung bei den Jugendlichen wahr?
Die Stimmung – nicht nur bei den Jugendlichen – macht mir Sorgen. Ich spüre eine Verschlechterung des Miteinanderlebens. Und ich glaube, es hat viel mit den sozialen Medien zu tun. Social Media ist für viele Jugendliche die einzige Informationsquelle, und genau dort findet sehr viel Desinformation und Manipulation statt. Aber auch außerhalb von Social Media sieht man, dass es eine Entwicklung hin zu vielen autoritären und illiberalen Regimen gibt und dass viele Tabus explodieren. Die Kommunikation untereinander bewegt sich in eine eigenartige Richtung. Ein Grund, weswegen ich damals in Deutschland geblieben bin, war, weil ich fand, dass das Zusammenleben in Deutschland sehr erwachsen, sehr reif ist. Der Respekt vor anderen Menschen, die Suche nach Kompromissen, das konstruktive Miteinander, das hat mir wirklich gut gefallen und mich auch fasziniert.
Ist es in Frankreich so viel anders?
Ja, es ist ein Kampf gegeneinander. Es ist immer so: Ich zeige, dass ich mehr Muskeln habe, mehr Macht oder dass ich dich einfach mal vernichten kann, wenn ich will. Das merkt man auch schon bei kleinen Dingen – wie beim Autofahren. Schauen Sie sich die Verhandlungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern in Frankreich an: Es ist immer ein Kampf, nicht wie in Deutschland: »Wir setzen uns an einem Tisch und suchen nach einer Lösung.« Es ist ein »Wenn ich kann, blockiere ich das ganze Land, und wenn du auf der anderen Seite bist, mache ich dich richtig klein«. Also, es ist sehr anders in Frankreich.
Geht dieses respektvolle Miteinander, das Sie in Deutschland beobachten, langsam verloren?
Es entwickelt sich zumindest nicht in eine gute Richtung. Ich habe aber Hoffnung, dass wir das erkennen. Es gibt so viele positive Beispiele, die man einfach nicht beachtet. Und es ist auch mein Job, dass ich in meiner Fernsehsendung, in meinen Bühnenprogrammen sage: Lass uns auf die positiven Dinge schauen. Denn nur Social Media zu sehen, das macht wütend und zornig. Das ist gut für deren Geschäft, weil wir das kommentieren, teilen et cetera. Nur, welche Konsequenz das für eine Gesellschaft hat, ist leider absehbar. Deswegen ist es mir so wichtig, dass die Jugendlichen miteinander sprechen und ich ihnen ein bisschen zuhören kann, denn auf der Bühne spreche ich sehr viel, und sie hören mir zu. Wenn wir über Dinge wie Demokratie reden, dann gibt es am Ende immer noch Schülerinnen und Schüler, die vielleicht unterschiedlicher Meinung sind, aber: Sie haben einander zugehört. Sie haben die Meinung des anderen zwar nicht geteilt, aber vielleicht besser verstanden. Und ich sage denen: Wisst ihr, was wir gerade erlebt haben? Demokratie! Und zwar sich austauschen, auch kritisieren, aber auf jeden Fall zuhören. Ich möchte dieses Projekt, das ich mit den Schülern mache, weiterentwickeln.
In welche Richtung?
Ich gründe derzeit eine gemeinnützige Organisation, damit wir Spenden annehmen können. Die Idee ist, ein Netzwerk für Jugendliche aufzubauen, damit sie etwas gemeinsam machen. Etwas, das wächst und auch bleibt. Insofern: Jeder, der das hier liest: Fühlen Sie sich frei zu spenden.
Wie blicken Sie nach so viel Jahren in Deutschland auf Frankreich?
Es gibt Dinge, die mich extrem nerven, und es gibt andere Dinge, die ich sehr genieße. Die sehe ich viel mehr als vorher. Wenn man in einem anderen Land ist, nimmt man das Ursprungsland ganz anders wahr – genauer.
Seit dem 7. Oktober 2023 ist auch in Frankreich – wie in vielen anderen Ländern ebenso – der Antisemitismus massiv angestiegen. In Frankreich ist er allerdings schon immer sehr hoch gewesen. Haben Sie darauf eine Antwort?
Wenn man das wüsste, könnte man vielleicht etwas dagegen tun, aber ich weiß es nicht. Das sind Dinge, bei denen ich ratlos bin. Aber in allen Richtungen, nicht nur, was Antisemitismus angeht, auch Rassismus, Kriege. Wir Menschen sind doch eigentlich so intelligent, wir können sogar ins All fliegen, aber wir können nicht respektvoll, tolerant und in Frieden miteinander leben – egal, welche Hautfarbe oder Religion wir haben. Das macht mich so ratlos! Irgendetwas ist defekt bei uns. Das war übrigens auch ein ganz großes Thema für meinen Großvater. Also väterlicherseits. Bisher habe ich von meiner Großmutter mütterlicherseits gesprochen. Aber auch väterlicherseits, dort war es mein Großvater, gab es einen Auschwitz-Überlebenden. Ich komme aus einer Familie, die diesbezüglich einiges auf die Nuss gekriegt hat. Als er zurückkam, war er innerlich richtig kaputt. Wie soll es auch anders gehen? Er hat zwar sein Leben irgendwie normal weitergeführt. Er hat einen Job gehabt – einen guten.
Was war er?
Er war ein relativ hochrangiger Forscher in der Pharmaindustrie. Aber ich glaube, das hat ihn alles nicht mehr wirklich interessiert. Was ihn interessiert hat, ist, zu versuchen zu verstehen, was da passiert war. Wie konnte das passieren? Wie? Wie sind wir Menschen strukturiert, dass so etwas passieren kann? Meine Großmutter hat das ganz anders betrachtet. Sie sagte: »Ich will, dass so etwas nie wieder passiert.« Sie hat übrigens die Deutschen nie gehasst. Sie wollte die Deutschen nicht hassen. »Das Einzige, was ich will, ist, dass so etwas nie wieder passiert«, das waren ihre Worte.
Mit dem Comedian sprach Katrin Richter.