Schon oft wurde das israelische Fernsehen totgesagt. Doch mittlerweile haben Produktionen aus dem jüdischen Staat einen exzellenten Ruf auf dem internationalen TV- und Serienmarkt. Mit Hatufim etwa, dem Vorbild für die US-Serie Homeland, oder BeTipul (In Behandlung) sorgten Autoren und Drehbuchschreiber in jüngster Zeit für einiges Aufsehen. Nun ist dem israelischen Fernsehen mit Fauda ein Geniestreich gelungen, der das Niveau noch einmal bedeutend heben wird.
Die Serie über israelische Undercover-Agenten im Einsatz, eine Idee des Schauspielers Lior Raz und des Journalisten und Nahost-Experten Avi Issacharoff, hat es zum Video-Streamingdienst Netflix geschafft und wird dort als Eigenproduktion gezeigt. Seit Dezember auch bei uns – eine Sensation für die Produzenten, Regisseur Assaf Bernstein und den israelischen TV-Sender Yes Oh.
Terroristen Dabei hat Fauda zunächst einmal einen konventionell anmutenden Plot. Die Serie gibt einen Einblick in die Arbeit der geheimen Kommandoeinheit »Mista’arvim«. Die hochspezialisierte Undercover-Truppe, die sowohl aus Armee- als auch Polizei-Elitekräften rekrutiert wird, wurde für Geheimeinsätze gegen palästinensische Terroristen gegründet. Die meisten von ihnen sind Agenten, Navy Seals und hochspezialisierte Arabisten in Personalunion.
Sie operieren meist im Gazastreifen sowie im Westjordanland und sind speziell darauf trainiert, als Teil der arabischsprachigen Bevölkerung zu erscheinen. Ihr Name leitet sich vom arabischen Musta’arabi ab, »denen, die unter Arabern leben«, und bezieht sich auf arabischsprachige Juden, deren Heimat seit Jahrtausenden der Nahe Osten war, bis sie nach der Staatsgründung Israels von den arabischen Staaten vertrieben wurden.
Fauda handelt von einer Einheit dieser Helden der Verteidigung Israels. Beziehungsweise von der Jagd nach dem Hamas-Phantom »Panther«, den Doron, ehemaliger Kommandeur der Truppe, in einem Showdown »neutralisiert« zu haben schien. Doch der Panther lebt. Hier beginnt Fauda (auf Deutsch: Chaos). Die israelische Eliteeinheit kommt dem Hamas- Kommandanten und seinem vorgetäuschten Tod auf die Spur. Und sie meldet sich bei Doron, der mittlerweile sein ziviles Leben als Winzer zu genießen scheint. Der lässt sich natürlich bequatschen, die langweilige Betulichkeit seiner neuen Existenz wieder gegen das Schattendasein als Unbekannter einzutauschen.
gebrochen Rund eine Folge lang hat der Zuschauer das Gefühl, eine der üblichen Undercover-Storys zu verfolgen. Doch schnell wird klar: Fauda ist anders. Die Serie ist so realistisch, wie eine fiktionale Serie nur sein kann. Beide Ideengeber wissen, wovon sie reden. Lior Raz, der den in mehrerlei Hinsicht gebrochenen Charakter des Doron auch meisterhaft spielt, selbst in einer Spezialeinheit diente und Sohn irakisch-algerischer Juden ist. Und Issacharoff, preisgekrönter Publizist, der sich seit Jahren dem Thema Nahostkonflikt verschrieben hat.
Und so stürzt die vorgeblich vorhersehbare Thriller-Serie in atemberaubendem Tempo ins Chaos des Wirklichen. Zu viel Testosteron und Egozentrik sorgen dafür, dass die Jagd auf Taofik Hamed »Abu Ahmad«, den »Panther«, von blutigen Pannen begleitet ist. Eine nahezu obszöne Quote von Misserfolgen begleitet die unterschiedlichen Protagonisten, die die Autoren doch eigentlich als Helden zeichnen. Oder doch nicht?
Derlei widersprüchlich durchbrochene Charaktere sind eigentlich eher Geschöpfe des Autorenfilms oder anspruchsvoller Literatur – in einem Politthriller ist das gänzlich ungewohnt. Dass eine Geheimexistenz unerträglichen Druck auf Psyche und Charakter ausübt, zeigen die ganzen scheinbar nebensächlichen Handlungsstränge um Sex, wechselseitige Erpressungen, Rivalitäten und Neurosen, die im weiteren Verlauf der Handlung immer zentraler werden. Das ist, ohne irgendetwas von der rasant spannenden und immer wieder überraschenden Handlung zu verraten, eine überragende Stärke von Fauda.
zionistisch Ein weiteres Highlight ist die Erzählperspektive. Natürlich ist es klar, dass der Zuschauer auf der Seite der »Guten« steht, oder wie Drehbuchautor Lior Raz es kürzlich im Interview mit der »Jüdischen Allgemeinen« formulierte: »Die Erzählperspektive ist eine zionistische. Wir sind Israelis, Zionisten, und wir lieben unser Land. Und trotzdem wollten wir die Bösen nicht als flache Typen ohne Gefühle darstellen, denn auch sie haben Familien, lieben ihre Kinder und haben viel zu verlieren.«
Wenn der Hamas-Terrorist um seinen Bruder trauert, die palästinensische Braut um ihren Bräutigam – dann entwickelt man als Zuschauer nicht unbedingt Empathie für die andere Seite. Aber es beschleicht einen unweigerlich das gern verdrängte Gefühl, dass es sich sogar bei Selbstmordattentätern um Menschen handelt. Menschen mit unerfüllten Träumen, gescheiterten Biografien und erst in letzter Konsequenz zerborstenen Sprengstoffgürteln.
Auch Palästinenser haben Mütter und Kinder, die um ihre Liebsten trauern, und auch Israelis handeln bisweilen unmoralisch. Was eine so banale Wahrheit ist, frisst sich bei Fauda unbarmherzig weiter ins Unbewusste des Zuschauers. War da gerade ein Hauch von Mitleid für den erschossenen Killer zu spüren? Nein, das kann man doch nicht zulassen – oder doch?
blutbäder Zumindest hinterlässt die Serie die Erkenntnis, dass jede Aktion in diesem geheimen Dauerkrieg zwei Ergebnisse zeitigt: ein israelisches und ein palästinensisches. Bei all den Blutbädern und der Hoffnungslosigkeit, dieses buchstäbliche Chaos zu überwinden, weckt die zwölfteilige Serie, deren Rechte für die zweite Staffel sich Netflix bereits gesichert hat, Verständnis. Nicht für die Sache des Terrors, aber für das Gegenüber.
Damit hat Fauda den größtmöglichen Sensationserfolg erzielt, den eine israelische TV-Serie erzielen kann: Sie wurde auch bei den Palästinensern und in vielen arabischen Ländern zum Straßenfeger. Das mag auch an der Hauptsprache Arabisch und an den fantastischen Schauspielern liegen – vor allem aber am menschlichen Blickwinkel.
Oder, wie es Lior Raz formulierte: »Ich habe E-Mails von arabischen Zuschauern bekommen, die schreiben, dass sie zum ersten Mal Mitgefühl für die israelische Seite aufbringen konnten. Gleichzeitig sagen mir sogar rechtsgerichtete Israelis, dass sie für die palästinensische Seite durchaus Verständnis haben. Wir müssen also irgendetwas richtig gemacht haben.« Eine ganze Menge sogar!
Lesen Sie auch die Redezeit mit Lior Raz:
www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/27355