In Diskussionen über Judenhass scheint der Befund zu dominieren, dass Antisemiten nur dort zu finden sind, wo man ohnehin niemanden leiden kann – also je nach eigenem Standpunkt in der Linken oder bei den Konservativen und erstaunlich selten in der Mitte. Zwei neu erschienene Bände sind von solchen a priori gefällten Urteilen sympathisch unberührt: zum einen Peter Ullrich, der, sich der unabhängigen Linken zurechnend und von der Luxemburg-Stiftung gefördert, den Antisemitismus im eigenen politischen Milieu analysiert.
Was Ullrichs Studie – trotz nicht immer sauber angewandter Methodik – lesenswert macht, ist die kompetente und so gut wie nie denunzierende Einordung. Die Linke, Bewegung wie Partei, ist nach überwiegender Selbsteinschätzung weit entfernt davon, Ressentiments gegen Juden zu haben. Gegen Israel, Zionismus, das Finanzkapital, bestimmte Kreise in Amerika – die Liste dessen, wogegen man in Wirklichkeit sei, ist lang.
Ullrich widerlegt sie immanent. Einmal berichtet er von einem Workshop, bei dem sich eine Arbeitsgruppe zum Thema »Funktionen des Antisemitismusvorwurfs« gebildet hatte. Eine beeindruckende Liste sei da erarbeitet worden, bloß auf einen naheliegenden Gedanken sei keiner gekommen: dass ein Antisemitismusvorwurf mitunter auch zutreffen kann. Ullrich macht zwei Ursachen aus: zum einen Unwilligkeit, sich mit dem einen selbst betreffenden Phänomen des linken Antisemitismus zu beschäftigen, zum anderen eine zur Mentalität geronnene Abwehrhaltung, deren Zustandekommen verständlich, aber falsch sei.
Israelkritik Der von Dana Ionescu und Samuel Salzborn herausgegebene Sammelband hat auf den ersten Blick mit der Studie von Ullrich nur eine Gemeinsamkeit: Hier geht es in einem informativen Beitrag von Martin Kloke auch um die Linkspartei – und auch um Ullrichs Studie. Ihr attestiert Kloke zwar, ein Fortschritt gegenüber früheren Beschäftigungen mit dem Thema zu sein, letztlich aber »im Ungefähren« zu verharren: Konkrete Fälle klar judenfeindlicher Haltungen bagatellisiere er, wenn er von einer begrifflichen »Grauzone« schreibe, die es etwa bei der sogenannten Israelkritik gebe.
Ionescus und Salzborns Band ist aber nicht nur wegen Klokes Beitrag lesenswert: Er beschäftigt sich mit dem gesamten deutschen Parteienspektrum: von CDU/CSU über SPD, Grüne und Linke bis hin zu Kleinparteien wie FDP und Piraten. Sogar dem besonderen Antisemitismus der NPD wird analytisch zu Leibe gerückt. Was die CDU angeht, nehmen die Autoren Julia Kopp und Tobias Neef etwa den damaligen Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann in den Blick, der von Juden als »Tätervolk« sprach und daher – trotz sporadischer innerparteilicher Solidarisierung – recht schnell aus der Partei geworfen wurde.
Exil-SPD In der Beschäftigung mit der SPD stellt Sebastian Voigt die historische Betrachtung in den Vordergrund: etwa dass die SPD 1933, um dem Verbot zu entgehen, jüdische Funktionsträger entlassen hatte und auch in der Folgezeit die Exil-SPD sich nur am Rande mit dem nationalsozialistischen Judenhass beschäftigte. Auch bei der Analyse der Grünen geht es, obwohl die Partei relativ jung ist, historisch zu: Fälle wie der des Parteigründers Baldur Springmann oder des früheren Landtagsabgeordneten Jamal Karsli werden von Saskia Richter behandelt – leider, wie andere aufgeführte Fälle, nur kursorisch.
Im Kapitel über die Piraten arbeitet sich Elke Wittich an den bemerkenswert vielen »Einzelfällen« ab, die in der jungen Partei vorkommen: Relativierungen der Schoa durch absurde Vergleiche und eine beinahe schon strukturelle Verbundenheit vieler Piraten mit Verschwörungstheorien.
Auch im Kapitel über die NPD erfährt man, auch wenn man es da vielleicht am wenigsten vermutet hätte, Neues. Patrick Gensing zeigt den Antisemitismus als zentrales Element der NPD-Ideologie auf und analysiert zugleich, wie er sich in einem gefährlichen Sinn modernisiert hat: von dümmlichen Krummnasen-Karikaturen hin zu Attacken auf die Politik »USraels« und Relativierungen der Schoa, um sich für andere politische Bewegungen und Parteien anschlussfähig zu machen.
Kontroverse Kann man Ionescus/Salzborns Buch vorwerfen, zu dünn zu sein – jede Partei hätte eine kritische Würdigung verdient, die etwa so umfangreich sein müsste wie das gesamte Buch –, muss man Ullrich sporadisch unsaubere Analyse attestieren, die in einer Kontroverse zwischen Ullrich und dem Autor des Vorworts, Micha Brumlik, mittlerweile auch öffentlich thematisiert wurde. Und doch können beide Studien gelobt werden, denn beiden ist gemein, dass sie es nicht darauf anlegen, sich beliebt zu machen.
Kritisiert Ullrich den Antisemitismus in dem politischen Milieu, dem er sich zugehörig fühlt, nehmen sich die Autoren des Sammelbands das gesamte Spektrum vor, womit sie in allen politischen Lagern jemanden finden dürften, der sich beleidigt fühlt. Antisemitismus, so lässt sich folgern, ist kein Rechts-Links-Problem, sondern findet sich leider überall.
Peter Ullrich: »Deutsche, Linke und der Nahostkonflikt. Politik im Antisemitismus- und Erinnerungsdiskurs«. Vorwort von Micha Brumlik. Wallstein, Göttingen 2013, 208 Seiten, 19,90 €
Dana Ionescu und Samuel Salzborn (Hrsg.) »Antisemitismus in deutschen Parteien« Nomos, Baden-Baden 2014, 323 Seiten, 59 €