Bakteriologie

Impfen in Indien

Waldemar Haffkine (M.) behandelt Inder während der großen Cholera-Epidemie Ende des 19. Jahrhunderts. Foto: Haffkine Institute

Die Glasampulle, die vor einigen Wochen vom Central Zionist Archive an das Jerusalemer Tower of David Museum übergeben wurde, sieht auf den ersten Blick völlig unscheinbar aus. Die darin enthaltene hellbraune Flüssigkeit wurde vor mehr als 110 Jahren allerdings als medizinischer Fortschritt gefeiert, denn bis 1892 gab es keinen Impfstoff gegen die Cholera. Dass die gefährliche Krankheit, die früher Zigtausende Menschenleben forderte, heute so gut wie ausgerottet ist, ist dem jüdischen Biologen Waldemar Mordecai Wolff Haffkine zu verdanken.

Haffkine wurde am 15. März 1860 in Odessa geboren, wo sein Vater als Lehrer arbeitete. Als Romantiker und Revolutionär werden ihn Jungendfreunde später schildern, unter anderem war er Mitglied der Jüdischen Selbstverteidigungsliga. Während eines Pogroms wurde der junge Haffkine beim Versuch, das Haus eines Juden zu schützen, verletzt und anschließend verhaftet. Auf Intervention des berühmten Pioniers der Immunforschung und späteren Nobelpreisträgers Ilja Iljitsch Metschnikow kam er jedoch schnell wieder frei.

1889 folgte Haffkine Metschnikow und Louis Pasteur nach Frankreich. Im heutigen Pasteur-Institut in Paris beschäftigte sich der Wissenschaftler mit der Erforschung der Cholera. Ausgehend vom indischen Subkontinent war es im 18. Jahrhundert zu fünf Cholera-Pandemien, also länder- und sogar kontinentübergreifenden Ausbrüchen der Infektionskrankheit, gekommen, die in den 1830er-Jahren allein in Wien 3000 Todesopfer forderte.

Indien Der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel und General Carl von Clausewitz waren damals an der unheilbaren Krankheit gestorben. Robert Koch gelang es zwar 1883, den Erreger der Cholera zu isolieren, außerdem hatten englische Wissenschaftler herausgefunden, dass das Bakterium Vibrio cholerae sich vor allem in verschmutztem Trinkwasser verbreitete. Während in Europa die Abwasserentsorgung modernisiert wurde, waren die Menschen in Indien jedoch auch weiterhin dem Erreger schutzlos ausgeliefert.

Haffkine arbeitete fieberhaft an einem Impfstoff gegen die Krankheit, und am 18. Juni 1892 war es schließlich so weit: Er injizierte sich das Mittel selbst und berichtete umgehend der Londoner Linné-Gesellschaft von seinen Forschungsergebnissen. Die 1788 gegründete und noch heute als älteste Naturforschungsgesellschaft existierende Linnean Society of London nahm jedoch von Haffkines Impfstoff kaum Notiz – ebenso wenig wie seine beiden älteren Kollegen Metschnikow und Pasteur.

In dieser Zeit muss Haffkine die Glasampulle nach Jerusalem geschickt haben. Der israelische Mikrobiologe und Medizinhistoriker Dan Barel berichtet, dass Haffkine damals wohl ziemlich frustriert gewesen sein muss, denn »das Mittel gegen die tödlichste Krankheit des 19. Jahrhunderts« wurde in Europa einfach nicht anerkannt. Die russischen Behörden hatten dem später als »ersten Mikrobiologen der Welt« Bezeichneten sogar erklärt, es sei ihnen lieber, »die Menschen stürben an der Cholera, als dass sie von einem Juden behandelt werden«, erzählte Barel der Tageszeitung Haaretz.

Aga Khan Nachdem 1893 in Indien erneut eine Cholera-Epidemie ausgebrochen war, reiste Haffkine auf Einladung der britischen Regierung nach Kalkutta, um die Wirksamkeit seiner neue Schutzimpfung vor Ort zunächst an britischen Soldaten zu beweisen. Die Resultate waren beeindruckend. Drei Jahre später wurde der jüdische Wissenschaftler vom Gouverneur von Bombay eingeladen, nachdem dort die damals ebenfalls unkontrollierbare Beulenpest ausgebrochen war. Haffkine arbeitete in einem Hospital an der Entwicklung einer Schutzimpfung – und injizierte sich das entwickelte Serum am 10. Januar 1897 schließlich öffentlichkeitswirksam selbst, um die Einwohner der Stadt von dessen Harmlosigkeit zu überzeugen.

Haffkines Beulenpest-Impfstoff wurde in Indien schnell anerkannt, der damalige Aga Khan, Oberhaupt der muslimischen Gemeinschaft, richtete ihm einen eigenen Bungalow ein und sorgte dafür, dass rund 12.000 Menschen geimpft wurden.

Der Wissenschaftler scheint großen Eindruck auf den indischen Würdenträger gemacht zu haben, zumal er in regem Briefkontakt mit zionistischen Pionieren wie Baron Edmond James de Rothschild stand. In seinen 1954 erschienenen Memoiren berichtet der Aga Khan von Gesprächen mit Haffkine, als deren Resultat der Inder den Sultan Abdul Hamid II. brieflich bat, Juden zu erlauben, im damals noch von den Osmanen beherrschten heutigen Israel zu siedeln. Dass Abdul Hamid dies verweigerte, bezeichnet der Aga Khan in seinen Erinnerungen als dessen »größten Fehler«.

Institut Haffkine blieb in Indien, wo er endlich auch die ersehnte Anerkennung fand: 1899 wurde ihm vom britischen Gouverneur ein eigenes Gebäude übergeben. Dessen ehemaliger Amtssitz war zuvor ein Hindu-Tempel gewesen, auf dessen Gelände Jesuiten im 17. Jahrhundert eine Kapelle und später ein Missionshaus errichtet hatten. 1719 wurde der christliche Orden allerdings enteignet, und die britische Regierung übernahm das repräsentative große Haus, dass schließlich dem jüdischen Forscher übereignet wurde, der dort sein »Labor für Seuchenforschung« einrichtete.

1925 wurde das Labor auf Betreiben eines Colonels namens F. P. Mackie in »Haffkine Institute« umbenannt. Seine besten Jahre habe er mit der Arbeit in Bombay zugebracht, schrieb der Wissenschaftler damals. Im Alter wandte er sich der Religion zu und bezeichnete sich selbst als orthodoxer Jude und Zionist, schaffte es allerdings nie, nach Israel zu reisen, obwohl er zu jüdischen Ärzten in Jerusalem gute Kontakte hatte.

Ob Waldemar Haffkine nach seiner Pensionierung 1914 bis zu seinem Tod im Jahr 1930 ohne die geliebte Forschung glücklich war, ist nicht bekannt. Hin und wieder schrieb er noch für medizinische Fachpublikationen. Auf der Webseite des Bombayer Haffkine-Instituts findet sich ein Zitat von Haffkine: »Die Reise, die wir hier auf der Erde machen, ist so kurz. Bevor wir merken, wo wir sind, sind wir auch schon am Ende und aufgerufen, unserer inneren Stimme auf die Frage zu antworten: ›Hast du die dir aufgetragene Arbeit erledigt?‹ Glücklich die, die dann denken können, dass sie, ja, ihre Arbeit getan haben.«

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