Israel ist immer noch eine »Insel der Stabilität in einem Meer der Unsicherheit«, wie es Staatspräsident Schimon Peres kürzlich formulierte. Doch wie lang wird es dauern, bis das Chaos, das sich in der Folge der arabischen Revolutionen und des Bürgerkriegs in Syrien in der arabischen Welt ausbreitet, auch die Sicherheit des jüdischen Staates in Mitleidenschaft zieht?
Um über diese und ähnliche Fragen zu diskutieren, hatten Sabena Donath und Doron Kiesel, Leiterin und Wissenschaftlicher Direktor der Bildungsabteilung des Zentralrats der Juden, in diesem Monat zum Seminar »Krieg und Frieden. Politische Perspektiven in Israel und der arabischen Welt« eingeladen. Rund 90 Interessierte aus ganz Deutschland waren nach Berlin gereist, um die Vorträge und Podiumsdiskussionen anzuhören und an themenbezogenen Workshops teilzunehmen.
Noam Zadoff, bis vor Kurzem Inhaber des Ben-Gurion-Gastlehrstuhls für Israel- und Nahoststudien an der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg und seit diesem Semester Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Ludwig-Maximilians-Universität München, führte mit einem Vortrag über die Antwort israelischer Intellektueller auf den Sechstagekrieg 1967 in die Tagungsthematik ein. Am Beispiel von Moshe Shamir und Uri Avnery zeigte Zadoff exemplarisch zwei extreme Reaktionen von Rechts und von Links. Eine Teilnehmerin aus dem Publikum, Leonarda Lüben, machte allerdings darauf aufmerksam, dass Uri Avnery vor allem im Ausland rezipiert werde und in der innerisraelischen Diskussion eher marginal sei.
Allianz Kontrovers debattiert wurde auch am nächsten Morgen, als der Historiker Dan Diner die Umwälzungen in der arabischen Welt als sunnitische Revolte um die Vorherrschaft im Islam deutete und eine mögliche zukünftige Allianz zwischen Israel und dem schiitischen Iran gegen den Vormarsch der Sunniten in Aussicht stellte. Was den israelisch-palästinensischen Konflikt betrifft, gab sich Diner pessimistisch. Jede Lösung müsse daran scheitern, dass beide Seiten unverhandelbare, nicht kompromissfähige Forderungen hätten. Dennoch solle Israel die Siedlungen im Westjordanland räumen – nicht aber die Besatzung, denn die sei aus Sicherheitsgründen weiterhin notwendig.
Der Politikwissenschaftler Meron Benvenisti, in den 70er-Jahren unter Teddy Kollek Vize-Bürgermeister von Jerusalem, machte im Gespräch mit Noam Zadoff einen originellen Vorschlag, die israelisch-palästinensischen Beziehungen betreffend: Da weder die Israelis das Westjordanland noch die Palästinenser ihr »Rückkehrrecht« nach Israel aufgeben möchten, sei eine Zwei-Staaten-Lösung ausgeschlossen. Stattdessen, so der 79-Jährige, sei die einzig gangbare Möglichkeit eine »binationale Einheit« (den Ausdruck »Staat« vermied er), in dem die Rechte beider Völker durch eine Art Statut garantiert sein müssten. Benvenisti räumte allerdings ein, dass diese Utopie schon daran scheitern würde, dass die Palästinenser nicht bereit seien, die bloße Existenz von Israelis in der Region zu akzeptieren. Letztendlich, so Benvenisti, laufe der Status quo aber darauf hinaus, dass die Palästinenser im Westjordanland mehr und mehr wie arabische Israelis würden und irgendwann gleiche Bürgerrechte bekommen müssten.
Status quo Von solchen Zukunftsvisionen waren Eldad Beck und Shimon Stein weit entfernt. Stein, der frühere israelische Botschafter in Berlin, bekannte sich klipp und klar zur Zwei-Staaten-Lösung, während Beck, Deutschlandkorrespondent von Yedioth Ahronoth und Autor dieser Zeitung, argumentierte, der Status quo sei derzeit die beste Lösung sowohl für Israelis als auch für Palästinenser. In einem Palästinenserstaat käme sofort die Hamas an die Macht, das würde niemandem nützen, so Beck.
Zum Abschluss des Seminars war Gisela Dachs, langjährige Israelkorrespondentin der ZEIT, aus Tel Aviv angereist. Sie berichtete aus erster Hand vom israelischen Alltag mit Kindern, die im vergangenen November, als die Hamas iranische Mittelstreckenraketen aus Gaza abfeuerte, zum ersten Mal in ihrem Leben einen Raketenalarm erlebt haben. Darüber hinaus machte Dachs aber auch deutlich, dass angesichts der Krisen in den Nachbarländern »nicht nur Israel eine Insel der Stabilität ist, sondern auch die Palästinensergebiete«. Daher, so Dachs, hätten beide Seiten derzeit kein Interesse an einer Änderung des Status quo.