»Aber wieso denn ausgerechnet zu den Kampftruppen? Wieso?«, rief ich entsetzt aus, als du uns das erste Mal erzählt hast, dass du deinen Militärdienst in einer Kampfeinheit für Frauen leisten möchtest. Das war vor gut einem Jahr, da warst du 17. Und der Krieg in Gaza hatte gerade erst begonnen.
Du hast in deinem für dein Alter so abgeklärten Ton geantwortet: Ich weiß nicht, wieso dich das so überrascht, Papa, so habt ihr mich doch erzogen: dass Israeli zu sein heißt, dem Kollektiv etwas zurückzugeben; dass dieser Ort hier darauf aufgebaut ist, dass man füreinander bürgt; dass es Pflicht ist, zur Armee zu gehen; und dass man in der Armee etwas von Bedeutung machen soll.
Ja, aber –
Willst du mir sagen, dass ihr das alles gar nicht so gemeint habt, Papa, und dass all euer Gerede von Werten Bullshit war?
Doch, doch, wir haben alles genau so gemeint, habe ich dir zerknirscht geantwortet. Und habe mir im Stillen gedacht: zum Teufel mit den Werten und der Armee. Wenn dir nur ein Haar gekrümmt wird, dann wird mein Herz zu schlagen aufhören. Und ich habe gehofft: In diesen Kampfeinheiten gibt’s ein Auswahlverfahren. Vielleicht finden sie irgendein ungewöhnliches Geräusch in deinem Herzen und stufen dich deshalb niedriger ein.
Seitdem ist ein Jahr vergangen. Man hat kein ungewöhnliches Geräusch in deinem Herzen entdeckt. Und du wurdest nicht niedriger eingestuft.
Ganz im Gegenteil. Du bist in die Kampfeinheit aufgenommen worden, in die du gern wolltest. Hast unterschrieben, wie ein Mann behandelt zu werden, das heißt, du hast dich verpflichtet, der Armee mindestens drei Jahre zu dienen, wie die Männer. Du hast dich vorbereitet: Bist zu einem Fitness-Kurs für angehende kämpfende Soldatinnen und Soldaten gegangen, hast 1000 Liegestütze gemacht, bist im Schlamm gekrochen und mit Sandsäcken auf dem Rücken gesprintet, bist dieselben Treppen 200-mal hoch- und runtergerannt, hast alles getan, um für deine Einberufung bereit zu sein.
Und heute passiert es. Heute wirst du zum Militär eingezogen.
Seitdem du mit drei Jahren im Yarkon-Park von dem Baum mit dem windschiefen Stamm gefallen bist (»Ich bin nicht gefallen, Papa! Gaia hat mich geschubst!«), hatte ich das Gefühl, dass man unter unseren drei Töchtern auf dich besonders aufpassen muss. Gerade weil du stark, selbstständig und mutig bist.
Ob ich die Nächte durchschlafen kann, solange du in der Armee sein wirst, weiß ich nicht.
In den nächsten drei Jahren werde ich keine Möglichkeit haben, auf dich aufzupassen. Sogar der Besuch auf deinem Stützpunkt ist mir, wie du mehrmals betont hast, absolut und strengstens verboten. (Diesen Wink mit dem Zaunpfahl habe ich verstanden, aber trotzdem werde ich versuchen, dir das bestmögliche vegetarische Essen bis zum Zelt zu bringen. In den Befehlen der Armee – das wirst du mit der Zeit noch lernen – gibt es immer eine Lücke, durch die sich das Menschliche hineinschleichen kann.)
Ob ich die Nächte durchschlafen kann, solange du in der Armee sein wirst, weiß ich nicht.
Aber jede Nacht werde ich bangen, ob auch die anderen Werte in dir gefruchtet haben, die wir dir mitzugeben versucht haben: dass das Leben wertvoll und schön ist. Dass man darauf achtgeben muss und es nicht unnötig gefährden sollte, dass man es nicht für den Kick aufs Spiel setzen sollte. Dass das Wichtigste ist, ein guter Mensch zu sein. Wichtiger, als die Beste zu sein. Ein guter Mensch – empathisch, mitfühlend, hilfsbereit. Dass man nicht vergessen darf, dass auch jener, der zum Feind erklärt wurde, ein Mensch ist. Und dass du, wenn einer kommt, um dich zu töten, gegen ihn kämpfen musst. Aber wenn er machtlos am Boden liegt, oder wenn er gar nur jemand ist, der aus Versehen in die Situation geraten ist, dann musst du barmherzig sein. Ansonsten wird dich ein jedes Unrecht, das du einer anderen Person angetan hast, jahrelang verfolgen. Auch wenn du es auf Befehl getan hast.
