»Der Fänger im Roggen«

Ich pubertiere, also bin ich

Kult-Roman: The Catcher in the Rye Foto: imago images/Buyenlarge / UIG

»Der Fänger im Roggen«

Ich pubertiere, also bin ich

Vor 70 Jahren erschien J. D. Salingers Roman über die Mühsal des Erwachsenwerdens

von Birgitta Negel-Täuber  14.07.2021 11:52 Uhr

An Holden Caulfield scheiden sich die Geister. Den einen geht sein ständiges Genörgel auf die Nerven, die anderen erkennen sich wieder in dem 16-jährigen Jungen. Holden Caulfield ist der Ich-Erzähler des Romans »Der Fänger im Roggen«. Der erschien nach fast zehnjähriger Entstehungszeit 1951 und wurde schlagartig international bekannt.

Die Pubertätsgeschichte ist seitdem Kult und wird als Meilenstein der amerikanischen Nachkriegsliteratur gefeiert. Lange Zeit war »Der Fänger im Roggen« Schullektüre im Englischunterricht - und wurde häufig genug nur mit Hilfe der deutschen Übersetzung und der Lektürehilfe »Königs Erläuterungen« bewältigt.

Internat Holden ist eines von vier Kindern einer New Yorker Oberschichtfamilie. Mit seiner kleinen Schwester Phoebe versteht er sich wunderbar. Den ältesten Bruder bewundert er aus der Ferne, und Bruder Allie ist tot, vor drei Jahren gestorben an Leukämie. Vielleicht ist Holden auch dadurch aus der Bahn geraten. Das Internat muss er jedenfalls wegen miserabler Noten verlassen - es ist bereits das vierte. Holden will einen günstigen Zeitpunkt abpassen, um seinen Eltern die Nachricht zu überbringen und deshalb das Wochenende allein in New York verbringen. Keine gute Idee, erkennt der Leser. Ein angeschlagener 16-Jähriger in schäbigen Absteigen in Manhattan, das kann nur schiefgehen.

Der überwältigende Erfolg des Romans hat viele Gründe. Da ist zum einen das Thema: »Coming of Age« ist heute die Bezeichnung für ein Genre, in dem das Erwachsenwerden im Mittelpunkt steht. Für die Protagonisten sind diese Jahre meist eine intensive, wenn auch nicht unbedingt glückliche Zeit, und das gilt auch für Holden.

Hormone Er will gesehen werden. Aber mit seinen 16 Jahren ist er »nicht Fisch, nicht Fleisch«. Auf tatsächliche oder vermutete Heuchelei und Oberflächlichkeit reagiert er empfindlich, verhält sich selbst aber genauso. Als Spross einer reichen Familie hat er kein Verhältnis zum Geld, aber einen geschärften Blick für Statussymbole. Emotional wie intellektuell ist er unreif, aber am Ende übernimmt er Verantwortung für seine Schwester. Und die Hormone spielen verrückt.

Holdens Interesse an den Mädchen nimmt breiten Raum ein; mitunter in derber Jugendsprache beschreibt er ihre körperlichen Vorzüge und seine eigenen Sehnsüchte. Für die frühen 1950er Jahre war das entschieden zu viel. Die erste englischsprachige Ausgabe, die in Europa erschien, wurde entsprechend zensiert, die darauf basierende deutsche Übersetzung ebenfalls. Von Heinrich und Annemarie Böll überarbeitet, galt sie lange als verstaubt.

Übersetzung Erst 2003 erschien eine neue Übersetzung von Eike Schönfeld; die Feuilletons aller überregionalen Zeitungen berichteten. Vorsichtig modernisiert und sprachlich der Gefühlswelt Jugendlicher angemessen, wurde der Roman dadurch zu einem Buch, das auch heute noch Leser findet. Man muss Holden nicht mögen, um von seinen Verwirrungen und Leiden angerührt zu sein. Innerer Monolog und szenische Erzählweise führen geradewegs ins Herz des Ich-Erzählers.

