Josef Joffe

»Ideen statt Identitäten«

Josef Joffe, Stanford University, spricht auf der Innovationskonferenz Digital-Life-Design (DLD). Foto: picture alliance/dpa

Ein Urgestein des deutschen wie des internationalen Journalismus: Josef Joffe, Amerika-, außenpolitischer und Nahost-Experte, erklärte uns über Jahrzehnte die Welt, in der er zu Hause ist wie kaum ein Zweiter. Und er tut es noch.

»Kann und sollte man diese Partei austreiben? Die Antwort: Nein, jedenfalls nicht hier und heute«, kommentierte Joffe zuletzt im Januar in einem Pro & Contra-Beitrag in der Jüdischen Allgemeinen einen möglichen Verbotsantrag der AfD. Er schloss: »Lieber sorgfältig recherchieren als schnell fallieren.« Einer dieser Sätze, die wie gemeißelt sind.

Josef Joffe wird am 15. März 80 Jahre alt – und mischt munter, wortgewaltig mit. Der Deutsch-Amerikaner jüdisch-polnischer Abstammung setzt und setzte sich stets für den transatlantischen Dialog und für Israel ein. In einem Interview mit der Jüdischen Allgemeinen (2009) charakterisierte er sein Verhältnis zu Israel. Freund dieses Landes zu sein heiße »erstens: Kein Feind zu sein – davon hat Israel genug. Zweitens: kritische Zuneigung, so wie einem persönlichen Freund oder der Frau Gemahlin gegenüber. Freund sein, heißt Vertrauen und Verständnis aufbringen. Dann wird Kritik als konstruktive verstanden.«

Worte, die heute, im Angesicht des 7. Oktobers und seiner Folgen, wichtiger scheinen denn je. Das markiert die Qualität des »Old-School«-Journalisten, der Meinung und Nachricht gern trennt. Geschriebenes trifft in seinem Fall meist zu. Freilich ist er kein Augur. Die Gräueltaten der Hamas trafen auch ihn ins Mark. Bitter kommentierte Joffe im November 2023 in der Jüdischen Allgemeinen: »Es brauchte nur den Funken der Massaker und Israels existenzielle Gegenwehr, um Orgien der Judenfeindschaft zu entfachen.«

Geboren wurde er als Josef Joffé im März 1944 im polnischen Lodz unter deutscher Besatzung in einem Bunker.

Geboren wurde er als Josef Joffé im März 1944 im polnischen Lodz unter deutscher Besatzung - in einem Bunker:  Dort hatten sich seine jüdischen Eltern unter abenteuerlichen Umständen verstecken können, nachdem sie dem Ghetto von Wilna entkommen waren. Als eine Hebamme in einem benachbarten Bunker gesucht wurde, um Joffes Mutter zu besuchen, wurden die Bewohner des Verstecks aufgrund eines Medikaments, das sie offenbar alle eingenommen hatten, bewusstlos aufgefunden – und gerettet.

»Meine Geburt war weniger kompliziert«, sagte der ehemalige amerikanische Außenminister und Friedensnobelpreisträger Henry Kissinger in seiner Laudatio anlässlich der Verleihung der Leo-Baeck-Medaille an Josef Joffe 2014. Ebenso wie Joffe jüdischer Deutsch-Amerikaner, witzelte er: »An seinem ersten Tag auf der Welt hat er viele Leben gerettet.«

In seinem anschließenden Vortrag zum Thema »The golden age of german-jewish history« wagte Joffe einen Vergleich zwischen den Vereinigten Staaten im 20. Jahrhundert und Deutschland in der Zeit zwischen Bismarck und den Nazis: »In einer Nation, die auf dem Vormarsch ist, schlägt die Zukunft die Vergangenheit, während Talent und Ehrgeiz den Glauben und die Abstammung in den Schatten stellen.«

Das skizziert sein Glaubensbekenntnis vielleicht am besten. Die Familie ließ sich nach dem Krieg in Berlin-Charlottenburg im britischen Sektor nieder. Die Eltern eröffneten ein Fachgeschäft für Uhren und Edelmetallankauf und schickten den Jungen schon früh als Austauschschüler in die USA. Dort studierte er später an der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore und erlangte 1967 den Master in »International Studies«. Er erhielt ein Stipendium für Politologie der renommierten Harvard-University und promovierte 1975.

Seine Laufbahn begann er als politischer Redakteur der Wochenzeitung »DIE ZEIT«. Zwischen 2001 und 2004 war er zusammen mit Michael Naumann Chefredakteur. 

Seine Laufbahn begann er als politischer Redakteur der Wochenzeitung »DIE ZEIT« in Hamburg. Bald übernahm er das investigative Ressort »Dossier«. Später leitete er 15 Jahre das Ressort Außenpolitik der »Süddeutschen Zeitung« und kehrte 2000 zur »ZEIT« zurück – in der Funktion des Herausgebers, zusammen mit dem früheren Bundeskanzler Helmut Schmidt. Zwischen 2001 und 2004 war er zusammen mit dem ehemaligen Kulturstaatsminister Michael Naumann auch Chefredakteur. 

