William Goldstein lebt in Los Angeles. Es ist 9.30 Uhr morgens. Gerade hat er ein paar Dehnübungen gemacht, im Hintergrund seines Zimmers steht ein Regal mit Büchern, Statuen, die aussehen wie berühmte Preise – und es auch sind.
Herr Goldstein, welche Musik hören Sie eigentlich, wenn Sie, wie jetzt gerade, zu Hause sind?
Nicht sehr viel. Ich höre Musik eher im Auto.
Weshalb nur im Auto?
Wenn ich zu Hause an Musik arbeite, dann kann ich mich nur auf das eine Stück konzentrieren. Im Auto höre ich dann Nachrichten. Aber wenn überhaupt etwas bei mir läuft, dann klassische Musik. Ich war in den 70er-Jahren ja ein Motown-Künstler, also mag ich auch RʼnʼB. Ich mag auch Theater-Musik vom Broadway, aber der Broadway von heute hat musikalisch nichts mehr mit dem von damals zu tun. Das Heute ist ja eher etwas für die Toilette. Ich mag Bach wirklich gern. Ich habe auch ein Album: »The Bach Effect«, auf dem ich dem Ganzen etwas mehr Emotionalität verleihen wollte. Übrigens habe ich gerade am vergangenen Freitag die Single »Homage To The Maestro« veröffentlicht.
Leonard Bernstein – wie fanden Sie eigentlich den Netflix-Film?
Sehr gut! Ich habe ihn bereits drei Mal gesehen. Als ich als junger Musiker anfing, waren alle meine frühen orchestralen Arbeiten sehr von Bernstein beeinflusst. Ich liebe auch russische und französische Komponisten. Alles, was ich höre, beeinflusst mich irgendwie. Ich kann Musik nicht nicht wahrnehmen. Wenn ich in einem Restaurant sitze und im Hintergrund Musik läuft, dann kann ich sie nicht ausblenden; sie lenkt mich von jeglicher Unterhaltung ab.
Sie spielen Klavier, hatten aber nie wirklich Klavierstunden. Was hat dieses Instrument also?
Ich wuchs auch in einem Zuhause ohne Piano auf, das kommt ja noch hinzu. Keine Ahnung, was der Meister des Universums da geplant hatte. Ich habe diese Gabe, die mir hilft, wenn ich Musik schnell komponieren muss. Als Neunjähriger war ich an der Columbia University, nicht, um dort der jüngste Student zu sein, aber zur Beobachtung wegen meines musikalischen Talents. Meine Mutter bekam damals allerhand Hinweise, nicht, dass sie irgendetwas davon berücksichtigt hätte, aber egal. Ich habe diese Gabe, und manchmal gehe ich mit einem musikalischen Problem zu Bett, und wenn ich aufwache, habe ich die Lösung dafür.
Aber was ist denn nun so toll am Piano?
Okay, also: Meine religiösen Freunde würden sagen, dass Gott es gegeben hat. Unsere Familie war im Hotelgewerbe. Und im Sommer lebten wir also in diesem Hotel, in dessen Ballsaal ein Piano stand. Ich muss da mit drei oder vier Jahren immer hingelaufen sein. Als ich acht oder neun Jahre alt war und ins Kino ging, konnte ich das, was ich da gehört habe, zu Hause nachspielen. Alles passiert, wenn es passieren soll, vermute ich. Ich glaube daran, dass alles Gute und alles Schlechte vom selben Gott erschaffen wird. Wenn unsere Welt vom Meister des Universums erschaffen wurde und man sich das Ganze einmal genauer ansieht, dann stellt man fest: Die Orte und Namen ändern sich, aber die Situationen, aus denen jede Generation lernen muss, die bleiben doch größtenteils die gleichen. Die Universität des Lebens wartet also mit ein paar Herausforderungen auf.
Welchen Rat würden Sie den Studienanfängern geben, wenn wir einmal im Bild der Universität des Lebens bleiben?
Wir Juden haben die schwierigsten Probleme. Wir sind das Graduiertenkolleg.
