Hitler liebte Micky Maus. Er bekam die Filme von Joseph Goebbels geschenkt, der viel Mühe darauf verwendete, die Cartoons für seinen Führer aufzutreiben. Diese Randnotiz zur Geschichte ist nur eine von vielen Erkenntnissen aus der Filmtagung »Die Machtergreifung der Bilder. Der Nationalsozialismus im Film«, die die Bildungsabteilung im Zentralrat in der vergangenen Woche in Wiesbaden veranstaltete.
Für die ideologische Aufrüstung der Bevölkerung spielte der Film im Nationalsozialismus eine zentrale Rolle. Zu diesem Zweck bediente sich das Regime geschickt der Suggestivkraft der Bilder. »Die Nazis haben mit den filmischen Bildern die Mobilisierung der Menschen betrieben«, erläutert Doron Kiesel, wissenschaftlicher Direktor der Bildungsabteilung. »Die Absicht, die wir mit der Tagung verbinden, ist es, einen Raum zu schaffen, in dem man sich idealtypisch der Wirkung dieser Filme annähern kann, sowohl durch die inneren Bilder, Gefühle und die Betroffenheit, die sie auslösen, als auch kraft der aus der Distanzierung gewonnenen wissenschaftlichen Analyse.« Vor allem gelte es, sehen zu lernen, die tieferen Schichten der Filmsprache freizulegen, um deren Macht und Botschaft zu entschlüsseln. »Und diese notwendige Dekonstruktion macht es wiederum erst einmal notwendig, sich die Filme anzuschauen«, so Kiesel.
Und das war keine leichte Übung, standen doch etwa mit Veit Harlans Jud Süss (1941), mit den Rothschilds (1940) von Erich Waschneck und dem Epos Ohm Krüger (1940, Regie: Hans Steinhoff), das die Internierung der Buren durch die Engländer in Afrika als historische Blaupause für die von den Deutschen betriebenen Konzentrationslager inszeniert, einige der schlimmsten Machwerke aus der NS-Filmproduktion auf dem Programm.
Unterhaltung Viele dieser Filme – circa 1100 – gehören heute zum Bestand der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, deren Aufgabe es ist, das deutsche Filmerbe von den Anfängen der ersten bewegten Bilder um 1910 bis ins Jahr 1960 zu bewahren und zu erforschen. Finanzieren muss die Stiftung ihre Arbeit aus den Lizenzeinnahmen, die bei Verleih und Vermarktung der Filme anfallen – für Ernst Szebedits, Vorstand der ebenfalls in Wiesbaden ansässigen Stiftung, eine bedenkliche Konstruktion.
Rund 15 Prozent der NS-Filme, so die Einschätzung von Experten, haben einen manifest propagandistischen Inhalt, während die große Mehrheit als »Unterhaltungsfilm« mit weniger offensichtlicher ideologischer Signatur angesehen wird. 44 Produktionen gelten aufgrund ihres volksverhetzenden, rassistischen oder kriegsverherrlichenden Tenors als »Vorbehaltsfilme«, das heißt, sie dürfen nicht in den Verleih, sondern nur nach vorheriger Genehmigung durch die Murnau-Stiftung gezeigt werden, und dann auch nur, wenn eine fachkundige Einführung und eine anschließende Diskussion unter professioneller Leitung die Vorführung umrahmen.
Doch ist diese Unterscheidung zwischen Propaganda und harmloser Unterhaltung überhaupt sinnvoll? Mitnichten, auch das war eine der wichtigen Erkenntnisse aus diesen drei Tagen in der hessischen Landeshauptstadt. Doch um zu erkennen, wie die Indoktrination funktioniert, auch wenn kein einziges NS-Emblem zu sehen ist, bedarf es eines »zweiten oder dritten Blicks«, wie Doron Kiesel meinte.
Körper Was darunter zu verstehen ist, das haben die beiden Filmwissenschaftler Lea Wohl von Haselberg (Potsdam) und Daniel Wildmann (London) in ihren glänzenden Darstellungen jeweils eindrucksvoll vorgeführt. Wildmann beschäftigte sich in seinem Vortrag intensiv mit dem 24-minütigen »Prolog« zu Leni Riefenstahls Olympiafilm von 1938, schon dieser Vorspann ein cineastisches Meisterwerk, das die Geburt des arischen Körpers aus dem Geiste und dem Feuer des antiken Olympias zelebriert. Bei Riefenstahl führt ein direkter Weg von Apollon zu dem Zehnkämpfer Erwin Huber, einem der Stars der Berliner Olympiade von 1936 und Hauptfigur des »Prologs«. Hitlers »blonde Bestie«, so die Botschaft, ist die aus der Vorwärtsbewegung der Geschichte erwachsene Verlebendigung und Vollendung des antiken Helden.
Abwesend in dieser Darstellung, aber in Wildmanns Deutung stets als »abstoßendes, hässliches Gegenbild« mitgedacht: »der jüdische Körper«. Wildmann zeigte darüber hinaus, wie sehr Riefenstahl, »glühende Nationalsozialistin und brillante Filmemacherin« zugleich, ihr Publikum manipulierte: Beim Einzug der Nationen ins Olympiastadion sieht es so aus, als würden auch die meisten ausländischen Sportler den Hitlergruß ausführen. Tatsächlich war es der olympische Gruß, bei dem ebenfalls der Arm gehoben wird, aber eher seitlich, mit geneigter Hand und nicht mit durchgestreckten Fingern. Indem Riefenstahl die Reihenfolge der Eimarschierenden veränderte und diese aus einer bestimmten Perspektive zeigte, entsteht beim Zuschauer der Eindruck, als würde die ganze Welt dem Führer gestisch huldigen.
Gefühle Lea Wohl von Haselberg beschäftigte sich vor allem mit dem NS-Frauenbild und zeigte anhand mehrerer ausgewählter Beispiele, wie die »Mobilmachung der Gefühle« damals selbst in so unterschiedlichen Genres wie dem Heimat- oder dem Revuefilm funktionieren konnte. Die Botschaft an die Zuschauerinnen blieb in jedem Fall gleich: Jede individuelle Lebensgestaltung ist der konventionellen Ordnung zu opfern, die Emanzipation der Frau mündet in ihren Tod; Verführung, Begehren und Ekstase müssen eingehegt werden; »unwerte« Mutterschaft wird vernichtet, »rassisch minderwertige« Kinder dürfen nicht geboren werden.
Wie also umgehen mit dieser gefährlichen filmischen Hinterlassenschaft der Nazis? Bis heute wird darüber heftig diskutiert, das war auch während dieser Filmtagung nicht anders. Gezeigt hat diese Veranstaltung in jedem Fall, dass es einer Schule des Sehens bedarf, um der Machtergreifung durch Bilder zu entgehen. »Das Dekodieren von Bildsprachen muss genauso gelernt und eingeübt werden wie das Lesen von Texten«, war der Filmregisseur und -kritiker Rüdiger Suchsland überzeugt. Insofern war die Rückschau auf den NS-Film zugleich auch ein notwendiger Blick nach vorn.