Jähzornig, beleidigend, aggressiv – schwere Vorwürfe sind gegen Daniel Barenboim lautgeworden. Ehemalige und aktive Mitarbeiter der Staatsoper Unter den Linden werfen dem Dirigenten schweres Fehlverhalten vor. Barenboim hatte zu anonymen Stimmen bisher geschwiegen. Jetzt sagt er: »Ich spreche mit jedem, der mit mir sprechen will.« Dass die Kritik an seiner Person jetzt laut werde, sei kein Zufall, sagt Barenboim im Interview. In Berlin wolle er auf jeden Fall bleiben.
Herr Barenboim, was sagen Sie zu den Vorwürfen?
Ich habe mich bisher nicht geäußert, weil ich es traurig finde, mich zu anonymen Anschuldigungen zu äußern. Das ist nicht mein Stil und nicht meine Welt. Wenn jemand konkret etwas sagt, dann äußere ich mich dazu, ich bin ja ein Mensch, aber kein perfekter. Aber in den letzten 24 Stunden ist die Sache etwas durchsichtiger geworden.
Jetzt geht es um konkrete Personen, die sich zu Ihnen äußern.
Ich habe keine Informationen von konkreten Personen, die mir Vorwürfe machen. Ich kann nur allgemein dazu antworten. Von welchen Vorwürfen sprechen Sie?
Es gibt Vorwürfe eines ehemaligen Paukisten.
Natürlich erinnere ich mich an ihn. Die Frage ist aber: Wenn ich ihn so ungerecht behandelt hätte – warum ist er dann zwölf oder 13 Jahre hier geblieben? Ich bezweifle seinen guten Willen in dieser Sache. Ich weiß, ich war ihm gegenüber kritisch. Er hatte einen sehr schönen Klang und machte wunderschöne Farben auf der Pauke. Aber er hatte rhythmische Schwächen, und darüber habe ich mit ihm gesprochen und das selbstverständlich auch kritisiert. Das ist nun einmal meine Aufgabe.
Denken Sie, das ist Teil einer Kampagne? Wie schätzen Sie es insgesamt ein, dass jetzt plötzlich solche Vorwürfe auftauchen?
Das ist sehr leicht zu erklären. Die ganze Welt weiß, dass mich die Staatskapelle zum Chefdirigenten auf Lebenszeit gewählt hat. Es muss aber immer wieder neue Verträge für den Generalmusikdirektor geben. Und jetzt ist die Zeit gekommen, wo die Verhandlungen über eine Verlängerung stattfinden. Wieso sind diese Vorwürfe bisher nicht erhoben worden, aber jetzt? Weil sie aus meiner Sicht mit einer Kampagne verbunden sind, mit der versucht wird, meinen Verbleib in Berlin zu verhindern. Sonst hätte es die Vorwürfe letztes Jahr, vor fünf Jahren oder vor zehn Jahren schon gegeben. Es ist doch nicht so, dass ich immer ein guter Mensch war und plötzlich so schlecht geworden bin. Wenn ich eigentlich gut bin, dann war ich es immer – mit schlechten Momenten, wie fast jeder Mensch.
Wie würden Sie das Arbeitsklima in der Staatsoper, aber insbesondere jetzt in der Staatskapelle aus Ihrer Sicht beschreiben?
Ich habe gerade drei Stunden für ein neues Orchesterstück von Jörg Widmann geprobt. Da würde ich schon merken, wenn es Spannungen gibt. Wir haben in zwei Proben das ganze Stück auseinandergenommen. Das musikalische Klima könnte nicht besser sein. Ich habe immer gesagt, die Tatsache, dass die Staatskapelle mich zum Chefdirigenten auf Lebenszeit gewählt hat, ist die größte Freude und Ehre für mich. Das bleibt auch so. Ich habe aber gleichzeitig von Anfang an gesagt, dass ich nicht einen Tag länger bleiben werde, als das Orchester es will und meine Kraft es zulässt. Ich will nicht als eine Reliquie bleiben, oder aus Loyalität, das wäre mir zu wenig. Die Staatskapelle hat mir aber in den letzten Tagen und in den letzten Stunden ganz deutlich gesagt, dass sie absolut zu mir steht.