Und welche Strategie hilft?
Na ja, ich glaube nicht, dass man zu Gott beten kann, man möge aus dieser oder jener Situation herausgeholt werden. Mein Gebet wäre ganz einfach: Was lerne ich daraus? Bitte hilf mir, in dieser Situation der Beste zu sein und alles das zu schaffen, was mir auferlegt wurde. Was auch immer das sein mag. So, und um mehr kann man nicht bitten.
In Ihrer langen Karriere haben Sie ganz unterschiedliche Musik komponiert. Von Musik zu Dokumentationen über einen »Tribute to Jacques Cousteau« bis hin zum Soundtrack zur Fernsehserie »Fame«. Wie erinnern Sie sich an die »Fame«-Zeit?
Ich verbinde viele schöne Momente damit. Eigentlich wollte ich nie Fernsehmusik machen. Ich dachte immer, sie sei sehr einengend, aber »Fame« war eine Ausnahme. Ich habe letztendlich 48 Folgen der Serie gemacht. Das kam übrigens so: Ich war gerade von einer Reise in den Fernen Osten zurückgekommen, wo ich als Gastkünstler tätig war. Mein damaliger Agent rief mich an, um mir ein Treffen mit dem Leiter der Musikabteilung bei Metro-Goldwyn-Mayer vorzuschlagen. Es stellte sich heraus, dass sie die Kompositionen zu den ersten zehn Episoden von »Fame« verworfen hatten. Sie waren nicht zufrieden und brauchten zehn neue – und zwar schnell.
Da kamen Sie ins Spiel.
Ja, ich kam ja von Motown. Berry Gordy entdeckte mich 1975. 1976 hatte ich einen Auftrag für die 200-Jahr-Feier beendet. Das Stück wurde vom National Symphony Orchestra in Washington D.C. aufgeführt. Ich habe also immer viele Hüte getragen. Und vom Standpunkt des Produzenten aus gesehen, war ich also perfekt für die Show. So kam ich rein und spielte die ersten zehn Stücke. Sie fragten mich, ob ich bleiben würde, und ich sagte: ›Nun, ähm, ich, wissen Sie, Sie sollten wirklich nach jemand anderem suchen, aber bis Sie jemanden finden, werde ich noch eine Episode machen.‹ Es gab bei »Fame« so tolle Leute. Zum Beispiel Albert Hague, der den Musiklehrer Benjamin Shorofsky spielte. Oh, wow. Er war auch ein wunderbarer Komponist, der die Noten für einige Filme geschrieben hatte.
Wussten Sie, dass er in Berlin geboren wurde?
Stimmt! Ja! Und Albert rief mich an und sagte: ›Oh, ich finde es einfach toll, was du in dieser Folge gemacht hast.‹ Und, wissen Sie, wir wurden alle zu einer Familie. Ich habe auch sehr eng mit Debbie Allen zusammengearbeitet, die die Tanzlehrerin Lydia Grant spielte. Wir haben ungefähr zwei Nummern pro Woche einstudiert. Als mir klar wurde, dass mich die Arbeit an »Fame« nicht davon abhalten würde, andere Dinge zu tun, habe ich weitergemacht. Nach vier Jahren verließen alle ursprünglichen Mitarbeiter, mich eingeschlossen, die Serie. Aber es war eine wunderbare Erfahrung, und ich habe einige wunderbare Sachen gemacht.
Die Sendung lief Mitte der 80er-Jahre im damaligen Westfernsehen und später dann auch als Teil der Jugendsendung »Elf 99«, einem Format des Fernsehens der DDR.
Zur Wende fällt mir übrigens eine Anekdote ein. Eigentlich eine sehr interessante Geschichte. Es war im November 1989, ich nahm eine Filmmusik in Budapest auf. Da war ich also. Die Mauer fiel, ich sah es in meinem Fernseher, blickte auf die Donau. Es war unglaublich. Es war meine erste Reise nach Ungarn. Später kehrte ich noch viele Male in das Land zurück.
