Herr Adler, wie kamen Sie auf die Idee zu »Bethlehem«?
Ich war schon immer daran interessiert, wie Geheimdienste arbeiten. Wie sie Menschen gewinnen und es schaffen, dass diese über Jahre für sie arbeiten. Und ich wollte wissen, wie es hinter dem israelisch-palästinensischen Konflikt aussieht.
Es gibt viele Filme über den Konflikt. Was ist das Besondere an Ihrem?
Die meisten Filme, die dieses Thema behandeln, haben eine politische oder moralische Aussage. Zum Beispiel, dass der Krieg schrecklich ist und die Besatzung grausam oder dass der Terrorismus zu verabscheuen ist. Doch ich denke, es ist besser, einen Film zu drehen, der die Realität zeigt. Sonst erkennen die Zuschauer darin eine bestimmte politische Haltung und verschließen sich vor deiner Arbeit. Das wollte ich vermeiden.
Wie geht das?
Ich erzähle den Film aus der Perspektive der Akteure. Ich will zeigen, in welcher extremen Situation sich Menschen befinden, die Informanten, Geheimdienstler und Anführer der Al-Aksa-Brigaden sind. Wie leben solche Menschen, was denken sie? Was treibt sie an? Ich hatte den Eindruck, dass das so noch niemand gemacht hat. Ali Waked, der Drehbuchautor, und ich wollten wissen, was 2005, während der Zweiten Intifada, wirklich passiert ist. Doch obwohl die Intifada inzwischen vorbei ist, haben wir keinen historischen Film gemacht. Der Konflikt ist hier und heute präsent, er ist Teil unseres Lebens.
Ist »Bethlehem« ein politischer Film?
Im Gegenteil. Ich wollte einen Film machen, der eine gescheiterte Beziehung zum Thema hat und zeigt, in welchem Dilemma die Hauptfiguren stecken. »Bethlehem« nimmt keine politische Haltung ein, die man so einfach als rechts oder links bezeichnen kann. Die Kritiken waren durchweg sehr positiv, und das Bemerkenswerteste war, dass sich alle, egal aus welchem politischen Lager, einig waren. Das ist etwas äußerst Besonderes in Israel, denn hier urteilen die Menschen sehr schnell. Der Film hat sich eindeutigen politischen Zuschreibungen entzogen.
Es gab aber auch, gerade von linker Seite, harsche Kritik. Gideon Levy schrieb in Haaretz, es sei ein israelischer Propagandafilm und zeichne die palästinensische Gesellschaft zu negativ, die Israelis zu positiv.
Auch wenn man möchte: Man kann Razi, den israelischen Geheimagenten, nicht ausschließlich in einem positiven Licht sehen. Klar, er ist liebevoll, aber nur, weil er Sanfur, seinen palästinensischen Informanten, für seine Zwecke benutzt. Es ist sein Job, eine vertraute und väterliche Beziehung zu seinem Informanten aufzubauen. Geheimagenten suchen nach Menschen, die sich nach etwas sehnen, das sie in ihrem Umfeld nicht bekommen: Liebe, Aufmerksamkeit, Fürsorge. Razi ist charmant, er nennt Sanfur »Habibi«, Kumpel, aber er ist auch manipulativ und durchtrieben. Er ist einfach ein Mensch – mit positiven und negativen Seiten. Ich kann nicht verstehen, wie man daraus ableiten kann, dass wir die israelische Seite ausschließlich positiv gezeichnet haben. Leute, die das denken, sind reingefallen auf Razi. Sie haben sich, genau wie Sanfur, einlullen lassen von seiner einnehmenden Art.
Kritisiert wurde auch, dass Sie den Alltag der Besatzung nicht gezeigt hätten.
Wir haben auf Bilder von Checkpoints und vom Zaun verzichtet, weil wir Klischees vermeiden wollten. Dafür haben wir andere Motive gefunden, die zeigen, was die Besatzung für die Palästinenser bedeutet.
»Bethlehem« entlässt den Zuschauer mit einem dumpfen Gefühl der Hoffnungs- und Ratlosigkeit. Ist Frieden in der Region überhaupt möglich?
Das Ende unseres Films, so tragisch und extrem es ist, lässt alles offen. »Bethlehem« hat keine Antwort auf die Frage parat, ob es Frieden geben kann. Aber er macht es möglich, die andere Seite zu verstehen, ohne die eigene Position zu verlassen. Ich denke nicht, dass der Film eine Situation zeigt, die unlösbar ist. Im Gegenteil – er zeigt eine Situation, die gelöst werden muss.
Teile des Films wurden in der Stadt Bethlehem gedreht. Der Ort gilt für jüdische Israelis als Gefahrenzone, die Regierung rät dringend von Reisen dorthin ab. Wie war es für Sie, dort zu drehen?
Unser Team bestand aus Israelis und Palästinensern. Haitham Omari, der Badawi spielt, ist Palästinenser, auch ein Teil des Produktionsteams kommt aus dem Westjordanland. Die meisten Szenen haben wir in Ostjerusalem gedreht, aber für ein paar kleinere waren wir in Bethlehem. Dort haben mich alle gewarnt: Sprich bloß kein Hebräisch, verständige dich nur auf Englisch! Doch es gab diese eine Szene, in der Sanfur mit einer Kalaschnikow in der Mitte von Bethlehem steht und Razi anruft. Sahdi Marei, der Sanfur spielt, sollte diese Szene wiederholen. Zuerst habe ich mit ihm Englisch geredet, aber das ging nicht gut, also habe ich Hebräisch mit ihm gesprochen. Auf einmal herrschte mich der palästinensische Produktionsleiter an: Hör auf, sprich nicht Hebräisch! Alle waren angespannt und wollten keine Aufmerksamkeit erregen. Aber wenn du als Regisseur einen Film drehst, ist dir irgendwann alles egal. Es geht nur noch um deine Arbeit.
Sie sind promovierter Philosoph und geben gerade einen Kurs zu Martin Heidegger an der Bar-Ilan-Universität. Gibt es da eine Verbindung zum Film?
Es gibt keine direkte Verbindung, weil »Bethlehem« kein philosophischer Film ist. Dennoch gibt es Schnittpunkte: Offenheit ist ein radikales Konzept in der Phänomenologie, einer bedeutenden Strömung in der Philosophie. Und ich habe versucht, offen an meine Arbeit heranzugehen. Ich hatte keine Vorstellung davon, wie der Film sein sollte. Um Klischees zu vermeiden, wollte ich mir kein Muster und keine Struktur auferlegen. Als ich angefangen habe, für »Bethlehem« zu recherchieren, hatte ich keine Ahnung vom Geheimdienst und dem Konflikt außer dem, was ich aus den Medien kannte. Also habe ich mit verschiedenen Akteuren gesprochen und mir erzählen lassen, wie ihr Leben ist. Ich wollte verstehen, was sie machen, warum sie es machen. Über Jahre habe ich mich immer wieder mit Palästinensern getroffen, mit Al-Aksa-Mitgliedern, mit der Hamas, mit israelischen Geheimdienstlern, mit Ex-Kollaborateuren, mit Journalisten und Wissenschaftlern. Ich habe mir einfach angehört, was sie mir zu sagen hatten.
Das Gespräch führte Elisa Makowski.