Herr Elad, lassen Sie uns übers Essen reden.
Worüber sonst? Essen und Liebe ...
... das sind die beiden wichtigen Themen.
Bei mir kommt allerdings erst die Liebe und dann das Essen. Wenn ich Menschen liebe, koche ich für sie.
Was kochen Sie denn so für die Menschen, die Sie lieben?
Ich wohne am Meer. Vor vielen, vielen Jahren habe ich einen guten Freund auf Ischia besucht. Er wohnt auf einem Berg. Ich habe ihn gefragt, was wir kochen sollten. Fisch vielleicht? Und er runzelte die Stirn. Ich sagte, aber du lebst doch auf einer Insel. Woraufhin er mir antwortete: Ja, aber auf einem Berg. Hier gibt es Kaninchen und Hühnchen. Fisch gibt es am Meer. Also: Ich wohne am Meer, und deswegen liebe ich Fisch.
Und was haben Sie letztendlich gegessen?
Ein hart gekochtes Ei.
Das ist ja auch nicht ganz unwichtig in der israelischen Küche.
Ein gutes Brot, Olivenöl, ein bisschen Salz und hart gekochte Eier! Ah! Vielleicht noch eingelegte Gurke. Ein Gedicht!
Womit beginnen Sie normalerweise Ihren Tag?
Orangensaft, Kaffee, hart gekochte Eier, ein wenig Salat.
Typisch israelisch?
Man fragt mich immer, ob es eine israelische Küche gibt. Aber die Antwort ist nicht so einfach. Ich will das vielleicht mit einer Frage beantworten. Wissen Sie, was der Unterschied zwischen einem guten Chefkoch und einem genialen Chefkoch ist?
Sagen Sie es mir!
Der geniale stiehlt. Und in etwa so verhält es sich auch mit der israelischen Küche. Sie hat aus vielen unterschiedlichen Küchen der Welt etwas: von den Palästinensern, den Libanesen, den Syrern, den Türken, den Ungarn. Aber: Wir machen es eben anders. Wir machen es auf unsere Art. Ich sage immer, dass man für die israelische Küche zwei Dinge benötigt: einen israelischen Koch und Chuzpe.
Wieso Chuzpe?
Nun, ich habe vor 20 Jahren meine Ausbildung in einem Sternerestaurant gemacht. Ich war bereits Koch, aber ich habe trotzdem diesen Weg eingeschlagen. Also bin ich in dieses Restaurant gegangen und habe gesagt: Ich mache, was ihr mir sagt. Und der Chefkoch forderte mich auf: Mach eine Ratatouille! Also kochte ich eine Ratatouille, aber eben auf meine Art. Er kostete, sah mich an und sagte: Das ist keine Ratatouille. Es schmeckt, aber es ist keine Ratatouille. Und das ist irgendwie zu meinem Motto geworden: Ich koche eben auf meine Art. Ich kenne die Originalrezepte, ich weiß, wie die Klassiker zubereitet werden, aber ich koche sie so, wie ich sie will.
Haben Sie dafür noch ein Beispiel?
Wenn ich zu einer alten marokkanischen Köchin gehen und sie bitten würde, meine Chraime zu kosten (Anm. d. Red.: Chraime ist eine traditionelle scharfe Soße aus Paprika, Tomaten und Chili), dann würde sie bestimmt sagen, das sei keine richtige Chraime. Aber es ist meine Chraime. Und so ist die israelische Küche.
Wie sieht das Menü im Berliner Restaurant »Joseph« aus?
Ich koche auch hier ganz nach meiner Art. Es gibt zum Beispiel Kubbe nach Damaskus-Art. Normalerweise sind Kubbe mit Fleisch gefüllt, aber ich bereite sie auch vegetarisch zu – oder vegan: mit unterschiedlichem Gemüse, Bulgur, Couscous. Ich biete ein Tempura vom Blumenkohl an mit eingelegter Zitrone und Sesam oder Panzanella-Salat.
Rezept
Yossi Elads Hummus
Hummus bereitet man nie für weniger als zehn Portionen vor.
