Nach dem Rücktritt von documenta-Chefin Sabine Schormann ist man in Kassel bemüht, möglichst schnell zur Normalität zurückzukehren. Der Aufsichtsrat – Vorsitzender ist Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle, Stellvertreterin Hessens grüne Ministerin für Wissenschaft und Kunst, Angela Dorn – hat in der beratungsresistenten documenta-Chefin einen Sündenbock ausgemacht, der nun »vor dem Hintergrund der Antisemitismusvorwürfe« gefeuert wurde.
Doch so einfach ist es nicht, der Skandal fängt jetzt erst an – und wird mehr und mehr zu einem politischen Problem, das auch massiv in Richtung Berlin weist.
»VORWÜRFE« Dass nicht nur Frau Schormann uneinsichtig ist, sondern die gesamte Kasseler Kunstblase, zeigt sich in der Formulierung, mit der Schormann vom Aufsichtsrat entlassen wurde. Nicht den wuchernden Antisemitismus auf der documenta, bei dem das dilettantische Hetzbanner der indonesischen Wirrköpfe nur die Spitze des Eisbergs war, sah man als das Problem. Nicht, dass sich die Kuratoren implizit gegen eine Beteiligung jüdisch-israelischer Künstler aussprechen durften, und auch nicht, dass die Motivwahl bei mehreren Exponaten des sogenannten Globalen Südens antisemitisch war, war das Problem – die Vorwürfe, antisemitisch zu sein, waren es.
Kein israelfeindliches Klischee lässt Dische-Becker aus, alles, was irgendwer irgendwo irgendwann gegen den jüdischen Staat vorgebracht haben mag, wird weihevoll akademisch verpackt und als evident dargestellt.
Sie brachten Unruhe in das Kasseler Feuchtbiotop documenta, in dem man es sich in Nordhessen gut und vor allem einträglich eingerichtet hat. Wenn schon der überfällige Rauswurf Schormanns mit einer solchen Rabulistik ummantelt wird, lohnt sich ein genauerer Blick auf die Gemengelage.
Zu Schormanns letzten Versuchen, ihren Job zu behalten, gehörte der Vorwurf, Kulturstaatsministerin Claudia Roth sei mitverantwortlich zu machen für die Skandal-Schau, habe sie doch die umstrittene Autorin und Beraterin Emily Dische-Becker beauftragt, das Thema Antisemitismus im Vorfeld zu klären. Roth ließ das prompt zurückweisen und spielte den Ball zurück zur documenta-Leitung, die entschieden habe, Dische-Becker zu beauftragen.
KOSCHERSIEGEL Emily Dische-Becker ist aus Sicht etlicher deutscher Ideologen des sogenannten linken Spektrums die Idealbesetzung für ein Koschersiegel in Sachen Antisemitismus. Sie ist Jüdin und gehört zu all jenen, die die in Handlungen und Zielen antisemitische BDS-Bewegung gerne als zu Unrecht geächtet und stattdessen als legitimen Teil der öffentlichen Diskussion sehen würden.
Eine beliebte Kombination in der Beletage der deutschen Kulturszene, denn das Gütesiegel »jüdisch« taugt den ganz besonders alerten deutschen Antisemitismusforschern rund um das von Wolfgang Benz ins Leben gerufene Berliner Institut für jeden Quatsch, der gegen Israel vorgebracht wird.
Ausgerechnet Dische-Becker, auf die die schändliche »Initiative GG 5.3 Weltoffenheit« mit zurückgeht, berät die documenta.
Diese Emily Dische-Becker, die etwa 2017 mit journalistischem Eifer versuchte nachzuweisen, dass der Slogan »Tod den Juden« 2017 auf Demos gegen Donald Trumps Entscheidung zur Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem gar nicht oder nur in geringem Ausmaß gerufen worden sei, sollte documenta-Mitarbeitende in einer Zoom-Konferenz in Sachen Antisemitismus coachen.
