Frau Winnemuth, Sie waren ein Jahr lang in der Welt unterwegs und haben jeden Monat in einer anderen Stadt gelebt. Unter anderem auch vier Wochen in Tel Aviv. Warum war diese Stadt auf Ihrer Wunschliste?
Tel Aviv war eine der ersten Städte, die ich mir auf den Zettel mit meinen zwölf Zielen geschrieben hatte. Ich wollte schon immer nach Israel, ich finde es sogar Pflichtprogramm für jeden Deutschen, einmal dort gewesen zu sein. Tel Aviv habe ich mir ausgesucht, weil es natürlich die deutlich säkularste Stadt ist, wo man es –fern der religiösen Konflikte in Jerusalem – sehr nett haben kann. Es ist eine sehr lebens- und liebenswerte Stadt.
Hatten Sie irgendeine Erwartung, bevor Sie nach Tel Aviv gefahren sind?
Ich war vorher – wie wohl die meisten – etwas beklommen angesichts der Frage, wie es mir da als Deutsche gehen würde. Wie würde ich empfangen werden? Würde man mich die Schuld spüren lassen? Ich war erleichtert, als genau das Gegenteil der Fall war. Ich hatte den Eindruck, als Deutsche sogar besonders gut behandelt zu werden.
Vor Tel Aviv waren Sie in Barcelona, danach in Addis Abeba. Hat Sie Barcelona in irgendeiner Weise auf Ihr nächstes Ziel vorbereitet?
Nein. Die Reihenfolge meiner Städteauswahl hat viel mit dem Klima zu tun, ich wollte nicht im Hochsommer in Barcelona sein, sondern im Herbst. Tel Aviv hatte ich mir ausgesucht, weil der Oktober 2011 der Monat mit den meisten jüdischen Feiertagen war.
Wie haben Sie die erlebt?
Besonders Jom Kippur fand ich großartig. Ich war wirklich ahnungslos und wusste nicht, dass der Feiertag schon am Abend zuvor beginnt. Ich bin also ganz arglos nachmittags auf die Straße gegangen, um mir noch etwas zu essen zu kaufen, und musste zu meiner Verblüffung feststellen, dass die Läden alle schon geschlossen hatten. Mein Kühlschrank blieb also leer, was an Jom Kippur ja auch nicht schlecht ist. Mich hat die Ruhe in der Stadt beeindruckt. Diese absolute Stille, wie man sie in einer Großstadt sonst nicht kennt. Man hat die Stadt für sich: Zuletzt hatte ich dieses Gefühl bei der Ölkrise 1973, als kein einziges Auto fuhr. Und abends, als die Kinder mit Rollschuhen die Hauptstraßen eroberten, das war schon toll.
Gab es etwas, was Ihnen an Israel nicht gefallen hat?
Auf Anhieb nicht. Ich fand es eher bemerkenswert, wie viele unterschiedliche Orte es in einem vergleichsweise kleinen Land gibt. Ebenso wie Jerusalem eine Stadt der scheinbar unvereinbaren Gegensätze ist, gilt es für das ganze Land. Was dort auf engstem Raum – auch landschaftlich gesehen – zu erleben ist, fand ich beeindruckend. Das war mir vorher nicht bewusst.
Leser des Magazins der »Süddeutschen Zeitung« haben Ihnen auf Ihrer Reise Aufgaben gestellt. Welche ist Ihnen aus Tel Aviv besonders in Erinnerung?
Eine Sekretärin aus München bat mich, für ihren jüngst verstorbenen Chef eine Kerze in der Grabeskirche von Jerusalem anzuzünden. Das hat mich sehr bewegt, weil mir die Bitte viel über den Chef, aber auch seine Mitarbeiterin verraten hat.
Wenn Sie sich aus allen zwölf Metrolpolen eine perfekte Stadt zusammenstellen könnten, was würden Sie aus Tel Aviv mitnehmen?
Den Strand, den Granatapfelsaft und die heitere Entspanntheit der Leute, die angesichts der Umstände geradezu sensationell ist. Damit käme man in meiner perfekten Stadt schon verdammt weit.
Mit der Journalistin sprach Katrin Richter.
Meike Winnemuth, 1960 geboren, ist freie Journalistin unter anderem beim »Stern« und dem »SZ-Magazin«. In der Show »Wer wird Millionär?« gewann sie 500.000 Euro und begab sich ein Jahr lang auf Weltreise – zwölf Städte in zwölf Monaten. Ihre Erlebnisse hat Meike Winnemuth in dem Buch »Das große Los« festgehalten. Ihrem Reise-Blog »Vor mir die Welt« folgten mehr als 200.000 Leser, er wurde für den Grimme Online Award 2012 nominiert und bei den Lead Awards 2012 ausgezeichnet.
»Das große Los. Wie ich bei Günther Jauch eine halbe Million gewann und einfach losfuhr«, Albert Knaus, München 2013, 336 S., 19,99 €
www.vormirdiewelt.de