Ein wahrer deutscher Professor hat zu allem etwas zu sagen. Erst recht, wenn es eine Professorin ist. Barbara Vinken lehrt nicht nur Allgemeine Literaturwissenschaft und Romanische Philologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und ist Autorin erfolgreicher Sachbücher über Mutterschaft und über Mode.
Auch zum Nahen Osten hat sie eine dezidierte Meinung. »Nur in einem säkularen Staat, nicht in einer Theokratie, wie sie zum Beispiel Ajatollah Khomeini im Iran durchgesetzt hat, oder im Staat Israel, der die Bürger jüdischer Religion privilegiert und Bürger anderer Religionen diskriminiert, ist freie Religionsausübung ... möglich«, schreibt die Wissenschaftlerin in der evangelischen Monatszeitschrift »chrismon« (www.chrismon.evangelisch.de/artikel/2017/37070/uni-hamburg-verhaltenskodex-zu-religioeser-toleranz).
Fakten Das ist zwar, was Israel angeht, sachlich falsch. Die Gleichbehandlung der Bürger unabhängig von ihrer Religion ist im jüdischen Staat gesetzlich garantiert. Nicht nur auf dem Papier. Am Obersten Gericht zum Beispiel amtiert ein muslimischer Jurist gleichberechtigt neben jüdischen Kollegen. Im Offizierskorps der Armee bis in die Generalität hinein sind Drusen überdurchschnittlich vertreten. Arabische Christen haben in Israel die niedrigste Armuts- und Arbeitslosenrate, noch vor der jüdischen Bevölkerung.
Aber was scheren schon Fakten, wenn es um Israel geht. Dem Zionismus ist bekanntlich alles Böse zuzutrauen. Das weiß Frau Professorin, und das weiß die Redaktion von »chrismon« offenbar ebenso. Deshalb ist dort wohl auch niemand auf die Idee gekommen, den Text auf sachliche Richtigkeit zu überprüfen. Ein kurzer Blick in Wikipedia hätte es bereits getan. Aber bei dem Blatt – und es steht damit nicht allein im deutschen Medienwesen – glaubt man unbesehen jedes Gerücht über den jüdischen Staat.
Wobei selbstverständlich weder Frau Professor Vinken noch die »chrismon«-Macher etwas gegen Juden als solche haben. Im Gegenteil: Der Artikel verteidigt dezidiert ihr Recht, jüdische Symbole wie Davidstern und Kippa an der Universität öffentlich zu tragen. Weil wir in Deutschland ja bekanntlich toleranter sind als die privilegierten Juden in Israel.
Ammenmärchen »Chrismon« ist kein Nischenblatt. Es liegt monatlich als Supplement unter anderem der »Zeit«, der Süddeutschen Zeitung und der FAZ in insgesamt 1,6 Millionen Exemplaren bei. Für die Verbreitung von Frau Vinkens Ammenmärchen ist also gesorgt. Publiziert wird die Monatszeitschrift von der Evangelischen Kirche in Deutschland. Herausgeber sind unter anderen der EKD-Ratsvorsitzende Bischof Heinrich Bedford-Strohm und die »Reformationsbotschafterin« Margot Käßmann.
Die Evangelische Kirche fühlt sich bekanntlich dem christlich-jüdischen Dialog zutiefst verpflichtet. Mutmaßlich wird »chrismon« deshalb im März auch einen Text zur »Woche der Brüderlichkeit« veröffentlichen. Falls die Redaktion dafür noch einen Autor vom moralischen Kaliber und der Sachkunde Barbara Vinkens suchen sollte: Ken Jebsen steht bestimmt gern zur Verfügung.