So viel Dürrenmatt war lange nicht mehr in der Schweizer Medienlandschaft: Der vor ziemlich genau 30 Jahren verstorbene Schweizer Autor und Dichter ist auf den Kulturseiten der Zeitungen, aber auch in helvetischen TV- und Radiosendungen dieser Wochen schon beinahe Stammgast – Corona zum Trotz.
Dies hat natürlich damit zu tun, dass sich in diesen Wochen nicht nur der Todestag, sondern vor allem auch Friedrich Dürrenmatts Geburtstag zum 100. Mal jährt – am 5. Januar 1921 wurde der Schöpfer viel gespielter Theaterstücke wie Die Physiker oder Der Besuch der alten Dame, aber auch (später verfilmter) Kriminalromane wie Der Richter und sein Henker in Stalden im Emmental geboren.
Grund genug also offensichtlich, sich näher mit dem wohl spannendsten und vielfältigsten Schweizer Schriftsteller der jüngeren Vergangenheit auseinanderzusetzen.
jom-kippur-krieg Nicht unbedingt ein vordergründiges Medienthema ist dabei Dürrenmatts Auseinandersetzung mit dem Staat Israel im Speziellen und dem Judentum im Allgemeinen, obwohl es sich da besonders lohnt, genauer hinzuschauen. Dürrenmatt machte nämlich – im Gegensatz zu anderen Berufskollegen – aus seiner Unterstützung des jüdischen Staates kein Hehl. Womit er die Anfeindungen gewisser linker Kreise ebenso stoisch in Kauf nahm wie später diejenigen aus der rechten Ecke.
Die wiederum echauffierten sich darüber, dass er sein Heimatland Schweiz kurz vor seinem Tod in einer Rede doch tatsächlich mit einem Gefängnis verglich – für gewisse Schweizer Patrioten ein Sakrileg sondergleichen.
Aber Dürrenmatt war eben Dürrenmatt. Der Pfarrerssohn aus dem Umland der Hauptstadt Bern ging seinen Weg und pochte nicht zuletzt beim Thema Israel auf seine Individualität.
Mit seinem Plädoyer für die Unterstützung Israels zog er Ärger von links und rechts auf sich.
Auch darum schreckt er im Oktober 1973, zu Beginn des Jom Kippur-Krieges, nicht zurück, unter dem Titel »Warum ich mich hinter Israel stelle« in einem Zeitungsartikel in der »Neuen Zürcher Zeitung« (NZZ) eindeutig Position für den jüdischen Staat zu beziehen. Dies in einem Moment, als sich auch in der Schweiz der Wind der Meinungen in Sachen Nahostkonflikt längst gedreht hat.
Und so mancher sogenannte Intellektuelle nun die Palästinenser als alleinige Opfer der Auseinandersetzungen und gleichzeitig der politische und wirtschaftliche Mainstream die Bedeutung des arabischen Öls entdeckt hatte. Wie der einsame Rufer in der Wüste hält Dürrenmatt dagegen eisern daran fest, Israel sei »notwendig wie kein anderer Staat, eine gerechte Sache, die nur noch ideologisch, nicht mehr existenziell angezweifelt werden kann«. Der Staat Israel, so Dürrenmatt, existiere zwar, aber viele wären froh, »wenn er nicht wäre, auch jene wären glücklich über seine Nichtexistenz, die seine Existenz bejahen«.
REISE Dieses eindeutige Statement zu Israel nebst vielen anderen lässt sich in seinen Essays »Zusammenhänge« und »Nachgedanken«, die 1976 erstmals erschienen, nachlesen. Dort beschreibt er seine Israelreise, die er 1974 mit seiner ersten Frau unternahm, im Jahr nach dem Jom Kippur-Krieg, der in Israel so vieles durcheinanderwirbelte. Wohl als Anerkennung seiner Unterstützung ist er eingeladen, an der Ben-Gurion-Universität in Beer Sheva eine Vorlesung zu halten.
Da fallen dem Dichter Sätze ein wie: »Schämte man sich nach dem Zweiten Weltkrieg, Antisemit zu sein, wurde man mit Stolz nach dem Sechstagekrieg Philosemit, wagt man nun erleichtert nach dem Jom-Kippur-Krieg, Antizionist zu werden.«
Das habe, so schreibt Dürrenmatt, nur teilweise mit dem arabischen Öl zu tun, auch wenn der Westen nun durch diesen letzten Krieg zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn endgültig entdeckt habe, wie sehr er vom »schwarzen Gold« abhängig geworden ist.
Diese Haltung sei vielmehr in der Ideologie des Marxismus der Oststaaten unter der Führung der Sowjetunion begründet. Denn dass man den jüdischen Staat als faschistisch oder zumindest als »bürgerlich« ablehne, das »will die marxistische Tradition so, gab es doch innerhalb des Marxismus nicht nur einst, sondern gibt es auch heute noch eine unbewusste Abneigung gegen das Judentum, durchaus entsprechend der geheimen Abneigung, die noch immer im Christentum herumgeistert«.
Und, so fährt der Berner Dichter fast resigniert fort: »Den Juden gegenüber hat sich die Welt nicht verändert, verändert haben sich nur die Begründungen, die man gegen sie ins Feld führt.« Ob er wohl verblüfft darüber wäre, dass er mit solchen Sätzen gleich auch noch Debatten der Gegenwart mitbeschrieben hat, beispielsweise um den früheren britischen Labour-Chef Jeremy Corbyn und dessen Gesinnungsgenossen?
akten Dabei war Friedrich Dürrenmatt als junger Mann selbst gewissen Zeitströmen ausgesetzt: Längst bekannt ist, dass der 20-jährige spätere Dramatiker kurzzeitig Mitglied einer Schweizer Nazi-Organisation war. In dieser Funktion wird er in den Akten der Schweizer Polizei vermerkt, wo aber auch zu lesen ist, dass es nach dem November 1941 keine Belege mehr gibt für Aktivitäten Dürrenmatts zugunsten der Schweizer Hitler-Anhänger. Er selbst wird später dazu sagen, die vielen militärischen Übungen hätten ihm die Augen geöffnet: »Meine Unsportlichkeit übertraf meine Weltanschauung, und ich gab auf.«
Seine Unterstützung Israels hat auch der »alte« Dürrenmatt nicht aufgegeben – eine Haltung, die auch heute noch durchaus Respekt und Anerkennung auslösen kann.