Sie haben also die Unterstützung des Orchesters?
Ja. Es gibt ein, zwei oder fünf Leute, die nicht hundertprozentig zufrieden sind. Vielleicht bin ich für einige etwas zu langsam mit meinen Tempi, für andere etwas zu schnell, für die einen etwas zu leidenschaftlich, für andere zu kalt. Das ist eine sehr subjektive Meinung, und verschiedene Meinungen gibt es selbstverständlich. Das ist auch gut so. Nur: Wann ist ein Konzert musikalisch richtig gut? Wenn das ganze Orchester in dem Moment, in dem man spielt, und der Dirigent das Gleiche über die Musik denken und fühlen. Die musikalische Phrase geht bis zu diesem Punkt und nicht zu einem anderen. Die Steigerung geht hierhin und nicht dorthin und so weiter. Nach dem Konzert kann jede und jeder eine andere Meinung haben. Auch ich, jeder. Meinungsunterschiede wird es immer geben.
Es heißt immer wieder, Dirigenten seien Diktatoren. Fühlen Sie sich als solcher?
In der heutigen Welt ist das eine sehr gefährliche Aussage. Was verstehen Sie unter einem Diktator? Sind rechtsextreme Regierungen sämtlich diktatorisch? Ungarn, Polen, Russland, Israel – sind das Diktaturen? Wenn das eine Definition von Diktator wäre, dann bin ich es auf keinen Fall. Andererseits: Ich kann nicht zur Wahl stellen, ob der eine hier schneller und der andere langsamer spielen will. Der Dirigent bestimmt die Geschwindigkeit und die Lautstärke und ist insoweit ein Diktator – das bin ich dann natürlich auch. Aber wenn Sie vom menschlichen Umgang sprechen, bin ich alles andere. Sie können so viele Musiker fragen, die ein wichtiges Solo hatten. Die haben mich gefragt: Können Sie das bitte für mich etwas schneller oder langsamer oder lauter oder leiser machen, ich komme so nicht zurecht. Natürlich höre ich dann zu und wir finden gemeinsam einen Weg. Ein erfolgreiches Konzert oder besser gesagt ein wirkliches musikalisches Erlebnis passiert nur, wenn alle eins werden. Das gesamte Orchester und der Dirigent und alle Elemente in der Musik: Rhythmus, Melodie, Harmonie, alle diese Elemente werden eins. Insofern hat Musik etwas gemeinsam mit Religion. In der Religion geht es auch darum, eins zu werden.
Würden Sie jetzt das Gespräch mit den Leuten suchen, die Ihnen Vorwürfe machen?
Ja, wenn sie mit mir sprechen wollen. Aber bis jetzt hat sich niemand bei mir gemeldet, der mit mir sprechen wollte. Ich spreche mit jedem, der mit mir sprechen will. Übrigens: Mit dem Personalrat hat auch niemand je gesprochen – wie mir jetzt gesagt wurde.
Wenn es nach Ihnen geht, bleiben Sie also an der Staatsoper auch nach 2022?
Dafür bin ich jetzt in Gesprächen mit dem Senat. Die Gespräche sind noch nicht abgeschlossen. Das sage ich Ihnen also später.
Das Interview mit dem argentinisch-israelischen Dirigenten führte Esteban Engel.
Daniel Barenboim zählt zu den den weltweit bewunderten Künstlern. Der 1942 in Argentinien geborene Pianist und Dirigent steht seit 1992 an der Spitze der Berliner Staatsoper Unter den Linden. Zusammen mit dem palästinensischen Literaturwissenschaftler Edward Said hat er auch das West-Eastern Divan Orchestra mit Musikern aus Israel und der arabischen Welt gegründet.