Man kann Josef Joffe also nicht als einen »Jobhopper« bezeichnen. Abgesehen von dieser »konservativen« journalistischen Kontinuität ließ er sich auch nie in ein politisches Lager gleich welcher Couleur einbinden. Er publiziert zudem in anderen Medien – wie etwa im Tagesspiegel seit 20 Jahren die Kolumne »Was macht die Welt?«. Als regelmäßiger Autor der »New York Times«, »Washington Post«, »Wall Street Journal«, »Time«, »Newsweek«, aber auch in »Prospect« in London oder »Commentaire« in Paris wird seine Stimme praktisch in der gesamten westlichen Welt gehört - und sicherlich auch ungern in anderen Weltregionen, wenn er mal wieder über »Russlandversteher« wettert.

Seit seiner Schulzeit, Studium und Promotion in den USA seien die »transatlantischen Beziehungen das Leitmotiv seiner publizistischen Tätigkeit. Er gilt als einer der profiliertesten deutschen Amerika-Experten«, schrieben die Kollegen der ZEIT über ihren Herausgeber. »Ich gehöre zu der nicht sehr großen Gruppe hier im Lande, die die USA mögen«, so Joffe selbst, »wahrscheinlich, weil ich das Land immer von seinen besten Seiten kennengelernt habe. So sieht man mehr als Fast Food, B-Movies und George W. Bush. Kein anderes Land ist so komplex und chaotisch wie Amerika, mit all seinen Problemen, keines so kreativ und Takt angebend.«

Josef Joffe ist sicherlich einer der einflussreichsten Journalisten seiner Zeit. Anlässlich einer anderen Preisverleihung, des Scopus Awards des Freundeskreises der Hebräischen Universität Jerusalem (2009), sagte der damalige Außenminister Joschka Fischer, Joffes Artikel hätten ihren Anteil an seiner eigenen Entwicklung hin zum »außenpolitischen Realo« gehabt – dafür wolle er sich, wenn auch verspätet, bedanken.

Er sei »nie auf dem jüdischen Ticket gefahren«, bekannte Joffe einmal und sagte dazu den hundertfach zitierten Satz: »Ich finde Ideen interessanter als Identitäten«. Als Journalist, Ressortleiter und Herausgeber folgte er seinen Grundsätzen: »Harte Recherche, guter Stil, sorgfältiges Redigieren, todsichere Themenauswahl - das sind die Kriterien.«

»Ich gehöre zu der nicht sehr großen Gruppe hier im Lande, die die USA mögen«, sagt Joffe über sich selbst.

Er schrieb Bücher wie »Friede ohne Waffen? Der Streit um die Nachrüstung« (1981), »Die Hypermacht. Warum die USA die Welt beherrschen« (2006) oder »Mach dich nicht so klein, du bist nicht so groß« über jüdischen Humor als Weisheit, Witz und Waffe. Damit ist er auf dem englisch- wie deutschsprachigen Buchmarkt zu Hause. Zusammen mit seiner Frau, der Journalistin Christine Brink, arbeitete er an der deutschen Übersetzung von Art Spiegelmans Pulitzer-Preis gekrönter Graphic Novel »Maus«, in der er die Holocaust-Geschichte seiner Eltern verarbeitet.

Als Jemand, der sich an das journalistische Gebot des »audiatur et altera pars« halte - eben alle Seiten zu befragen – bleibt er bescheiden: »Mein Anliegen war nichts anderes als vorbildlicher Journalismus.« Es ist überliefert, dass sich Josef »Joe« Joffe gern mal eine Zigarre anzündet. Zudem betrachtet er seine Berufung durchaus als Privileg: »Reisen bedeutet für mich das Neue erleben und dabei faulenzen.«

Plötzlich aber wurden Vorwürfe gegen ihn laut. Im Zuge der von der »ZEIT« und dem NDR geführten Recherchen zum Cum-Ex-Skandal habe er 2017 einen langjährigen Freund, den Hamburger Warburg-Bank-Chef Max Warburg, im Vorfeld über die Recherchen seines eigenen Hauses gewarnt. Joffe bestreitet dies, ließ aber ab 2022 seine Herausgebertätigkeit ruhen, die 2023 ohnehin auslief.

Er kommentierte das gegenüber der »Welt« mit den Worten: »Im Wilden Westen hieß es: Macht ihm einen fairen Prozess, dann dürft ihr ihn hängen. Heute gerät schon der Verdacht zum Beweis, die Vermutung zum Verdikt. Das ist kein deutsches, sondern ein gesamtwestliches Phänomen.«

Und wie weiter? »Überdies«, sagte er im gleichen Interview, »sollte 13 Jahre nach dem Pensionsalter Schluss sein, und so habe ich seit 2021 einen Parallelweg eingeschlagen: als Politikprofessor in Amerika.«

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