Die zuletzt immer leidenschaftlicher geführte Debatte um Raubkunst und Restitution hatte ein Gutes: Erstmals fiel ein Schlaglicht auf die Bedeutung jüdischer Kunstsammler und Mäzene. Standen dabei zunächst ihre oft dramatischen persönlichen Schicksale im Vordergrund, so rücken nun ihre Sammlungen und ihre Aktivitäten als Mäzene und Förderer der Kunst immer mehr in den Fokus. Dass es hier noch immer große Lücken gibt, inzwischen gleichwohl vieles ans Tageslicht geholt wurde, machte nun eine Tagung des Potsdamer Moses-Mendelssohn-Zentrums (MMZ) deutlich.
Nicht zufällig wurde für die Veranstaltung jenes Haus im Herzen Berlins gewählt, dessen ehemaliger Bewohner wie kein Zweiter für den Aufbruch in die Moderne in Deutschland steht: das Liebermann-Palais am Pariser Platz. Max Liebermann wird in erster Linie als Künstler wahrgenommen. Weniger bekannt ist seine Sammelleidenschaft. Sein Herz schlug für französische Maler: Manet, Monet oder Degas. Liebermann habe, so die Historikerin Monika Tatzkow, mit den Augen des Künstlers gesammelt. Als Kopf der »Berliner Secession« und später als Präsident der Akademie der Künste sei Liebermann auch ein »kulturpolitischer Strippenzieher« gewesen.
dienst Ein Verwandter im Geiste war der umtriebige Kunsthändler Paul Cassirer. Mit feinem Gespür für die künstlerische Avantgarde kaufte auch er die »neuen Franzosen« an. Cassirer verkörpert zugleich jenen Typus des Händlers, der sich auch intellektuell mit Fragen zur Kunst auseinandersetzte. Ein Streiter für die Kunst, der, so der Berliner Cassirer-Experte Christian Kennert, dem Kaiserreich zwar kritisch gegenüberstand, es aber nicht ablehnte. Cassirer wie Liebermann haben ihr Streiten für die Moderne immer auch als kulturpolitischen Dienst am Vaterland verstanden. Cassirers mit seinem Cousin Bruno 1898 eröffnete Galerie war bahnbrechend. Zusammen mit der Berliner Secession, so Kennert, sei sie die »Keimzelle der modernen Kunst in Deutschland« gewesen. Mit der 1908 ins Leben gerufenen Pan-Presse eröffneten die Cassirers Künstlern wie Liebermann, Max Slevogt, Lovis Corinth und Schriftstellern wie Walter Hasenclever oder Else Lasker-Schüler eine Bühne. Harry Graf Kessler nannte seinen Freund Paul Cassirer den »Generalstabschef der modernen Kunst«.
Eine andere schillernde Gestalt war Alfred Flechtheim. Als er 1921 von Düsseldorf nach Berlin umzog, war das auch ein Signal für die Bedeutung Berlins als Kulturmetropole. Flechtheim liebte das Leben eines Großbürgers so sehr wie die Kunst. Berühmt waren die Diners in der vornehmen Bleibtreustraße, die Prominente und Künstler anzogen. Flechtheims Galerie war legendär, nicht minder seine private Sammlung, dessen Herzstück eine Reihe von Picassos bildete. Umso schmerzlicher erlebte er den sozialen Abstieg. Hatte schon die Weltwirtschaftskrise sein Unternehmen arg gebeutelt, so versetzten die Nazis seinem Lebenstraum den Todesstoß. Ins Exil getrieben, hat er den Verlust seiner 1933 liquidierten Firma nicht verkraftet. Über den Galeristen Walter Feilchenfeldt in Zürich versuchte er noch, Werke vor dem Zugriff der Nazis zu retten, musste aber die Herzstücke seiner privaten Sammlung teils zu Schleuderpreisen veräußern. Flechtheim starb 1937 völlig verarmt in London, seine in Deutschland verbliebene Frau Betty nahm sich kurz vor der Deportation 1941 das Leben.
wehmut Viele Werke aus Flechtheims Sammlung tauchten nach 1945 in Museen wie dem MoMA in New York auf oder verschwanden in privaten Sammlungen. Der Fall Flechtheim steht exemplarisch für die Zerstörung bedeutender Kunstsammlungen. Ein Kulturverlust, so MMZ-Direktor Julius Schoeps, von dem sich Deutschland nie erholt habe. Schoeps erinnerte an die Restitutionsdebatte vor einigen Jahren um zu Höchstpreisen versteigerte Picasso-Gemälde aus der Sammlung seines Großonkels Paul von Mendelssohn-Bartholdy. Wie die Bankiers Franz von Mendelssohn und Robert von Mendelssohn-Bartholdy, der Unternehmer Eduard Arnold oder James Simon gehörte er zu jenen, die auf der Basis ihres sozialen Aufstiegs im Kaiserreich zu Förderern der Kunst wurden. Ein illustrer Kreis meist jüdischer Bürger, die mit ihrem Engagement nicht zuletzt ein Bekenntnis zur europäischen Kultur abgaben. Zwischen 1900 und 1933 konnte Berlin vor allem dank der zahlreichen jüdischen Sammler und Mäzene als Zentrum der Moderne gelten. Doch diese Epoche, so Schoeps wehmütig, »ist ein für allemal vorbei«.