Terrorismus

Im Auftrag Teherans

Ein Mitglied der Biker-Gang »Hells Angels« rekrutierte für einen Anschlag auf die Synagoge in Bochum einen Bekannten; hier: »Hells Angels« in Kanada Foto: picture alliance / empics

Am Morgen des 17. Mai 2024 kam es in der Nähe der israelischen Botschaft in Stockholm zu einer Schießerei. Rund um die Botschaft und in den angrenzenden Straßen brach Panik aus, doch bereits nach zwei Minuten war der Angriff vorbei. Niemand wurde getötet oder verletzt.

Und wegen der hohen Polizeipräsenz nahe der Botschaft konnten die mutmaßlichen Täter schnell gefasst werden. Es handelte sich um drei Jugendliche: einen 14-Jährigen, der vermutlich geschossen hatte, einen 15-Jährigen, der am Steuer eines Taxis saß, in dem weitere Waffen entdeckt wurden, sowie seinen 16-jährigen Beifahrer. In den Medien hieß es, dass hinter dem Angriff wohl der IS stecke.

Aber diese Theorie stellte sich schnell als falsch heraus. Nach Angaben der schwedischen Polizei hatte keiner der drei Verdächtigen irgendwelche Verbindungen zu der Terrororganisation. Trotz ihres jugendlichen Alters waren sie auch keine TikTok-Dschihadisten, die sich im Internet radikalisiert hatten. Stattdessen kannte sie die Polizei als Mitglieder der sogenannten Rumba-Gang, einer Stockholmer Jugendbande.

Auf den ersten Blick ergab das keinen Sinn: Welches Interesse sollte eine lokale Gang daran haben, die israelische Botschaft anzugreifen? Es war nicht der erste Vorfall dieser Art. Bereits im Januar hatte es in Stockholm einen Angriff auf die israelische Botschaft gegeben, für den die Staatsanwaltschaft eine Gang verantwortlich gemacht hatte.

Nur eine Woche nach den Schüssen vom 17. Mai kam es zu einem Angriff auf die israelische Botschaft in Brüssel, bei dem die Täter ebenfalls aus dem Gangmilieu stammten. Die überraschende Erklärung war, dass die Gruppen nicht aus eigenem Antrieb handelten, sondern einen ungewöhnlichen Auftraggeber hatten, und zwar die Regierung der Islamischen Republik Iran. (…)

Der Iran war zwischen 2018 und 2024 für elf Anschlagsversuche in Europa verantwortlich.

Seit Jahrzehnten führt die iranische Regierung einen oftmals rücksichtslosen Schattenkrieg gegen ihre Gegner, allen voran die Vereinigten Staaten und Israel. Die Speerspitze bildet dabei das Korps der iranischen Revolutionsgarden (kurz: iranische Revolutionsgarden), eine eigenständige Militärorganisation, die vom Revolutionsführer Chomeini unmittelbar nach der islamischen Revolution im Jahr 1979 ins Leben gerufen wurde. Im Laufe der Jahre sind die Revolutionsgarden zu einem »Staat im Staate« gewachsen und verfügen mittlerweile über eine eigene Streitmacht, einen Geheimdienst, die gefürchteten »Basidsch«-Milizen, die überall im Land gegen Dissidenten vorgehen, sowie ein »gigantisches« Wirtschaftsimperium.

Im Laufe der Jahre sind die Revolutionsgarden zu einem »Staat im Staate« gewachsen

Unter ihrer Führung ist außerdem ein informelles Bündnis entstanden, mit dessen Hilfe der Iran seine Feinde inner- und außerhalb der Region bekämpft. Dieses Bündnis ist sowohl politischer als auch militärischer Natur, und zu ihm gehören sowohl staatliche als auch nichtstaatliche Akteure. Seine prominentesten Mitglieder sind die libanesische Hisbollah, die palästinensische Hamas, der Palästinensische Islamische Dschihad (PIJ, eine weitere Gruppe mit Wurzeln in der Muslimbruderschaft), die syrische Regierung von Baschar al-Assad, die jemenitische Bewegung »Ansar Allah« (besser bekannt als Huthis) sowie eine Reihe von schiitischen Milizen im Irak. (…)

Die iranischen Revolutionsgarden waren in den sechs Jahren von Juni 2018 bis Juni 2024 für mindestens elf Anschlagsversuche in Europa verantwortlich. Nur drei davon zielten auf iranische Oppositionelle oder Regimegegner, während acht gegen jüdische und/oder israelische Ziele gerichtet waren. Daran wird deutlich, dass der Iran Europa unverändert als Schlachtfeld seiner Auseinandersetzung mit Israel und dem Westen begreift.

