Ausstellung

Im hohlen Baum

Über 600 Jahre alt: die Josefseiche in Polen Foto: Natalia Romik

Ausstellung

Im hohlen Baum

In Frankfurt werden neun exemplarische Verstecke polnischer Juden in der Schoa gezeigt – eines erinnert an das Hamas-Massaker

von Eugen El  05.05.2024 11:40 Uhr

Eine Schranktür, eine Luke im Parkettboden, ein Hohlraum in einer mächtigen Eiche: Die dezent schimmernden Skulpturen, denen man derzeit im Jüdischen Museum Frankfurt begegnet, verweisen nicht bloß auf Alltägliches und Gewöhnliches. Vielmehr handelt es sich dabei um Abdrücke wesentlicher architektonischer Elemente von Verstecken, die polnische Jüdinnen und Juden während der Schoa einrichteten, um der drohenden Ermordung durch die heranrückende deutsche Wehrmacht zu entgehen.

Die versilberten Skulpturen sind ein Blickfang in der Ausstellung Natalia Romik. Architekturen des Überlebens, die neun exemplarische Verstecke in den Fokus rückt. Die Geschichte des Verstecks von Anne Frank und der Versuche anderer deutscher Juden, ihrer Verfolgung und Ermordung zu entkommen, sei schon vielfach erzählt worden, sagt Museumsdirektorin Mirjam Wenzel. Die Geschichten der Überlebensversuche osteuropäischer Juden seien in Westeuropa hingegen fast unbekannt. »Etwa 50.000 polnische Jüdinnen und Juden überlebten versteckt die Schoa auf dem Gebiet des sogenannten Ansiedlungsrayons im Westen des vormaligen russischen Kaiserreichs«, so Wenzel.

Die Schau wurde bereits in der Nationalen Kunstgalerie Zacheta in Warschau sowie im Zentrum für zeitgenössische Kunst TRAFO in Stettin gezeigt. Sie basiert auf Recherchen der Künstlerin, Architektin und Politikwissenschaftlerin Natalia Romik zu den Verstecken, die vor allem auf den heutigen Staatsgebieten Polens und der Ukraine liegen. Neben den zwischen autonomem Kunstwerk und Mahnmal angesiedelten Skulpturen umfasst die Ausstellung auch einen – lobenswert konsequent vom künstlerischen Teil getrennten – wissenschaftlich-dokumentarischen Abschnitt. Die in eigens angefertigten Vitrinen gezeigten historischen und zeitgenössischen Dokumente, Berichte, Fotografien und Fundstücke machen Romiks jahrelange Forschungsarbeit anschaulich. Ergänzt wird diese Präsentation durch forensische Untersuchungen der vormaligen Verstecke, die Natalia Romik mit einem interdisziplinären Forscherteam absolvierte.

Auch wenn die Schau zunächst weder auftrumpfend noch überwältigend daherkommt, lässt sie den Überlebensmut der teils anonymen Protagonistinnen und Protagonisten ebenso spürbar werden wie die Dramatik ihrer Lage. So bot die Abwasserkanalisation der Stadt Lwiw (Ukraine; ehemals Lemberg) mehreren Dutzend Jüdinnen und Juden Zuflucht vor den NS-Besatzern. Der hohle Baumstamm der eingangs erwähnten, über 600 Jahre alten Josefseiche im polnischen Wisniowa diente wahrscheinlich Dawid und Paul Denholz als Versteck. Die Brüder überlebten die Schoa und emigrierten nach Kriegsende in die Vereinigten Staaten.

Zwei Familien versteckten sich wiederum in einem nicht belegten, ausgebauten Grab auf dem Jüdischen Friedhof an der Okopowa-Straße in Warschau, bevor sie entdeckt wurden. Nur zwei Jugendliche überlebten, nach dem Zweiten Weltkrieg wanderten sie nach Israel aus. Einer von ihnen, Abraham Carmi, besuchte den Ort seines Verstecks mehrmals mit israelischen Reisegruppen. In Huta Zaborowska, einem Dorf in Zentralpolen, konnte sich mutmaßlich ein Kind in einem Holzschrank verstecken: Das im Inneren mit Zeichnungen und Inschriften versehene Möbelstück ist derzeit in Frankfurt zu sehen.

