Herr Mueller-Stahl, Sie haben in Ihrem neuen Bildband Freunde und Weggefährten porträtiert. Diese haben zwei Dinge gemeinsam: Sie haben Ihr Leben geprägt, und sie waren allesamt jüdisch. Von wem würden Sie sagen, dass er den stärksten Einfluss auf Ihr Leben genommen hat?
Das ist ganz klar Fritz Wisten gewesen. Ihm verdanke ich alles. Damals, in den 50er-Jahren, wollte ich als Geiger Karriere machen, aber Wisten ließ mich nicht zurück zur Musik gehen. Er entdeckte in mir als Schauspieler ein Talent, das ich selbst und viele andere nicht in mir sahen. Von ihm habe ich gelernt, was es handwerklich als Schauspieler zu lernen gibt. Er war ja selbst nicht nur Regisseur, sondern auch Schauspieler. Eine seiner Überzeugungen war: beim Spielen alles Überflüssige weglassen. Und je mehr der andere macht, desto weniger musst du machen. Das hat mich ein Leben lang begleitet. Den Erfolg in Deutschland und Amerika, den hätte ich ohne ihn niemals erfahren.
In Ihren Arbeiten würdigen Sie unter anderem Marcel Reich-Ranicki, Jurek Becker, Agnieszka Holland und Woody Allen. Was war ausschlaggebend für Sie zu sagen: Diese Begegnungen halte ich jetzt auch malerisch fest?
Dafür gibt es zwei Gründe. Der erste ist: die Entwicklung in Deutschland! Dieser Rechtsrutsch, wie ein ganzer Teil der Gesellschaft in die Vergangenheit driftet, bis ins Jahr 1933, das macht mir große Sorgen. Der Judenhass. Dem wollte ich künstlerisch etwas entgegensetzen. Ich bin Jahrgang 1930, Deutscher, Nichtjude: Die jüdischen Porträts sind auch ein bewusstes Zeichen.
Was war der zweite Grund?
Natürlich hat mein Alter auch etwas damit zu tun. Ich bin 92 Jahre alt. Im letzten Abschnitt meines Lebens war es sehr wichtig für mich, die Weichensteller meiner Biografie wieder hervorzuholen. Ihnen zu danken. Und irgendwann stellte ich fest: Das waren in den allermeisten Fällen jüdische Weggefährten. Nicht nur, aber doch überwiegend. Übrigens nicht nur lebende Juden: Ich habe unter anderem auch Jesus, Judas, Karl Marx, Franz Kafka und Walter Benjamin gemalt. Jedenfalls wollte ich auf meine Art Danke sagen. Von dem eingangs erwähnten Fritz Wisten wurde ich etwa von der Vorstellung kuriert, immer nur Shakespeare-Charakterrollen spielen zu müssen, was ich im Übrigen mehr schlecht als recht machte. Weder das Publikum noch die Kritik mochte die Art und Weise, wie ich diese Rollen verkörperte. Wisten gab mir die wirklichen Rollen, die zu mir passten. Damit kam der Erfolg. Dann waren es Ende der 80er-Jahre erneut Juden, die mein Leben prägten und mich in die USA holten. Und dort war es dann wiederum Barry Levinson, der mich für den für vier Oscars nominierten Film »Avalon« 1990 den Boss seiner jüdischen Familie spielen ließ. Mich als Deutschen und Nichtjuden. Ausgerechnet.
Wolf Biermann spielte in Ihrem Leben ebenfalls eine große Rolle. Wie würden Sie Ihr Verhältnis umschreiben?
Ich habe damals die Petition von Künstlern in der DDR unterschrieben. Wir haben damit gegen Biermanns Ausbürgerung aus der DDR Ende 1976 protestiert. Das war mein Ende in der DDR. Und unfreiwillig der Beginn meiner Karriere in der Bundesrepublik. Ich habe damals ein Buch geschrieben: »Verordneter Sonntag«. Für mich war durch das gegen mich verhängte Berufsverbot der SED jeden Tag Sonntag. Keine Arbeit. Keine Anrufe. Keine Freundschaften. Kaltgestellt. Für immer. Zu Biermann selbst war mein Verhältnis nicht sehr intensiv, wenn ich ehrlich bin. Das hat auch mit ihm als Person zu tun. Ich mag seine Anfangssachen sehr, die Balladen. Manches ist mir aber doch ein bisschen zu selbstverliebt.
War Ihnen und den anderen Künstlern in der DDR damals klar, dass Ihr öffentlicher Protest gegen die Ausbürgerung Biermanns harte Strafen nach sich ziehen würde?
Das war glasklar. Aber es musste sein. Ich dachte mir damals: In einer bestimmten Zeit muss man sagen, dass man für sein Leben selbst verantwortlich ist. Das darf man dann nicht alten Männern im Politbüro überlassen. Ich wollte dem Politbüro sagen: Die Ausbürgerung Biermanns geht zu weit. Das kam übrigens nicht aus heiterem Himmel. Schon ein Jahr zuvor hatte ich meine Hauptrolle in »Das unsichtbare Visier« abgesagt. Die TV-Serie lief höchst erfolgreich, es war eine Art James Bond der DDR, aber die Drehbücher wurden immer politischer und dümmer, das wollte ich nicht mehr. Das war schon vor der Biermann-Unterstützung das Ende meines Daseins in der DDR.
Das Verhältnis der DDR zum jüdischen Staat war von Anfang an geprägt von Antisemitismus. Haben Sie das damals als Künstler bewusst wahrgenommen?
Das habe ich mitbekommen, ja. Es hatte meines Erachtens viel mit der Sowjetunion zu tun. Das war auch übertragen worden auf die DDR, wie ja generell viel von der Sowjetunion übernommen wurde. Ich war in der DDR befreundet mit Stefan Heym, mit Jurek Becker und vielen anderen Juden. Der Antisemitismus in der DDR war unter uns ein Thema.
Ihre Beziehung zu Jurek Becker beschreiben Sie als ebenso prägend wie schmerzhaft …
Das ist so, ja. Sehr schmerzhaft. Bis heute. (Macht eine längere Pause, Anmerkung der Redaktion.) Jurek nahm großen Anstoß daran, dass ich in der amerikanischen TV-Serie »Amerika« den russischen General Petya Samanov menschlich spielte. Das war damals komplett neu in den USA und im Westen überhaupt. Bis dato wurden Russen immer als Klischee gespielt. Dazu erhielt ich von Jurek einen Brief, der mich tief verletzt hat. Ich wollte mich mit ihm versöhnen, aber den Zeitpunkt wollte ich selbst wählen. Die Versöhnung sollte von mir ausgehen, fand ich. Jurek war aber todkrank, was ich nicht wusste. Hätte ich es gewusst, hätte ich mich sofort bei ihm gemeldet. Auf das Bild, das ich von Jurek für die »Jüdischen Porträts« gemalt habe, schrieb ich: »Ich wusste nicht, dass du todkrank bist. Ich habe mich nicht mit dir versöhnt.« Jurek starb, bevor wir uns versöhnen konnten.
Mit dem Schauspieler und Maler sprach Philipp Peyman Engel.