Verfilmt wurde der Roman übrigens nie, obwohl sich Größen wie Billy Wilder um die Filmrechte bemühten. Aber der Autor verbat sich Adaptionen und Bearbeitungen jeglicher Art. Bis heute werden deshalb in der Reclam-Ausgabe die sonst üblichen Worterklärungen nicht im Text abgedruckt, sondern online nachgeliefert.

»Der Fänger im Roggen« ist der einzige Roman, den Jerome David Salinger (1919-2010) jemals veröffentlichte. Es gibt etliche Erzählungen von ihm, aber 1965 war auch damit Schluss. Zurückgezogen in New Hampshire, schrieb Salinger jahrzehntelang nur für die Schublade - falls er überhaupt schrieb. Als der »große Unbekannte« der amerikanischen Literatur trug sein geheimnisumwitterter Nimbus ebenfalls zum Interesse am Roman bei.

Was den Titel betrifft: Er basiert auf einer Zeile aus einem Kinderlied, das Holden einen kleinen Jungen singen hört. Er versteht sie falsch und assoziiert sie mit seinem Wunsch, anderen zu helfen. Mit Roggen (auf Englisch: rye) hat der Liedtext übrigens nichts zu tun. Gemeint war ursprünglich Rye Water, ein Fluss in Schottland.

Berlin

Margot Friedländer: Levit kämpft bei Deutschem Filmpreis mit Tränen

Beim Deutschen Filmpreis nutzt Igor Levit die Bühne, um der verstorbenen Holocaust-Zeugin Margot Friedländer zu gedenken. Dabei muss der Starpianist mehrmals um Fassung ringen. Im Saal wird es still

 09.05.2025

Porträt

Ein Jahrhundertleben

Tausende Schüler in Deutschland haben ihre Geschichte gehört, noch mit über 100 Jahren trat sie als Mahnerin auf. Margot Friedländer war als Holocaust-Zeitzeugin unermüdlich

von Verena Schmitt-Roschmann  09.05.2025

Nachruf

Trauer um Holocaust-Überlebende Margot Friedländer 

Mit fast 90 kehrte Margot Friedländer zurück nach Berlin, ins Land der Täter. Unermüdlich engagierte sich die Holocaust-Zeitzeugin für das Erinnern. Nun ist sie gestorben - ihre Worte bleiben

von Caroline Bock  09.05.2025

Antisemitismus

Kanye Wests Hitler-Song »WW3« ist Hit auf Spotify

Der Text ist voller Hitler-Verehrung, gleichzeitig behauptet der Musiker, er könne kein Antisemit sein, weil er schwarz sei

 09.05.2025

Interview

»Es gilt für mich eine Null-Toleranz-Politik gegen Antisemitismus«

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer über seine erste Amtshandlung, seine Vorgängerin Claudia Roth und den Umgang mit der antisemitischen BDS-Bewegung

von Philipp Peyman Engel  09.05.2025

Julia Bernstein

»Nichts ist mehr wie zuvor«: Wie junge jüdische Münchner den 7. Oktober erleben

»Jüdisch oder gar israelisch zu sein, ist heute in Deutschland eine äußerst politische Angelegenheit oder gar für manche eine Provokation«, schreibt unsere Autorin

von Julia Bernstein  09.05.2025

Konzerte

Große Gefühle

Musiker des Israel Philharmonic Orchestra und der Münchner Philharmoniker spielen gemeinsam

von Katja Kraft  09.05.2025

New York

»Ich schlief zeitweise im Central Park«

»Transformers«-Star Shia LaBeouf erzählt von einem ungewöhnlichen Schlafplatz während der Proben für ein Theaterstück

 09.05.2025

Statistik

Dieser hebräische Jungenname bleibt der beliebteste in Deutschland

Die Gesellschaft für deutsche Sprache hat sich für ihre Erhebung die Daten deutscher Standesämter angeschaut

 08.05.2025