Ende Mai in der amerikanischen Kleinstadt Torrington, Connecticut, etwa zwei Stunden von New York entfernt. In dem schmucken, aber noch menschenleeren »Warner Theater« ist es über 30 Grad warm, die Klimaanlage des Hauses brummt leise, aber vergeblich vor sich hin, doch draußen auf der Anzeigentafel kündigen schon einmal große schwarze Buchstaben feierlich die Abendshow an: »Pilobolus. Shadowland 2 – The New Adventure«.
Etwa zwei Stunden später hat sich der riesige Saal des Theaters gefüllt. Mehrere Hundert Zuschauer, darunter eine Handvoll Journalisten aus Europa, sehen exklusiv die neue Show Shadowland 2 des legendären Tanztheater-Ensembles. Itamar Kubovy, gebürtiger Israeli und künstlerischer Leiter von Pilobolus, steht auf der Bühne und berichtet von der Vorgängershow Shadowland 1, mit der die Tänzer vor allem in Europa mit ihrer Mischung aus Tanz, Theater, Schattenspiel, Akrobatik und Popmusik große Erfolge feierten.
Nun sind Itamar Kubovy und Pilobolus nach Deutschland gekommen und zeigen ihre neue Show Shadowland 2 als Weltpremiere. Den Anfang machte am vergangenen Donnerstag Berlin, es folgen in den nächsten Wochen Düsseldorf, München, Frankfurt und viele weitere Städte. 2017 touren sie auch durch Österreich. Im Zentrum von Shadowland 1 stand damals ein Mädchen, das lernte, erwachsen zu werden. Das neue Abenteuer der Tanzkompanie spielt in einem Lagerhaus, genauer: im Inneren von Kisten. Fantastische Kreaturen sind darin eingesperrt, und wie schon im Vorgänger erwächst die Geschichte auch dieses Mal aus einem düsteren Szenario, aus dem sich die Figuren zu befreien versuchen.
Hauptquartier Zurück nach Connecticut. Einen Tag nach der Vorstellung im »Warner Theater« empfangen die Pilobolus-Macher Journalisten in ihrem Hauptquartier, einem typisch amerikanischen Holzhaus in der Ortschaft Washington Depot, die nur knapp 3500 Einwohner zählt. Draußen findet gerade eine Militärparade mit Oldtimern, Musik und patriotischen Reden statt. Poster an der Wand des Büros zeugen von den Auftritten der Tänzer in aller Welt.
Pilobolus gibt es seit über 40 Jahren, und lange Zeit wurde die Gruppe paritätisch und demokratisch von ihren Gründern geführt. Trotz großer Erfolge bei Kritikern und im Off-Theater-Bereich wollten sie 2004 jedoch einen Neuanfang wagen, weil die Truppe künstlerisch den Anschluss zu verlieren drohte. Ein neuer Choreograf und Regisseur musste her, und nach längerer Suche entschied sich die Belegschaft der Tanzkompanie für den damals 37-jährigen charismatischen Theater-Regisseur Itamar Kubovy.
Der gebürtige Tel Aviver war damals so etwas wie das Wunderkind des US-Tanztheaters. Sein Stil als Regisseur ist geprägt von vielen Einflüssen, nicht zuletzt auch von deutschen Theatern. Bereits im Alter von drei Jahren zogen seine Eltern mit ihm in die USA, doch direkt nach dem Mauerfall verschlug es ihn als jungen Mann nach Berlin. Er arbeitete an der Ernst-Busch-Hochschule für Schauspielkunst; Deutschland war für ihn eine prägende Zeit.
»Ich lernte viel über den Osten, den Westen, hörte so viel über die Geschichte und traf auf ungewöhnliche, großartige Leute«, erinnert sich Kubovy. In der DDR blieb er eine Weile für ein kleineres Projekt im Theaterhaus Jena. Noch heute denkt er gern an diese Zeit zurück. »In Jena trafen Deutsche aus Ost und West, Österreicher, Schweizer und ich aufeinander. Wir bekamen die Chance, ein ambitioniertes Theaterprogramm auf die Beine zu stellen.« Dort lernte er zudem »fließend gebrochen Deutsch«, wie er schmunzelnd sagt.
Oscar-Verleihung Mit Kubovy erreichte Pilobolus plötzlich ganz andere Zuschauerschichten. 2006 drehten die Tänzer einen Werbespot für einen asiatischen Autohersteller, was vorher undenkbar gewesen wäre. Der Durchbruch folgte ein Jahr später bei der Oscar-Verleihung, als Pilobolus alle nominierten Filme in Schattenbildern nachspielen durfte. Und es ist ebenjenes Spiel mit den Schatten, das Pilobolus eine ganz andere Art Theater ermöglicht, wie Kubovy betont. »Diese Schattentechnik haben wir in einer Zeit der digitalen Medien wiederentdeckt. Dabei spielen wir mit der dunklen Seite der Schatten ebenso wie mit ihrer freudigen und lichten Seite.«
Das Schattenspiel entsteht durch einfache Tricks. Tänzer leuchten sich mit Taschenlampen oder zielgerichteten Spots an. Dabei beginnt das neue Stück vor und nicht hinter der Leinwand. In blauen Overalls fliegen die Tänzer über die Bühne, bauen eine Mauer aus Pappkisten auf, mitreißende Tanzsequenzen vor der Leinwand wechseln sich mit magischen Schattenspielen ab. Bei der Erarbeitung dieser Szenen hat Pilobolus auch dieses Mal auf das Prinzip Schwarmintelligenz gesetzt. Choreografen, Tänzer und Regisseure – jeder kann sich einbringen. Eine ungewöhnliche Arbeitsweise, erklärt Pilobolus-Drehbuchautor Steven Banks. »So kann man aber Dinge verbessern, die nicht funktionieren. Und das tun wir ständig.«
Die Grundidee zum neuen Stück entstand durch den Song »Put in a Box« von David Poe. Der Musiker vermag nicht nur eingängige Popsongs zu schreiben. Er äußert sich auch immer wieder kritisch zur politischen Lage in den USA und sieht bei aller Unterhaltung auch einen gesellschaftskritischen Aspekt in Shadowland 2. Jemand wie US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump ist für ihn der Prototyp eines Menschen, der komplexe Themen gnadenlos vereinfacht. Und auch für Itamar Kubovy ist Trump ein – wenn auch begnadeter – Demagoge. Doch selbst wenn der Politiker Präsident werden sollte, ist sich Kubovy sicher: »Die Kreativen sind schon aus ihrer Box gekommen. Diese Stimmen zum Schweigen zu bringen, erscheint mir sehr schwierig.«
Nach diesen nachdenklichen Tönen denken die Tänzer von Pilobolus an diesem Nachmittag in Connecticut schnell wieder an die konkrete Arbeit, die zu diesem Zeitpunkt noch vor ihnen liegt. Nach Deutschland und insbesondere Berlin kommen sie besonders gerne – trotz und wegen der wechselhaften Geschichte. Denn wie Itamar Kubovy so treffend sagt: »In Berlin hat die Welt der Schatten ihr Zuhause.«
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