Zutaten
250 g getrocknete Kichererbsen, 100 ml Tahini, 1 Zitrone (ausgepresst), 1 TL Cumin, Salz
Zubereitung
Lassen Sie die Kichererbsen über Nacht einweichen. Am nächsten Tag kochen Sie die Kichererbsen so lange, bis sie weich sind. Entfernen Sie anschließend die Schalen. Die meisten Schalen werden sowieso im Kochwasser schwimmen. Wenn Sie nicht alle Schalen herausfischen, ist das kein Problem. Gießen Sie die Kichererbsen ab und lassen Sie sie abkühlen. Heben Sie ein bisschen von dem Kochwasser auf. Kellen Sie die gekochten Kichererbsen in eine Küchenmaschine und geben Sie die Tahini, den Saft einer Zitrone, den Cumin und Salz hinzu und verarbeiten Sie alles zu einer weichen Paste. Schmecken Sie das Hummus ab und würzen Sie eventuell nach. Sollte der Kichererbsenbrei zu dick sein, dann geben Sie noch etwas von dem Kochwasser hinzu. Guten Appetit!
Ist es eine Herausforderung, in Berlin israelisch zu kochen, mit so vielen anderen israelischen Restaurants in der Stadt?
Als wir vor zehn Jahren das Machneyuda in Jerusalem mit zwei jungen Köchen aufgemacht haben, war die erste Frage, die wir uns stellten: Was wollen wir anders machen? Eyal Shani oder Meir Adoni, sie alle sind ausgezeichnet. Sie arbeiten auf international hohem Niveau. Aber ich wollte wissen, womit wir es schaffen, dass sich die Leute an unsere Küche erinnern. Und das ist mein Motiv in allen Restaurants. In meinem ersten Restaurant habe ich dem Service gesagt: Fragt nie, ob das Essen gut ist, beobachtet die Menschen. Wenn sie essen, ist alles in Ordnung. Ich kaufe die besten Produkte, und ich koche so, wie ich es am besten kann. Und wenn es eben noch ein paar israelische Restaurants in Berlin gibt, dann ist es so. Wichtig ist, dass wir gut sind.
Was ist Ihr kulinarischer Hintergrund?
Für mich ist das ein sehr emotionales Thema. Mein Vater war in Theresienstadt und ist nach dem Krieg zurück nach Bratislava gegangen. Dort hat er gemeinsam mit dem JOINT eine Küche für Flüchtlinge eröffnet. Vielleicht hat mich das geprägt. Als ich sechs Jahre alt war, wusste ich, dass ich Koch werden möchte. Meine Eltern waren orthodox und haben gesagt: Du bist verrückt, mach etwas anderes. Also haben wir uns auf das Hotelfach geeinigt, und mit 26 war ich Hotelmanager. Mit 30 Jahren erinnerte ich mich an meinen Kindheitstraum, Koch zu werden. Also gab ich meinen Job auf und fing an zu kochen. Zuerst für meine Familie, dann für Freunde, dann caterte ich, und langsam aber sicher fand ich meinen Weg zurück in die Küche.
Mit welchen Gerichten sind Sie aufgewachsen?
Zu Hause gab es österreichisch-ungarische Küche. Also Gulasch, Letscho – typische Sachen, die aber in Israel nicht so gut funktionieren, weil sie sehr mächtig sind. Zugegeben: Die marokkanische Küche ist auch sehr deftig und fettig. Ach, Moment: Mir fällt gerade noch etwas ein, das ich erzählen will. Was ist der Unterschied zwischen einem jungen und einem alten Koch? Kleiner Tipp: Es hat nichts mit dem Alter zu tun.
Na?
Also: Ein junger Chefkoch geht zu einer Gurke und sagt: Ich bin der Koch, und ich bringe dir bei, wie du zu meinen Gerichten passen sollst. Und am Ende sucht man auf dem Teller die Gurke, weil der junge Koch zu viel daraus machen wollte. Ein erfahrener Koch hingegen legt die Gurke vor sich hin und sagt, hilf mir, dich zu verstehen, um daraus ein gutes Gericht zu machen. Mit zig Zutaten kann man ein beeindruckendes Mahl zaubern, aber zum Schluss weiß man nicht genau, was man da eigentlich auf dem Teller hat.
Weniger ist also mehr?
Es ist viel schwieriger, finde ich, ein gutes Gericht mit drei oder maximal fünf Zutaten zuzubereiten. Man muss die Zutaten verstehen. Diese Zutat mag vielleicht etwas mehr Zitrone, die andere etwas mehr Sumach. Aber Vorsicht! Das Hühnchen sollte noch nach Hühnchen schmecken und nicht nur nach Sumach. Eine Zwiebel sollte das Hühnchen geschmacklich anheben, nicht umgekehrt.