Der 7. Oktober 2023 hat alles verändert. Wie nehmen Sie die Stimmung wahr?
Ich bin ein großer Unterstützer Israels. Ich habe dort eine Menge Familie. Jeder, der die Geschichte kennt, weiß, dass die Juden immer ein Frühwarnzeichen waren – so wie ein Kanarienvogel im Bergwerk. Was heute in Israel passiert, der Kampf, den Israel führt, das ist wirklich der ultimative Kampf des Guten gegen das Böse. Israel muss deswegen unterstützt werden. Der Verlust von Menschenleben in diesem Teil der Welt ist tragisch, aber er kann den Verursachern der Gewalt angelastet werden. Die Hamas schert sich, wie wir alle wissen, keinen Deut um ihre eigene Zivilbevölkerung. Deswegen sind alle Proteste in der Welt, die »propalästinensischen Proteste«, außerordentlich fehlgeleitet von unwissenden, uninformierten Menschen, die keine Ahnung haben, was vor sich geht, und auch keinen Sinn für die Geschichte haben. Die palästinensischen Araber hätten 1947 ihren eigenen Staat haben können, so wie die palästinensischen Juden auch. Ja, und sie waren alle Palästinenser. Der angesehene israelische Außenminister Abba Eban sagte einmal: »Die Palästinenser haben nie eine Gelegenheit verpasst, eine Gelegenheit zu verpassen.«
Sie sagten gerade »unwissende, uninformierte Menschen« – auch an anerkannten Universitäten in den USA wird ja protestiert. Wie empfinden Sie das?
Ich bin außerordentlich schockiert über die Proteste. An Ivy-League-Schulen, die Orte, an denen es angeblich gebildete Menschen geben soll. Das einzig Gute an den Ereignissen – das Negative hat irgendwie immer auch etwas Positives – ist, dass diese antizionistischen, anti-israelischen, antisemitischen, antijüdischen Dinge, die sich schon seit Langem unter der Oberfläche abspielen und jetzt an die Oberfläche gekommen sind, auf den Kopf gestellt werden. Wir haben zwei Universitätspräsidenten, die zurücktreten mussten. Einigen großen Universitäten wurden Gelder gestrichen. Wissen Sie, der Pöbel wird immer der Pöbel bleiben, aber ich denke, es gibt ein Bewusstsein dafür, was es braucht, dagegen aufzustehen. Ich bin Florian von Heintze sehr dankbar, dass er mir die Möglichkeit gegeben hat, an dem Konzert in Berlin teilzunehmen. Ich möchte mir Frieden und Harmonie im Nahen Osten wünschen, was nur durch den Sieg über das Böse möglich sein wird. Und deshalb müssen wir Israel unterstützen.
Sie spielen am Sonntag in der Synagoge Rykestraße in Real Time. Was heißt das?
Es sind Live-Improvisationen, die die Stimmung und die Atmosphäre des Ortes und des Publikums mit aufnehmen. Es war schon ein Unterschied, von Filmmusik auf diese Art des Musikmachens umzusteigen. Das war eine Art Erweckungserlebnis für mich. Seit 2011 habe ich viele Aufnahmen und Kollaborationen dazu gemacht.
Wie ist denn das Live-Spielgefühl?
Vielleicht gehört zur Wahrheit, dass jeder Konzertpianist, der sich hinsetzt und ein Stück spielt, es so spielen sollte, als wenn er es zum allerersten Mal aufführt. So, dass er ein Erlebnis für das Publikum schafft, das es noch nicht zuvor erlebt hat. Mir wurde klar, dass ich für 99 Prozent des Publikums ein vorher so noch nicht da gewesenes Erlebnis kreiere. Vielleicht sind die Reaktionen aus dem Publikum auch deshalb so gefühlvoll.
Mit dem Musiker sprach Katrin Richter. William Goldstein spielt am 20. Januar gemeinsam mit Guy Braunstein in der Synagoge Rykestraße. www.williamgoldstein.com