Dieses Exponat macht die prekäre Situation der Versteckten unmittelbar sinnlich erfahrbar. Und auch, wenn die Frankfurter Präsentation lange vor dem 7. Oktober 2023 geplant wurde, erscheinen einige der dort gezeigten Geschichten beklemmend aktuell, wie Mirjam Wenzel erläutert: »Diesen Schrank bringen wir heute auch mit der Erzählung von dem Schrank in Verbindung, in dem zwei Kinder in einem Kibbuz überlebten, während ihre Eltern von der Hamas erschossen wurden.«

Die Ausstellung ist bis 1. September im Jüdischen Museum Frankfurt zu sehen. www.juedischesmuseum.de

Antisemitismus

Gert Rosenthal: »Würde nicht mit Kippa durch Neukölln laufen«

Die Bedrohung durch Antisemitismus belastet viele Jüdinnen und Juden. Auch Gert Rosenthal sieht die Situation kritisch - und erläutert, welche Rolle sein Vater, der Entertainer Hans Rosenthal, heute spielen würde

 01.04.2025

Berlin

Hans Rosenthal entdeckte Show-Ideen in Fabriken

Zum 100. Geburtstag des jüdischen Entertainers erzählen seine Kinder über die Pläne, die er vor seinem Tod noch hatte. Ein »Dalli Dalli«-Nachfolger lag schon in der Schublade

von Christof Bock  01.04.2025

Künstliches Comeback

Deutschlandfunk lässt Hans Rosenthal wiederaufleben

Der Moderator ist bereits 1987 verstorben, doch nun soll seine Stimme wieder im Radio erklingen – dank KI

 01.04.2025

Interview

Günther Jauch: »Hans Rosenthal war ein Idol meiner Kindheit«

Der TV-Moderator über den legendären jüdischen Showmaster und seinen eigenen Auftritt bei »Dalli Dalli« vor 42 Jahren

von Michael Thaidigsmann  01.04.2025

Jubiläum

Immer auf dem Sprung

Der Mann flitzte förmlich zu schmissigen Big-Band-Klängen auf die Bühne. »Tempo ist unsere Devise«, so Hans Rosenthal bei der Premiere von »Dalli Dalli«. Das TV-Ratespiel bleibt nicht sein einziges Vermächtnis

von Joachim Heinz  01.04.2025

TV-Legende

Rosenthal-Spielfilm: Vom versteckten Juden zum Publikumsliebling

»Zwei Leben in Deutschland«, so der Titel seiner Autobiografie, hat Hans Rosenthal gelebt: Als von den Nazis verfolgter Jude und später als erfolgreicher Showmaster. Ein Spielfilm spürt diesem Zwiespalt nun gekonnt nach

von Katharina Zeckau  01.04.2025

Geschichte

»Der ist auch a Jid«

Vor 54 Jahren lief Hans Rosenthals »Dalli Dalli« zum ersten Mal im Fernsehen. Unser Autor erinnert sich daran, wie wichtig die Sendung für die junge Bundesrepublik und deutsche Juden war

von Lorenz S. Beckhardt  01.04.2025 Aktualisiert

Hans Rosenthal

»Zunächst wurde er von den Deutschen verfolgt - dann bejubelt«

Er überlebte den Holocaust als versteckter Jude, als Quizmaster liebte ihn Deutschland: Hans Rosenthal. Seine Kinder sprechen über sein Vermächtnis und die Erinnerung an ihren Vater

von Katharina Zeckau  01.04.2025

TV-Spielfilm

ARD dreht prominent besetztes Dokudrama zu Nürnberger Prozessen

Nazi-Kriegsverbrecher und Holocaust-Überlebende in einem weltbewegenden Prozess: Zum 80. Jahrestag dreht die ARD ein Drama über die Nürnberger Prozesse - aus der Sicht zweier junger Überlebender

 01.04.2025