Eine genauere Analyse offenbart die Vorgehensweise der Revolutionsgarden. In den meisten Fällen wären die Anschläge nicht von ihnen selbst, sondern von »Stellvertretern« durchgeführt worden – vermutlich, um die Verantwortung der iranischen Regierung zu verschleiern oder sie abstreiten zu können. Bei den ersten drei der geplanten Anschläge handelte es sich dabei um »lokale Unterstützer«, das heißt Exil-Iraner, die schon längere Zeit an den jeweiligen Orten lebten und dort zum Teil als »Schläfer« agierten.

Seit 2021 kooperieren die Revolutionsgarden mit lokalen »Profis«

Doch ab 2021 änderte sich das Muster: Seitdem kooperieren die Revolutionsgarden mit lokalen »Profis«, also Auftragsmördern oder kriminellen Netzwerken oder Gangs, wie etwa bei den Anschlägen auf die israelischen Botschaften in Stockholm und Brüssel. Dass ihnen die Umsetzung ihrer Vorhaben dennoch nicht gelang, lag in den meisten Fällen daran, dass die Anschlagsziele sehr gut geschützt waren oder dass ihnen der israelische Auslandsgeheimdienst Mossad rechtzeitig auf die Spur kam. In einigen Fällen war es wahrscheinlich reines Glück.

Den Revolutionsgarden geht es dabei nicht nur um Israel oder vermeintliche »Zionisten«. Dies illustriert ein erstes Beispiel vom April 2021. Damals wurde versucht, zwei prominente schwedische Juden zu töten: Saskia Pantell, die Chefin der Zionistischen Föderation, und Aron Verständig, den Vorsitzenden des schwedischen Rats der jüdischen Gemeinden. Als Attentäter fungierte ein iranisches Ehepaar, das seit 2015 in Schweden lebte und während eines Aufenthalts im Iran mit dem Anschlag beauftragt worden war. Unmittelbar nach ihrer Rückkehr nach Schweden im Februar 2021 begannen die beiden mit der Ausspionierung ihrer Opfer.

Versuch, zwei prominente schwedische Juden zu töten

Nachdem sie die Wohnadressen von Pantell und Verständig herausgefunden hatten, folgten sie ihnen nahezu täglich und machten dabei zahlreiche Fotos. Wie genau die Ermordung stattfinden sollte, war bis zum Schluss unklar. Doch im April war die schwedische Polizei davon überzeugt, dass die Tat kurz bevorstand, und ließ die mutmaßlichen Attentäter festnehmen.

Wie sich herausstellte, agierten die Ehepartner als »Schläfer« der Revolutionsgarden. Als sie im Sommer 2015 nach Schweden gekommen waren, gaben sie sich als Afghanen aus und präsentierten gefälschte Dokumente. Dies blieb nicht lange unbemerkt. Bereits im darauffolgenden Jahr machte ein Übersetzer darauf aufmerksam, dass der Dialekt des Paars keinesfalls aus Afghanistan stammte.

Wenig später erhielt die Einwanderungsbehörde zwei anonyme Tipps, denen zufolge der Mann eine falsche Identität angegeben habe und ein »potenziell gefährlicher Iraner« sei. Dennoch wurde dem Asylgesuch der beiden im Jahr 2017 stattgegeben, und sie konnten auf unbestimmte Zeit in Schweden bleiben. Dort lebten sie nach Angaben der schwedischen Behörden vier Jahre lang völlig unauffällig, bevor sie mit der Tötung der zwei Juden beauftragt wurden. Zu einem Gerichtsprozess gegen das Paar kam es nie: Nach zehn Monaten juristischer und diplomatischer Verwicklungen wurden die beiden in den Iran abgeschoben.

