Geschichte

Inquisition in Isfahan

Esther besiegte Haman und sorgte dafür, dass Juden mehr als 2.000 Jahre lang im Iran leben konnten. (Gemälde von Felix Barrias, 1926) Foto: ullstein

Folgt man der jüdischen Geschichtsschreibung, so war es der assyrische König Tiglat-Pileser III., der vor mehr als 2.700 Jahren durch die Eroberung Israels und die Deportation seiner Bewohner in den heute iranischen Teil Kurdistans die jüdische Diaspora im Iran begründet hat.

In dieser langen Zeit ihrer Anwesenheit im »Land der Arier« waren die iranischen Juden Augenzeugen der Gründung und des Falls ganzer Dynastien und politischer Systeme, von den Achämeniden bis zur Islamischen Republik Khomeinis, sowie der Entstehung religiöser Bekenntnisse wie des Sufismus und der Bahai-Religion. Und sie erlebten die Eroberung des Landes durch die Araber und die Einführung einer neuen Religion, des Islam.

Mit der Machtergreifung des schiitischen Safawiyya-Ordens im Jahr 1501 ergaben sich für das bis dahin sunnitisch-sufistisch geprägte Gebiet des heutigen Iran tiefgreifende sozioreligiöse Umwälzungen, die sich jedoch primär auf die muslimische Bevölkerungsmehrheit auswirkten, deren Bekehrung zur Schia das vorrangige Ziel der neuen Machthaber darstellte.

Den nichtmuslimischen Minoritäten (Christen, Juden, Zoroastriern, Hindus und Buddhisten) war es dagegen gestattet, ihren Glauben zu behalten – sofern sie die Oberhoheit des neuen Staates akzeptierten und sich Bestimmungen unterwarfen, die die Unterordnung der ahl adh-dhimma (»Schutzbefohlenen«) unter die Muslime im Alltag sichtbar machten sowie dem Glauben der Schiiten an die rituelle Unreinheit (nejasat) der Andersgläubigen Rechnung trugen.

prüfung Zu Beginn des 17. Jahrhunderts, mit dem Aufblühen des safawidischen Staates unter der Herrschaft Schah Abbas’ I. (1588–1629) und dem Einsetzen einer regen Reisetätigkeit europäischer Kaufleute, Abenteurer und christlicher Gesandtschaften, erreichten immer mehr Informationen über das Leben der religiösen Minderheiten eine zunehmend interessierte europäische Öffentlichkeit.

Die wertvollsten Kenntnisse über das Leben der iranischen Juden jener Zeit verdanken wir einem Angehörigen dieser Gemeinschaft selbst, einem Mann namens Babai Ben Lutf aus der Stadt Kaschan. In einer Chronik mit dem Titel Kitab-i Anusi (»Buch eines Zwangsbekehrten«) hat er das Schicksal der Juden Irans zwischen 1613 und 1662 festgehalten.

Über den Autor dieser in persischer Sprache, jedoch in hebräischer Schrift verfassten Chronik ist so gut wie nichts bekannt. Beruf und soziale Stellung Babais liegen genauso im Dunkeln wie sein Geburts- und Sterbedatum. Sicher ist nur, dass das Kitab-i Anusi nach 1662 verfasst worden ist. Daneben ist nur ein weiteres Werk dieses Autors, ein kurzes Gedicht zu Ehren des Propheten Elias, erhalten.

Irrweg Babai schreibt, dass auch er einige Jahre lang äußerlich das Leben eines Muslims führen musste, da er aus Rücksicht auf seine Familie und sein vorgerücktes Alter nicht in der Lage war, nach Bagdad zu emigrieren. Als zutiefst religiöser Mensch erklärt Babai die Verfolgungen mit den »Sünden seiner Generation«, das heißt der Vernachlässigung der religiösen Vorschriften durch die iranischen Juden. Nach seiner Ansicht habe Gott sein Volk auf diese Weise prüfen und von seinem Irrweg abbringen wollen.

So kam es im von Babai beschriebenen Zeitraum zu mehreren Fällen der Zwangsbekehrung iranischer Juden, die er detailliert schildert. In zwei Fällen sei die Verfolgung durch Juden selbst ausgelöst worden, die nach Streitigkeiten in ihren Gemeinden zum Islam übergetreten seien und ihre ehemaligen Glaubensgenossen angeschwärzt hätten.

