Kino

Ice Cube und die Juden

»Fuck da Police«?: N.W.A. rappten in ihren Songs gegen die willkürliche Polizeigewalt in den USA an. Foto: Universal Pictures

In einer Szene des US-Sommerkino-hits Straight Outta Compton sitzt Kult-Rapper Ice Cube, dargestellt von seinem Sohn, mit einem Reporter am Rande eines Swimmingpools und wird gefragt, ob er sich als Antisemiten sieht. »Hey – ich bin nur ein einfacher Junge aus Compton, der versucht, mit seiner Musik Geld zu verdienen«, antwortet Ice Cube. »Ich weiß noch nicht mal, was antisemitisch bedeutet.«

Straight Outta Compton, der in den US-Kinocharts auf Platz eins steht, erzählt die Geschichte der Hip-Hop-Crew N.W.A. (»Niggaz Wit Attitudes«), die in den 90er-Jahren die USA elektrisierte. Die Formation mit den späteren Megastars Ice Cube, Dr. Dre, Eazy-E und Snoop Dogg stellten das damals noch junge Genre des Hip-Hop auf den Kopf, wenn nicht sogar die gesamte Popmusik.

gewalt N.W.A. gelten als Begründer dessen, was heute Gangsta-Rap heißt – jene aggressive Form des Rap, die unverblümt die Sprache des Ghettos in die Funkwellen des Landes speiste. Dabei gab es kein Tabu – Sex und Gewalt nahmen einen großen Raum ein, das Lebensgefühl von Gegenden wie Compton und South Central Los Angeles wurden lauthals und ungeschminkt in die Mikrofone geschrien.

Eine große Rolle spielte dabei das damals schon drängende Thema der willkürlichen Polizeigewalt gegen Afroamerikaner – sicherlich der Hauptgrund für den überwältigenden Erfolg des Films in der Ära von Ferguson und der Protestbewegung Black Lives Matter.

So könnte die Hymne »Fuck The Police« von N.W.A., die im Zentrum des Films steht, ebenso eine Hymne der Protestbewegung Black Lives Matter sein. Der Song provozierte damals die Obrigkeit, führte zu Konzertabbrüchen und wurde für die Gewalt mitverantwortlich gemacht, die sich während der Rassenunruhen von 1992 in die Straßen von L.A. ergoss. An dem Song entzündete sich dann auch die erhitzte nationale Debatte darüber, ob Gangsta-Rap noch legitimer Ausdruck einer Subkultur oder schlicht gewaltverherrlichend ist.

Doch der Film hat auch noch einen anderen Subtext, als den, dass der Gangsta-Rap von damals schon unüberhörbar jene Themen beklagte, die bis heute das schwarze Amerika plagen. Straight Outta Compton ist auch die Geschichte des kommerziellen Aufstiegs sowie des Auseinanderbrechens von N.W.A. – auch als Folge finanzieller Streitigkeiten. Die Schlüsselfigur dabei ist ihr jüdischer Manager Jerry Heller, brillant dargestellt von Paul Giamatti. Heller hatte bereits in den 70er-Jahren große Namen im Showgeschäft unter Vertrag, er managte unter anderem Elton John, The Who, Van Morrison, Marvin Gaye und Carly Simon. Ende der 80er-Jahre stockte seine Karriere jedoch, er brauchte dringend einen neuen Star.

Der Film, produziert von N.W.A.-Mitglied Dr. Dre, zeichnet Heller als komplizierte Figur. Heller erkannte von Anfang an, wie N.W.A. das schwarze Publikum begeisterte, weil sie dessen Sprache sprachen. Er protegierte sie gegen massive Widerstände. Sogar in den wiederholten Konflikten mit der Staatsgewalt nahm er sie in Schutz. So gibt der Film sich allergrößte Mühe, Heller nicht als rassistisch zu zeichnen. Als die Crew etwa vor seinem Studio in L.A. von der Polizei schikaniert wird, stellt er sich vor sie und herrscht die Beamten an, »dass sie nicht hierherkommen und diese Männer nur aus dem Grund drangsalieren können, weil sie anders sind«.

klischees Dennoch schafft es der Film nicht, bestimmte Klischees zu vermeiden. Heller ist einerseits die Vaterfigur, die den unerfahrenen Jungs aus dem Ghetto dabei hilft, die komplizierte Geschäftswelt des weißen Mannes zu durchschiffen. Doch er kann gleichzeitig nicht der Versuchung widerstehen, die Unbedarftheit seiner Klienten gierig auszunutzen, sie gegeneinander auszuspielen und etwas tiefer in die Kasse zu greifen, als ihm zusteht.

Dieses Bild von Heller passt zu einem latenten schwarzen Antisemitismus, der zur Zeit von N.W.A. offen zutage trat und der bis heute die Beziehungen zwischen Schwarzen und Juden in den USA belastet. So stellt sich Ice Cube im Film dümmer dar, als er ist, wenn er sagt, er habe keine Ahnung von Antisemitismus. In einem Rap von damals, als Kampfansage an seine Kollegen gerichtet, sang er zum Beispiel:»It’s a case of divide and conquer, cause you let a Jew break up my crew (...) Cause you can’t be the Nigga 4 Life crew, with a White Jew telling you what to do.« Jerry Heller wird als »der Jude« bezeichnet, der verschlagen die Freunde gegeneinander ausspielt, um davon zu profitieren.

Die Zeilen spiegeln die Parolen des damals mächtigen Anführers der Nation of Islam, Louis Farrakhan, wider, der offen von einer angeblichen systematischen Ausbeutung der Schwarzen durch Juden im Entertainment spricht. Farrakhan erfährt bis heute Unterstützung aus der Musikwelt und lässt sich gerne mit Rappern ablichten. Die meisten Stimmen sind heute jedoch gemäßigter. So erkennen seriöse Publikationen wie die Studie »The Right to Sing the Blues« des Harvard-Professors Jeffrey Melnick von einer starken gegenseitigen Befruchtung zweier Minderheiten in einem Sektor, der ihnen, anders als andere Gebiete, immer offen stand.

alter jude Jerry Heller selbst, der gemeinsam mit N.W.A.-Star Eazy-E und ihrer Plattenfirma Ruthless zu ihrer Blütezeit 10 Millionen Dollar im Monat verdiente, sieht heute sein Verhältnis zu N.W.A. so: »Wenn ein Junge aus dem Ghetto, der vorher bis auf Polizisten noch nie einen Weißen gesehen hatte, und ein alter Jude gemeinsam eine der erfolgreichsten Firmen des Business gründen können, dann gibt es Hoffnung für uns alle.«

Und auch Ice Cube ist in seiner Sicht von Heller über die Jahre milder geworden. »Er hat sich nach außen hin immer für uns eingesetzt«, sagte er jüngst. »Wir haben ihm viel zu verdanken.« Die Betrugsvorwürfe von damals beschreibt er nun lapidar so: »Jerry hat auf seinen Schnitt geachtet.« Von jüdischer Gier will Ice Cube – anders als früher – heute nicht mehr sprechen.

Der Trailer zum Film:
www.youtube.com/watch?v=rsbWEF1Sju0

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