Genauso darfst du nicht vergessen, dass du deine Meinung äußern darfst, jederzeit und überall. Auch dann, wenn deine Meinung konträr zu den Befehlen oder den Meinungen deiner Vorgesetzten steht. Das Militär wird dich vor moralische Herausforderungen stellen. Und du wirst auf dein Gewissen hören müssen.
Ich vertraue deinem Gewissen. Dein Gewissen war es, das dich mit 15 Jahren dazu gebracht hat, auf ein ökologisches Gymnasium zu gehen. Weil du dachtest, dort mehr Raum zum freien Denken zu haben. (Du hattest recht.) Dein Gewissen war es, das dich dazu angetrieben hat, dich mir auf Demonstrationen anzuschließen. Oft warst du dort die jüngste Protestierende (wie stolz ich auf dich war!). Und deines Gewissens wegen fragen deine Freunde dich gern um Rat und hören deinen klaren Ansichten aufmerksam zu. (Und auch ich frage dich gern um Rat!)
Meine kluge, mutige Tochter, ich wünsche dir, dass du in deiner Uniform aufblühen und strahlen wirst. Dass du dich in deinem Militärdienst zugehörig und wertgeschätzt fühlst. Ich bin überzeugt, dass es so sein wird. Sicher wird es auch schwierige Momente geben. Das ist normal. Aber ich weiß, dass die kommenden Jahre dich voranbringen und dich stärker machen werden. Klare Strukturen taten dir immer gut. Und du wusstest immer, wie du deinen Weg in ihnen findest.
Ich werde immer für dich da sein und warte darauf, dass du wieder wohlbehalten nach Hause kommst.
In Liebe, dein größter Fan,
Papa
***
Diesen Brief stecke ich meiner Tochter in die Seitentasche ihres großen Rucksacks, den sie für die Armee packt. Sie verspricht mir, ihn im Ausbildungscamp zu lesen.
Hunderte Eltern bringen ihre Töchter oder Söhne auf den Opferaltar des Landes.
Als wir am Morgen darauf am Rekrutierungskomplex ankommen, erinnert die Szene an eine massenhafte Opferung Isaaks: Hunderte Eltern bringen ihre geliebten Söhne oder Töchter auf den Opferaltar des Landes. Regen fällt uns ins Gesicht. Wie in der Armee selbst weiß niemand, wo man hingehen oder bei welcher Schlange man sich anstellen muss, und wir versinken bis zu den Knöcheln im Schlamm, bis wir endlich das Zelt finden, in dem meine Tochter sich melden muss.
Nach einer langen Stunde des Wartens (in der einzigen Schlange meines Lebens, von der ich mir wünschte, sie würde länger werden) verabschiedet sie sich von uns mit einer Umarmung und steigt in den Bus, der sie – bis auf manche kurzlebige Wochenenden – für drei Jahre lang mitnehmen wird.
Ich erinnere mich an eine Zeile des Dichters Jehuda Amichai: »Und das Gesicht meines Sohnes / am Platz der Einberufung im Busfenster / wie eine Briefmarke in der Ecke des Kuverts.« Ich suche ihr Gesicht in den Busfenstern, aber sie sind dunkel und blickdicht. Der Bus, in dem sie sitzt, setzt sich in Bewegung. Ohne Umkehr.
Aber am Abend ebenjenes Tages, an dem meine Tochter zur Armee eingezogen wurde, verkündet US-Präsident Biden das Inkrafttreten einer Feuerpause im Libanon. Und zum ersten Mal seit langer Zeit gibt es keinen Raketenalarm, und wir müssen nicht zum Schutzraum rennen.
Am Morgen strahlt die Sonne (schließlich ist Israel das Land der ewigen Sonne, es gibt hier keinen richtigen Winter), und der Taxifahrer, der mich abholt, sagt, challas, genug, die sollen auch die Sache in Gaza endlich zu Ende bringen und mit der ganzen Scheiße aufhören, ich komme wegen alldem nicht mehr über die Runden.
Ich antworte ihm, recht hast du, challas, es reicht, so geht es nicht weiter. Und gestehe mir die Hoffnung zu, dass nach all der Zerstörung und den Verlusten, der Furcht und der Trauer, der Scham und der Melancholie womöglich Tage der Ruhe auf uns warten könnten, vielleicht sogar Jahre der Ruhe. Und dass mit viel Glück meine Tochter gerade in solchen Jahren ihren Wehrdienst leisten wird.
Aus dem Hebräischen übersetzt von Lucia Engelbrecht