Anschläge auf drei Synagogen in NRW sowie den Präsidenten des Zentralrats der Juden geplant

Ein zweites Beispiel stammt vom Herbst 2022 und betrifft geplante – und teilweise durchgeführte – Anschläge auf drei Synagogen in Nordrhein-Westfalen sowie den Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster. Auftraggeber war der Deutsch-Iraner Ramin Yektaparast, ein mehrfach vorbestrafter Krimineller und Gründer des Mönchengladbacher Chapters der Biker-Gang »Hells Angels«. Yektaparast rekrutierte einen Bekannten (ebenfalls ein Deutsch-Iraner), um den Anschlag auf die Synagoge in Bochum durchzuführen. Ein weiterer Kontakt plante einen Angriff auf die Synagoge in Dortmund. Und eine dritte, weiterhin unbekannte Person feuerte vier Schüsse auf die Synagoge in Essen und das Wohnhaus des dortigen Rabbiners ab.

Diese Person erhielt auch den Auftrag, die Lebensumstände von Josef Schuster auszukundschaften. Die einzige Verurteilung, die am Ende zustande kam, war die des Attentäters von Bochum, bei der das Oberlandesgericht Düsseldorf feststellte, dass die Planung auf »staatliche iranische Stellen« – das heißt die Revolutionsgarden – zurückging.

Ein Auftraggeber war Ramin Yektaparast, ein mehrfach vorbestrafter Deutsch-Iraner.

Yektaparast blieb zunächst von der Strafverfolgung verschont, da er bereits im Jahr 2021 in den Iran geflohen war. Damals stand er unter Verdacht, ein anderes Gangmitglied ermordet zu haben, und stand kurz davor, von den deutschen Behörden verhaftet zu werden. Laut Medienberichten halfen ihm die Revolutionsgarden bei seiner Flucht und verpflichteten ihn daraufhin zur Mitarbeit. (…)

Dass der Plan aufflog, lag vor allem daran, dass die Person, die er für den Anschlag auf die Dortmunder Synagoge rekrutiert hatte, kalte Füße bekam und zur Polizei ging. Auch die israelischen Behörden verfolgten die gesamte Operation offenbar mit großem Interesse. Doch statt auf die (unwahrscheinliche) Auslieferung Yektaparasts nach Deutschland zu warten, nahmen sie die Sache selbst in die Hand: Anfang 2024 wurde Yektaparast von einer israelischen Spezialoperation im Iran getötet.

Der vom iranischen Staat gesponserte und von den Revolutionsgarden und ihren Partnern in der »Achse des Widerstands« durchgeführte Terrorismus ist somit der dritte Bestandteil der bevorstehenden Welle. Auch hier geht es um dschihadistischen Terrorismus, weil alle Akteure – die Revolutionsgarden, die Hamas und die Hisbollah – Islamisten sind, die ihre Gewalt religiös rechtfertigen.

Aus Sicht von Iran und Hisbollah sind salafistische Dschihadisten eine Bedrohung

Das bedeutet nicht, dass sie mit anderen Strömungen des Dschihadismus – wie etwa dem ISPK (»Islamischer Staat – Provinz Khorasan«) oder den TikTok-Dschihadisten – eine Einheit bilden oder mit ihnen zusammenarbeiten. Im Gegenteil: Aus Sicht von Iran und Hisbollah sind salafistische Dschihadisten eine Bedrohung, weil sie Schiiten als »Abtrünnige« betrachten. Und auch die Hamas hat mit salafistischen Dschihadisten eine komplizierte, in den meisten Fällen ablehnende oder gar feindliche Beziehung.

Was sie trotz aller Unterschiede eint, ist eine Ideologie, die im Vormarsch der westlichen Moderne eine Gefahr für den Islam sieht und ihn deshalb gewaltsam bekämpfen will. Dies ist auch der Grund, weshalb die bevorstehende Terrorwelle eine Bewährungsprobe für Europa und europäische Gesellschaften ist: Sie bedroht nicht nur Personen oder Personengruppen, sondern vor allem die Idee eines liberalen und pluralistischen Europas.

Peter R. Neumann ist Professor für Sicherheitsstudien am Londoner King’s College und einer der führenden Terrorismusexperten weltweit. Dieser Beitrag ist ein Auszug aus seinem neuen Buch »Rückkehr des Terrors« (176 S., 22 €), das am 17. September bei Rowohlt Berlin erscheint. Wir danken Autor und Verlag für die freundliche Genehmigung für diesen Vorabdruck.

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