ZIONISMUS Ausgerechnet Emily Dische-Becker, die Anfang Juni die zu Recht vielfach kritisierte Konferenz »Hijacking Memory« im Haus der Kulturen der Welt mitorganisiert hatte. Ausgerechnet Emily Dische-Becker, auf die die – man muss es so deutlich sagen – schändliche Aktion »Initiative GG 5.3 Weltoffenheit« mit zurückgeht.
Und so ist die Zoom-Sitzung, über die die »Süddeutsche Zeitung« zunächst berichtet hatte und deren Aufzeichnung der Jüdischen Allgemeinen vorliegt, auch nichts weiter als eine gut 90-minütige BDS-Indoktrination der documenta-Beschäftigten.
Das Video zeigt, dass in Deutschland interessierte politische Kreise systematisch versuchen, den Antizionismus als Topos reinzuwaschen.
Kein israelfeindliches Klischee der Boykott-Bewegung lässt Dische-Becker aus, alles, was irgendwer irgendwo irgendwann gegen den jüdischen Staat vorgebracht haben mag, wird weihevoll akademisch verpackt und als evident dargestellt. So trichtert die BDS-Verharmloserin Dische-Becker ihrer Zuhörerschaft die sogenannte Jerusalemer Erklärung ein, den Gegenentwurf zur weltweit gängigen Antisemitismusdefinition der »International Holocaust Remembrance Alliance« (IHRA), beklagt mehrfach, wie schwierig doch die Debatte in Deutschland im Vergleich zu den USA sei, und schlussfolgert schwungvoll, »auch Zionismus kann antisemitisch sein«.
IRAN Das Video anzuschauen, ist widerwärtig genug. Feststellen zu müssen, dass mithilfe öffentlicher Fördermittel Mitarbeitende der documenta einer systematischen Hirnwäsche gegen Israel und den Zionismus – und somit das legitime Recht des jüdischen Volkes auf eine Heimstatt – unterzogen werden, ist allerdings noch ekelhafter.
Denn es zeigt, dass in Deutschland interessierte politische Kreise systematisch versuchen, den Antizionismus als Topos reinzuwaschen. Solange eine Referentin oder ein Referent das Gütesiegel »jüdisch« trägt, darf alles gegen Israel vorgebracht werden, was man als nichtjüdischer Deutscher niemals würde äußern können. Man treibt sozusagen den Teufel mit dem Beelzebub aus.
Claudia Roth ist und bleibt die politisch Gesamtverantwortliche für das documenta-Desaster.
Zur Erinnerung: Im Mai 2019 sprach sich die heutige Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) gegen die Ächtung des BDS durch den Deutschen Bundestag aus. Die Politikerin, deren »High-five«-Abklatschen mit Ali Reza Sheikh Attar, dem damaligen Botschafter des iranischen Mullahregimes, 2013 auf der Münchner Sicherheitskonferenz ein notorisches Symbol ihrer politischen Einstellung geworden ist, mag jetzt versuchen, aus dem institutionalisierten Israelhass auf der documenta eine Provinzposse zu machen. Sie ist und bleibt die politisch Gesamtverantwortliche für das Desaster.
Übrigens: Die »Initiative GG 5.3 Weltoffenheit«, jene Gruppe von deutschen Kulturschaffenden, die sich im Dezember 2020 so lautstark wie sinnlos gegen die BDS-Entscheidung des Bundestages stellte, dankte am Schluss ihres »Plädoyers« Andreas Görgen »für fachlichen Rat und Diskussionsbeiträge«. Görgen, qua Amt der politischen Neutralität, der Unterstützung der Beschlüsse der Volksvertretung und der Staatsräson der Bundesrepublik verpflichtet, war damals Abteilungsleiter im Auswärtigen Amt und für die Mittel-Vergabe zuständig.
Seit Dezember 2021 ist Andreas Görgen Amtschef im Amt eines Ministerialdirektors bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien – Claudia Roth. Der Fisch stinkt immer vom Kopf her.