Ein damals offenbar beliebtes Mittel der Denunziation war der Vorwurf, in der jüdischen Gemeinschaft werde Magie gegen den Schah praktiziert, was den abergläubischen Abbas I. in drei Fällen dazu brachte, jüdische Gemeindeführer hinrichten und die gesamte Gemeinde der Hauptstadt Isfahan zum Islam zwangsbekehren zu lassen.

rückkehr Diese »Neumuslime«, die insgeheim ihrem wahren Glauben treu blieben, mussten zum Beweis ihrer Aufrichtigkeit zumeist Fleisch mit Milch zu sich nehmen und wurden von muslimischen Gelehrten in ihrem neuen Glauben unterwiesen.

Im dritten Fall der Zwangsbekehrung war es hingegen ein niederrangiger muslimischer Finanzbeamter, der sich an den Juden Isfahans bereichern wollte und diese, nachdem sie sich bei seinem Vorgesetzten beschwert hatten, vor dem Schah der Magie bezichtigte. Vier Jahre lang lebten die Juden Isfahans nach Aussage Babai Ben Lutfs danach äußerlich als Muslime, bis ihnen Schah Safi (1629–1642) die offene Rückkehr zum Judentum gestattete.

Unter dem nächsten Schah, Abbas II. (1642–1666), wurde der Druck auf die Juden dann offenbar stärker als jemals zuvor. So berichtet das Kitab-i Anusi von einer erneuten Welle der Zwangsbekehrung ab 1656, die in Isfahan ihren Ausgang nahm, sich aber bald auf das ganze Land ausdehnte.

Als Auslöser nennt die Chronik den Diebstahl eines kostbaren Dolches aus dem Besitz des Schahs durch einen muslimischen Gärtnergehilfen. Dieser habe jedoch einen Teil davon an zwei Juden verkauft, die sich über die Herkunft des Stücks wohl nicht im Klaren waren.

Auf Initiative des machthungrigen Großwesirs Muhammad Beg habe der Schah die Zwangsbekehrung aller Juden seines Reiches angeordnet, deren Verlauf das Kitab-i Anusi schildert und die auch in anderen Quellen – der wichtigsten muslimischen Chronik der damaligen Zeit, dem Abbasnama, der Chronik des Armeniers Arakel von Tabriz und den Berichten europäischer Besucher – erwähnt wird.

einblick Aus diesen Quellen geht auch hervor, dass die Juden damals nicht die einzigen Opfer staatlicher Gewalt waren. Es scheint sich in der Amtszeit Abbas’ II. bereits die Ausbreitung einer immer puritanischer werdenden Schia abgezeichnet zu haben, die nicht nur alle religiösen Minderheiten des Landes bedrohte, sondern sich auch auf die Beziehungen zum christlichen Europa negativ auswirkte.

Auch darf man aus der Darstellung der Zwangsbekehrungen nicht den Eindruck gewinnen, Juden seien im safawidischen Iran ständiger Gewalt ausgesetzt gewesen. So befanden sich Juden in einigen Landesteilen in ökonomisch einflussreichen Positionen und konnten auf die Hilfe hoher staatlicher Kreise und religiöser Autoritäten zählen.

Der unschätzbare Wert des Kitab-i Anusi für die historische Forschung besteht darin, dass uns das Werk einen detaillierten Einblick in das Leben und die soziopolitische Verfasstheit der jüdischen Gemeinschaft Irans in der frühen Neuzeit ermöglicht. Ohne die Chronik Babai Ben Lutfs wären wir auf Quellen angewiesen, welche die Juden, wenn überhaupt, nur en passant erwähnen.

Aus dem Kitab-i Anusi lassen sich etwa Rückschlüsse auf die damalige Gemeindeordnung der iranischen Juden ziehen: So können wir annehmen, dass es im safawidischen Iran – anders als im Osmanischen Reich – keinen Oberrabbiner gab, der als zentraler Verbindungsmann zu den staatlichen Behörden hätte dienen können. Stattdessen werden »kadkhudas« oder »nasis« als Führer der jüdischen Gemeinden genannt, von denen jede eigenständig auf die Bedrohungen reagierte.

Auch erwähnt die Chronik keine jüdische Schiedsinstanz, die bei Konflikten innerhalb der Gemeinden vermittelt und so eine Anrufung der muslimischen Behörden verhindert hätte. Im Vergleich zum osmanischen Judentum scheinen die Glaubensbrüder im benachbarten Iran kulturell und organisatorisch unterentwickelt gewesen zu sein.

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