Gefragt nach seiner Berufsbezeichnung weicht Michael Abramovich aus. Pianist? Dirigent? Musikwissenschaftler? Das passe alles irgendwie, sagt er, aber eine einzelne Berufsbezeichnungen beschreibe das, was er tue, nur unzureichend. Auch auf die Frage nach seiner Herkunft windet sich Abramovich. In Bukarest sei er 1970 geboren, in Jerusalem aufgewachsen und über New York nach Berlin gekommen, wo er seit ein paar Jahren sehr gerne lebt. Jüdisch? Besser gefalle ihm »osmanisch-römisch«, Israel habe ja schließlich zu beiden Weltreichen gehört. Als »jüdischer« Musiker will er ohnehin nicht gelten. Dabei wurde in seiner Familie noch Jiddisch gesprochen. Die Großeltern kamen aus einem kleinen Ort im Donaudelta.
mischformen »Im buntesten Chaos« heißt die regelmäßige Konzertreihe, die Michael Abramovich für das Jüdische Museum Berlin organisiert. Der Titel, so hübsch er zunächst klingt, hat es in sich. Er stammt von dem Komponisten Richard Wagner aus dessen 1869 verfasstem antisemitischen Pamphlet Das Judentum in der Musik: »Wie in diesem Jargon mit wunderlicher Ausdruckslosigkeit Worte und Constructionen durcheinandergeworfen werden, so wirft der jüdische Musiker auch die verschiedenen Formen und Stylarten aller Meister und Zeiten durcheinander. Dicht neben einander treffen wir da im buntesten Chaos die formellen Eigenthümlichkeiten aller Schulen angehäuft.«
Generationen von Antisemiten haben sich auf diese Worte bezogen. Abramovich aber dreht die Beschimpfung ins Positive. Ihn fasziniert gerade das musikalische »bunte Chaos«, ob jüdisch oder nicht, weshalb er sich nicht gescheut hat, in seiner Konzertreihe den deutschen Protestanten Bach neben dem Deutsch-Juden Erwin Schulhoff aufzuführen. Wegen des »bunten Chaos’« verehrt Abramovich auch Gustav Mahler, in dessen Werken sich eine Vielzahl unterschiedlicher Stile findet. Sogar jiddische Lieder und Klesmer kann man zuweilen heraushören. Minderwertig, wie Wagner das einst meinte, sei diese Musik deshalb noch lange nicht, sagt Abramovich. Im Gegenteil. Ein wesentlicher Bestandteil jüdischer Musik habe schon immer darin bestanden, dass sie die Melodien ihrer Umgebung integriert habe. Ein Makel sei das nicht.
30 boxen Abramovichs Hang zum musikalischen Eklektizismus wurde schon in jungen Jahren in Israel geweckt, als er bei Esther Narkiss und Viktor Derevianko studierte. Seine Ausbildung setzte er in New York bei Nina Svetlanova fort. 1993 gewann der damals gerade 23-Jährige den ersten Preis im Klavierwettbewerb an der Rubin Academy in Tel Aviv. Ein Jahr später gab Abramovich sein Solodebüt in der Merkin Hall in New York. Aus dieser Zeit stammt auch seine erste CD-Einspielung zusammen mit dem Violinisten Ittai Shapiro: Sonaten für Violine und Geige von Debussy, Janacek und Strauss, erschienen bei Meridian Records. Stolz ist der Pianist Abramovich auch auf das Stück L’invitation au voyage nach einem Gedicht von Charles Baudelaire, das der junge französische Komponist Pierre Charvet für ihn geschrieben hat. Lachend erzählt er, dass er bei der Einspielung auf der Bühne umgeben war von insgesamt 30 Lautsprechern, die Teil der Komposition waren.
»freak-programm« Bei Abramovichs nächstem »Buntestes Chaos«-Konzert am 24. April stehen die beiden Russen Dimitri Schostakowitsch und Igor Strawinsky im Zentrum. Der erste, lange Zeit von den Kritikern als Parteigänger des Diktators Stalin missachtet, komponierte 1948 das Werk »Aus der Jüdischen Volkspoesie«. Der andere, Igor Strawinsky, hat schwarzafrikanischen Jazz in sein Oeuvre integriert. Abramovich wird selbst am Klavier spielen und Schostakowitsch mit den Sängern Lila Milek (Sopran), Snezana Brzakovic (Alt) und Florian Hoffmann (Tenor) aufführen. Im Anschluss folgt das String Trio of New York, das mit dem Stück »Rave Fragments of Igor Strawinsky« die Jazzseite des Komponisten beleuchtet. Aber vielleicht kommt es alles ganz anders und wir hören unvermutet statt jazziger Blue-Notes eine klagende Weise auf der Geige oder statt jüdischer Volkspoesie einen erdigen Blues. Bei Abramovich sollte man sich da so sicher nicht sein.
Auch bei zwei Konzerten unter seiner Leitung in Hamburg am 6. und 12. Mai prägt Abramovichs Lust auf unerwartete Gegenüberstellungen das Programm. Da stehen Vivaldis »Vier Jahreszeiten« unbekümmert neben dem Barockkomponisten Heinrich Ignaz Franz Biber und dem rumänisch-französischen Zeitgenossen Marcel Mihalovici. Am zweiten Abend treffen die Zeitgenossen Tovey und Bonis auf den selten gespielten jüdischen Komponisten und Pianisten Charles-Valentin Alkan (1813–1888). »Es macht einfach Spaß, so ein absolutes Freak-Programm zu machen« lacht Abramovich – wohl wissend, dass er die überraschenden Kombinationen der einzelnen Komponisten und Stücke sehr bewusst ausgetüftelt hat. »Buntestes Chaos« erfordert viel Planung.
Nächste Konzerte:
»Wanderer zwischen den Welten«, Jüdisches Museum Berlin,
24. April, 18 Uhr
Kammerkonzerte der Hamburger Symphoniker, Laeisz-Musikhalle Hamburg, 6. und 12. Mai jeweils 19.30 Uhr