»Auf Befehl des Gruppenführers sind sofort sämtliche jüdische Synagogen zu sprengen oder in Brand zu setzen.« Dieser Befehl wurde in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 an die SA und andere NS-Einheiten in Südhessen ausgegeben. Nur wenige Stunden später loderten aus der Börneplatz-Synagoge in Frankfurt und anderen Gotteshäusern die Flammen. Auch jüdische Geschäfte wurden zerstört. Anderthalb Tage später bereits, am 11. November, meldete der Anführer des SA-Kommandos Starkenburg Vollzug.
KAMPAGNE 82 Jahre später, am Jahrestag der November-Pogrome, erstrahlte nun die Frankfurter Westend-Synagoge – eines der wenigen jüdischen Gotteshäuser der Stadt, die in der Pogromnacht nicht zerstört wurden –, in einem besonders hellen Licht.
Mit der Aktion gedachte die Jüdische Gemeinde in der Mainmetropole den von den Nazis verharmlosend »Reichskristallnacht« genannten Ausschreitungen gegen die jüdische Bevölkerung im November 1938 gedenken. Rund 1400 jüdische Einrichtungen in Deutschland wurden damals ganz oder teilweise zerstört, Hunderte Juden ermordet und viele weitere in die Konzentrationslager verschleppt.
Weltweit beteiligten sich Einzelpersonen, Organisationen sowie jüdische Gemeinden an der Aktion. Sie zündeten symbolisch ein Licht an und posteten ihre Nachricht mit dem Hashtag #LetThereBeLight in den sozialen Netzwerken. Die weltweite Kampagne wurde gemeinsam von der Organisation »March of the Living«, dem Miller-Center an der Rutgers University und der Jüdischen Gemeinde Frankfurt initiiert. Hunderte Synagogen, Kirchen und Moscheen ließen vergangene Nacht ihre Lichter brennen. Auch die kleine jüdische Gemeinde in Bahrains Hauptstadt Manama beteiligte am Gedenken.
PROJEKTION »Gemeinsam vereinen wir die Welt gegen Antisemitismus, Rassismus, Intoleranz und Hass und lassen das Licht über die Dunkelheit des Hasses erstrahlen«, hieß es im Aufruf. Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, Salomon Korn, erklärte, Antisemitismus und Rassismus gefährdeten die Gesellschaft als Ganzes. Man wolle sich dafür einsetzten, dass Diskriminierung und Intoleranz geächtet würden.
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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier rief ebenfalls zu konsequentem Handeln gegen den Judenhass auf. Die Pogrome »waren ein widerwärtiger Gewaltausbruch, der auf lange Jahre der Diskriminierung, Einschüchterung und Anfeindung folgte. Sie waren ein Vorbote der unfassbaren Verbrechen der Schoah, die meine Landsleute einige Jahre später verüben sollten«, sagte Steinmeier in einer Videobotschaft, die bei einer Gedenkveranstaltung in Jerusalem gezeigt wurde.
ÜBERLEBENDE Auch Schoa-Überlebende, Politiker, Rabbiner, Imame und Priester beteiligten sich an der Lichteraktion. Am Abend wurden ihre Gebete und Botschaften auf die Mauern der Altstadt Jerusalems projiziert. Der Zeitzeuge Claude Springer schrieb: »Ich war zehn Jahre alt, als die Kristallnacht passierte. Ich hörte, wie die Scheibe des jüdischen Bekleidungsgeschäfts zerbarst, das unter unserer Wohnung gelegen war. Mein Onkel rannte, um die Sefer Tora zu retten. Was damals passierte, kann wieder passieren. Wir müssen wachsam sein.«
Der israelische Staatspräsident Reuven Rivlin sagte in seiner Botschaft: »Während die Öfen der nationalsozialistischen Krematorien längst erloschen sind, brennen die Flammen, die in der Kristallnacht jüdische Gotteshäuser, Wohnungen und Geschäfte verzehrten, bis heute; die Flammen des Hasses und des Rassismus.« Er hoffe sehr, dass die Menschheit aus der Geschichte gelernt habe, damit sie sich nicht wiederhole.
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu postete folgende Botschaft: »Am 82. Jahrestag der Kristallnacht gedenken wir der Nacht, die den Beginn des Holocaust markierte. Wir geloben, dass das jüdische Volk nie wieder wehrlos gegen die Kräfte sein wird, die unsere Vernichtung suchen.«
GROSSBRITANNIEN Netanjahus britischer Amtskollege Boris Johnson schrieb, der 9. November 1938 sei der Auftakt gewesen »zum dunkelsten Moment der Menschheit. Heute vereinen wir uns gegen Antisemitismus, Hass und Intoleranz. Wir werden das Licht niemals erlöschen lassen.« Londons Bürgermeister Sadiq Khan schrieb, man müsse daran arbeiten, dass es eine Zukunft gebe, die nicht durch Hass, sondern durch Hoffnung, Einigkeit und Liebe gekennzeichnet sei.
Der Präsident des ungarischen jüdischen Gemeindebundes, András Heisler, erklärte, es sei die gemeinsame Verpflichtung aller, Brücken zu bauen zwischen den verschiedenen jüdischen Strömungen.
Österreichs Bildungs- und Wissenschaftsminister Heinz Faßmann sagte, er verneige sich in Respekt vor den Opfern der Schoa. »Ich verfolge hier eine Null-Toleranz-Politik gegenüber jedweder Form von Antisemitismus und Rassismus.« Der Respekt und die Anerkennung der Vielfalt seien nicht verhandelbare Elemente einer Erziehung hin zur Demokratie, so Faßmann.
BAHRAIN Auch die kleine jüdische Gemeinde des Golfstaats Bahrain beteiligte sich am Gedenken. »Dies ist das erste Mal, dass wir diese Veranstaltung haben, um uns an die Opfer zu erinnern«, sagte das Oberhaupt der 35-köpfigen Gemeinde in der Hauptstadt Manama, Ebrahim Nonoo, der Deutschen Presse-Agentur.
Die einzige Synagoge in dem mehrheitlich muslimischen Land wurde mit Kerzen beleuchtet, um am 82. Jahrestag der Pogromnacht ein Zeichen gegen Antisemitismus, Rassismus, Hass und Intoleranz zu setzen. Bahrain hat erst vor Kurzem ein historisches Annäherungsabkommen mit Israel geschlossen. (mit dpa)