»Lass die Hände hängen«, raunt Regisseur Tomas (Franz Rogowski), als ein Schauspieler beim Filmdreh für seinen Geschmack zu selbstdarstellerisch die Treppe in einen Klub herunterkommt. Sein Ton wird gereizter, Tomas ist in Rage, er fordert den Schauspieler auf, die Hände bitte einfach in der Hosentasche zu lassen.
Diese Treppe zu Beginn von Passages, die jemand nicht richtig zu nehmen weiß: Schon die ersten Minuten von Ira Sachsʼ queerer Ménage-à-trois geben eine vieldeutige Setzung für diese Auseinandersetzung mit zwischenmenschlichen Phasen der Über- und Durchgänge. Mittendrin der von Rogowski gespielte Regisseur Tomas, der mit seinen flamboyanten, gerne auch bauchfreien Netz- und Leder-Outfits die Blicke auf sich zieht.
bohemien Er kommt ursprünglich aus Deutschland, lebt als moderner Bohemien in der ewigen Filmstadt Paris und ist mit dem englischen Grafiker Martin (Ben Whishaw) verheiratet. Man trifft sich auf einen Wein in verführerisch vor Leben leuchtenden Etablissements, spricht über Literatur und Kunst, man neckt und liebt sich und, im Fall von Tomas, auch andere. Der Tanz mit der französischen Grundschullehrerin Agathe (Adèle Exarchopoulos) auf der Abschlussparty des Drehs endet in einem One-Night-Stand. »Ich hatte Sex mit einer Frau«, erklärt Tomas seinem Mann und erwartet gleich darauf dessen Interesse statt Eifersucht.
Der amerikanische Regisseur Ira Sachs erzählt in seinem Film mit französischem Vibe von einem narzisstischen, dabei nicht gänzlich unsympathischen Regisseur im Liebeshamsterrad zwischen Mann und Frau. Passages knüpft damit an Themen und Traditionen des französischen Kinos an, etwa an Klassiker wie François Truffauts Jules et Jim um eine Liebe zu dritt, und modernisiert diese mit fluiden Beziehungskonstellationen und ein Personal von identitätssuchenden Großstädtern unterschiedlichen Ursprungs.
Sachs, offen schwuler Jude, lebt seit 1987 in Manhattan. Geboren wurde er in Memphis im US-Bundesstaat Tennessee, wo er in einem reformjüdischen Haushalt aufwuchs. Die Familie mütterlicherseits, deutsche Juden, kamen 1850 nach Memphis, die Osteuropäer väterlicherseits 1900. Er verhandelt in seinen Filmen gern queere Identitäten, in seinem autobiografisch geprägten Film Keep the Lights On etwa eine Liebe in New York zwischen einem Dokumentarfilmer und einem Anwalt.
Passages handelt von einem Liebeskarussell in der Stadt der Liebe, das Tomas selbst am Laufen hält. Er pendelt zwischen seinem Mann und der Lehrerin hin und her, rast mit dem Rad durch Paris und hinterlässt zwischenmenschliche Scherben, wo er auftaucht. Er hat leidenschaftlichen Sex mit Agathe auf der Couch im Produktionsbüro, später verführt er Martin. Der Sex wird ganz natürlich und teils auch ausführlich in Szene gesetzt, wie das gerade in homosexuellen Konstellationen (leider) noch viel zu selten so selbstverständlich im Kino zu sehen ist.
wunschdenken Passages deutet die Möglichkeit einer einvernehmlichen Dreiecksbeziehung an, die aber mehr das Wunschdenken von Tomas denn realitätstauglich ist. »Vielleicht hat Martin recht. Ich kann furchtbar selbstsüchtig sein«, sagt Tomas einmal. Und ja: Das stimmt und macht ihn gerade deswegen, mit seinen Fehlern und seinem egoistischen Gehabe, zu einer interessanten Figur. Einen Schriftsteller, mit dem Martin später anbändelt, bezeichnet Tomas als Langweiler, den eine Drogensucht interessanter machen würde. Agathes konservative Eltern lässt er bei einem gemeinsam arrangierten Abendessen auflaufen.
Sachs, der das Drehbuch gemeinsam mit Mauricio Zacharias geschrieben hat, erzählt seinen unaufgeregt daherkommenden Film nicht aus. Er wirft uns in Situationen hinein, in denen sich Zwischenmenschliches findet und abstößt, ohne dass immer klar wird, wie viel Zeit dazwischen vergangen ist. Dieser auch narrativ in der Schwebe gehaltene Zustand passt zu diesem Film über Übergänge um den Regisseur, der im Dazwischen seine Utopie sucht, sich dabei aber zu verlaufen droht.
Der Film läuft ab 31. August im Kino.