Wenn Sie sich eine Traumtafel wünschen könnten – mit wem würden Sie gemeinsam daran sitzen und essen wollen?
Mit Albert Einstein und mit Sigmund Freud.
Was würden Sie für die beiden kochen?
Oh, ich wäre ein bisschen frech, mein Essen hätte Chuzpe. Ich würde Meeresfrüchte mit scharfer Chraime zubereiten. Garnelen, Kalamari, Hummer, eine schöne Chraime und ein gutes Brot dazu.
Und warum gerade für diese beiden?
Einstein und Freud waren so weise Menschen. Ich kenne ihre Werke nun nicht gerade auswendig, aber ich glaube, dass sie mich viel gelehrt haben. Ich habe irgendwie eine Verbindung zu ihnen. Sie haben dazu beigetragen, dass man die Welt mit anderen Augen sieht. Wir vergessen manchmal, die Welt aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Wir hecheln dem Smartphone hinterher und vergessen darüber leider, was die wahre Bedeutung des Lebens ist. Klar sind iPhones Teil unseres Lebens geworden, aber es liegt doch an uns, diese Dinger vielleicht nur zwei Stunden pro Tag zu benutzen und dann wieder aus der Hand zu legen, um uns auf das Wesentliche zu konzentrieren. Ich würde übrigens noch ein paar andere Gäste an meinen Tisch bitten.
Wen denn?
Nelson Mandela und David Ben-Gurion.
Was würden die beiden wohl bestellen?
Also bei David Ben-Gurion glaube ich es sogar zu wissen. Als sein Lieblingsgericht – und ich glaube auch als das seiner Frau Paula – galt »Kutch Mutch«, Joghurt mit einer süßen Fruchtsoße.
Was machen Sie, wenn Sie nicht kochen?
Wenn ich nicht gerade reise und zu Hause bin, dann veranstalte ich manchmal mit einer befreundeten Journalistin »Israel in a Pita«-Abende. Wir nehmen die Geschichte Israels und betrachten sie aus kulinarischer Perspektive seit den 50er-Jahren. Wir haben zum Beispiel festgestellt, dass, wenn es in einer Stadt kein israelisches Restaurant gibt, es auch keine kulinarische Stadt ist. In Sydney, Berlin, Wien, Frankfurt oder Melbourne – überall gibt es israelische Restaurants.
In Melbourne gibt es das Miznon von Eyal Shani, das auch »Israel in einer Pita« anbietet.
Eyal Shani macht sehr großartige Dinge. Und schon im Jahr 1929 hat Rachmo, ein kurdischer Jude, sein Hummus-Restaurant in Jerusalem eröffnet. Es geht die Legende, dass eines Tages jemand von der Stadt zu ihm kam und sagte: Sie müssen aber Steuern für Ihr Restaurant bezahlen. Um herauszufinden, wie hoch die Steuern sein mussten, zählte man die Stühle und berechnete anhand der Anzahl der Sitzgelegenheiten den Betrag. Also beschloss Rachmo, die Stühle zu entfernen und alles in einer Pita zu servieren.
Wäre das ein Essen, mit dem Sie Ihren Tag beschließen würden? Eine Pita mit allem Möglichen?
Nun, ich mag Fisch sehr gern. Von daher wäre das eher eine Mahlzeit, die ich mir abends vorstellen könnte. Oder ein Meeresfrüchte-Kebab. Ich versuche übrigens, nicht nach sechs Uhr abends zu essen. Alles, was später als sechs ist, ist sehr beschwerlich.
Muss ein Koch eigentlich ungeduldig sein?
Unbedingt geduldig. Aber das musste ich auch erst lernen. Ein Koch ist kein Architekt, der so lange warten kann, bis das Gebäude fertig ist. Ein Koch will alles auf einmal sehen. Aber – und das bringt die Erfahrung mit sich – manche Dinge brauchen Zeit. Es braucht Zeit, bestimmte Gerichte auf eine Karte zu bringen. Man kann nicht immer alles durchdrücken. Irgendwann ist es aber so weit. Und da hilft nur Geduld.
Mit dem israelischen Koch sprach Katrin Richter.
Das »Joseph« finden Sie in der Friedrichstraße 113 in Berlin.