Herr Koren, wann haben Sie am 7. Oktober beschlossen, Ihre Kamera zu nehmen und loszufahren?
Sofort. Ich bin von den Sirenen aufgewacht, den ganzen Morgen gab es Beschuss und Alarm. Ich eilte hinaus, um einen direkten Einschlag hier in Tel Aviv zu fotografieren. Dann tat ich etwas, was ich normalerweise nicht tue: Ich ging nach Hause und schaltete den Fernseher ein, um vielleicht ein wenig zu erfahren, was da eigentlich passierte. Wir hatten ja keine Ahnung, was wirklich los war. Es gab dann Berichte über die Situation im Süden, und da sah ich die Katastrophe, die sich dort abspielte. Ich nahm meine gepanzerte Weste, meinen kugelsicheren Helm und meine Kameras, und dann ging es los.
Wohin fuhren Sie?
Ich habe mich mit ein paar anderen Journalisten zusammengetan und versucht, so weit wie möglich in den Süden zu kommen. Das Erste, was wir im Fernsehen sahen, waren die Pick-ups der Hamas-Terroristen in Sderot. Also versuchten wir, nach Sderot zu gelangen. Es gab schwere Kämpfe um die Polizeistation in der Stadt. Als wir ankamen, lagen in allen Autos Leichen. Wir gingen von einem zum anderen. Es war absolute Stille. Ich habe keinen einzigen Polizisten, keinen einzigen Soldaten gesehen. Ich fuhr auf einer Straße voller toter Menschen.
Sie haben schon unzählige Konflikte und auch Kriege fotografiert. Wie gehen Sie damit um?
Ich bin seit über 30 Jahren Fotojournalist und sehe meine Arbeit als Verpflichtung und als Engagement, die Geschichte zu erzählen. Insbesondere wenn es um die Dokumentation der Gräueltaten des 7. Oktober geht, ist es auch eine historische Mission. Nicht nur für die Zeitung von morgen, sondern auch, um ein visuelles Dokument für zukünftige Generationen zu hinterlassen.
Derzeit stellen Sie Fotos im Abgeordnetenhaus aus. Welche Bilder sind zu sehen?
Ich habe diese Ausstellung für das israelische Außenministerium zusammengestellt, weil es immer mehr Menschen gibt, die leugnen, was am 7. Oktober geschehen ist. Ich habe zum einen Fotos aus den verwüsteten Kibbuzim ausgewählt. Sie zeigen verbannte Häuser und all das Schreckliche, das an diesen Orten in der Nähe des Gazastreifens passierte. So viele Menschen wurden abgeschlachtet, hingerichtet, ermordet, vergewaltigt und brutal behandelt. Zum anderen sind in der Ausstellung auch Fotos von den freigekommenen Geiseln zu sehen.
Eine der Geiseln, die freikam, ist Mia Schem. Eine junge Frau, die schwer verletzt wurde. Sie durften Sie begleiten. Wie kam diese Begegnung zustande?
Ich versuche als Dokumentarfotograf während meiner gesamten Karriere, nicht nur an der Oberfläche der Geschichten zu bleiben, sondern tiefer zu gehen und die Geschichte der Figur aus einem sehr nahen Blickwinkel zu erzählen, der es mir erlaubt, auch intime Situationen zu begleiten und dabei den Moment so natürlich wie möglich zu zeigen. Ich habe das bereits in der Vergangenheit bei Soldaten gemacht, die ich über eine längere Zeit begleitet habe. Bei Mia hatte ich mich an ihre Mutter gewandt und versucht, ihr zu erklären, was für eine Art von Dokumentation ich über ihre Tochter machen wollte. Es war mir wichtig zu erzählen, dass ich sie über mehrere Wochen begleiten würde und wir gemeinsam daran arbeiten. Dass ich nichts hinter ihrem Rücken tun würde. Sie ist Teil des Bildes, das ich fotografiere. Und dass wir gemeinsam entscheiden würden, welche Art von Geschichte wir erzählen wollen.
Wie gelingt es Ihnen, mit der Kamera dabei zu sein, ohne, dass die Spontaneität eines Moments verloren geht?
Je mehr Zeit man mit der Person verbringt, die man fotografiert, desto mehr relativiert sich die Tatsache, dass es da jemanden gibt, der ein Außenstehender ist, der nicht zur Familie gehört, aber die ganze Zeit da ist. Man gewöhnt sich an den Gedanken, dass da jemand mit einer Kamera ist. Und mit der Zeit öffnete sich Mia und begann, mir ihre Geschichte zu erzählen. Sie sprach darüber, was sie als Geisel in Gaza durchgemacht hat, all diese schrecklichen Momente. Sie sprach über den Schmerz und den Hunger. Sie hat den Text zu den Bildern geschrieben.
Wie lange waren Sie bei Mia?
Ich habe ungefähr vier Wochen fast jeden Tag bei ihr verbracht. Wir sind wirklich Freunde geworden. Am vergangenen Freitag hatten wir ein Abendessen mit ihrer Familie. Ich habe meine Töchter mitgebracht, und wir haben einfach zusammen zu Abend gegessen. Ich besuche sie zwei- oder dreimal pro Woche im Krankenhaus, ohne Fotos zu machen, einfach nur so, um Hallo zu sagen, sie zu umarmen und zu sehen, wie es ihr geht. Und wir schreiben uns fast jeden Tag Kurzmitteilungen. Wir sind wirklich Freunde geworden.
Sie sind Fotojournalist. Sie dokumentieren Dinge. Wenn Sie sich ein Foto wünschen könnten, welches wäre das?
Nun, ich bin kein Träumer, ich halluziniere keine Bilder. Aber um ehrlich zu sein: Das einzige Bild, das ich in diesen Tagen wirklich gern fotografieren würde, sind die Geiseln, die zurück nach Hause und zu ihren Familien kommen. Das ist sozusagen das ultimative Bild, das ich gern machen würde.
Mit dem israelischen Fotografen sprach Katrin Richter.
Die Ausstellung »Das Massaker vom 7. Oktober und seine Folgen – Fotos von Ziv Koren« ist bis zum 12. April in der Wandelhalle des Abgeordnetenhauses zu sehen.