Herr Machnes, Ihr erster Kurzfilm »Auschwitz on My Mind« lief auf mehr als 150 internationalen Filmfestivals, gewann 16 Preise. Seitdem haben Sie weitere Kurzfilme gedreht, die international Beachtung fanden. Wie sind Sie Filmemacher geworden?
Ich habe schon immer Geschichten erzählt, meinen Freunden, meiner Familie. Filmemachen ist genau das: Geschichten erzählen. Aber mit dem Kino habe ich mich lange Zeit gar nicht viel beschäftigt. Auch heute noch habe ich da eine große Wissenslücke. In der Schule und auch noch beim Militär habe ich mich vor allem für das Theater interessiert und eigene Stücke geschrieben. Eines Tages während meines Militärdienstes gab mir dann ein Kamerad ein Buch über das Drehbuchschreiben, und ich begann, mich für diese Form des Geschichtenerzählens zu interessieren. Nach dem Militär reiste ich erst einmal – wie es viele Israelis machen – für ein Jahr in der Welt herum und fing dann an, Mathematik zu studieren. Gleichzeitig nahm ich Abendkurse im Filmemachen. In dem Moment, als ich das erste Mal eine Kamera in Händen hielt, war das wie Magie für mich. Nach einem Jahr ließ ich dann die Mathematik hinter mir und ging mit einem Stipendium nach London, um Regie zu studieren.
In »Auschwitz on My Mind« geht es um die beiden israelischen Teenager Roy und Vered, zwischen denen sich auf einer Schulreise zu den ehemaligen Vernichtungslagern in Polen ein Liebesverhältnis anbahnt. Woher hatten Sie die Idee?
Zwei Dinge haben mich schon immer besonders interessiert: das Thema Identität und das Absurde. Die israelischen Delegationen zu den nationalsozialistischen Todeslagern beinhalten beides. Es geht bei diesen Reisen um die Identitätsfindung als Jude und als junger Erwachsener. Gleichzeitig hat das etwas Paradoxes für Teenager: Einerseits freuen sie sich, mit ihren Freunden wegzufahren, und ihre Hormone spielen verrückt, andererseits ist der Anlass der denkbar ernsteste. Diese Ambivalenz habe ich selbst erlebt, als ich mit 17 Jahren diese Reise gemacht habe.
Roy und Vered schaffen es am Ende gar nicht bis nach Auschwitz. Sie werden wieder nach Hause geschickt, weil sie wegen ihres Techtelmechtels zu spät zu einem Gespräch mit einer Holocaust-Überlebenden kommen. Gab es auch Menschen, die das pietätlos fanden?
Ich wusste damals, dass »Auschwitz on My Mind« eine Gratwanderung ist. Aber, um ehrlich zu sein, wurde ich dafür kein einziges Mal kritisiert. Ich denke, ich erzähle eine sehr menschliche Geschichte, die zum Denken anregt, ohne das auf eine rücksichtslose Art und Weise zu machen. In dem Film spielt eine echte Holocaust-Überlebende mit. Als sie den Film sah, war sie sehr berührt und hat mir von einer kleinen Romanze erzählt, die selbst sie damals im Lager gehabt hatte. Da wusste ich, dass ich den richtigen Ton getroffen hatte.
In diesem Film – wie auch in all Ihren anderen Filmen – halten sich Ernsthaftigkeit und Grauen mit Humor und Humanität die Waage. Eine sehr jüdische Balance.
Ja, vielleicht. Das Akzeptieren von unüberwindbarem Schmerz zusammen mit der Fähigkeit, auch darüber manchmal zu lachen. Das ist für mich das Absurde: Sinnlosigkeit und Leiden mit Humor zu begegnen.
In Ihrem Erstlingswerk ging es um Auschwitz. Ihre folgenden Arbeiten handeln vom Militärdienst. Wäre es Ihnen als jüdischer Israeli überhaupt möglich gewesen, diese Themen zu umgehen?
Unmöglich nicht. Aber ich komme aus einem Land, in dem Identität sehr, sehr wichtig ist, und mir geht es nicht anders. Die jüdische Identität ist etwas sehr Spezielles, und ich fühle mich privilegiert, mich damit auseinandersetzen zu können. Gleichzeitig liegt dadurch eine große Last auf meinen Schultern. Auch in den Projekten, die ich gerade plane, spielt das Thema eine große Rolle.
Welche Projekte sind das?
Für den israelischen TV-Sender Kan arbeite ich an einer Serie über »Hayalim Bodedim«, Soldaten, die allein aus dem Ausland nach Israel kommen. Außerdem würde ich gerne aus »Auschwitz on My Mind« einen langen Film machen. Bisher scheiterte das leider an der Finanzierung. Deutlich näher an der Vollendung ist ein Spielfilm, den ich hier in Berlin drehen werde. Die Grundidee ist einfach: Ein junger Israeli und ein palästinensischer Taxifahrer haben über drei Jahre hinweg mehrere Fahrten miteinander, während derer sie sich langsam kennenlernen. Auch das beruht auf einer Erfahrung, die ich selbst in Berlin gemacht habe.
Sie wuchsen in Savjon in der Nähe von Tel Aviv auf. Im Winter 2020 sind Sie nach Berlin gezogen. Wie kam es dazu?
Von »arte« erhielt ich damals den Auftrag, eine Serie zu entwickeln. Dafür ergab es Sinn, nach Berlin zu ziehen. Doch ich hatte zuvor schon öfter mit dem Gedanken gespielt, dauerhaft hierherzukommen. Ich kenne die Stadt gut und habe viele Freunde hier.
Was schätzen Sie an Berlin besonders?
Berlin ist überwältigend. Die Möglichkeiten, die man hier hat, sind riesig. Das mag ich sehr. Manchmal ist es aber auch anstrengend. Als ich 2014 das erste Mal für ein Kurzfilmfestival hierherkam, war ich nicht sicher, ob ich die Stadt mögen würde. Israelis, die Berlin toll finden? Das empfand ich einfach zu sehr als Klischee. Ich hatte damals Gelegenheit, Berlins großartige Musikszene kennenzulernen: Jazz, Soul, Balkan und – Klezmer! In Tel Aviv hört man diese Musik, die ich sehr mag, viel seltener. So wurde ich dann doch noch zu einem Israeli, der sich in Berlin verliebt hat.
Mit dem Regisseur sprach Joshua Schultheis.