Seit sich herumgesprochen hat, dass Opfer eine bessere Presse haben als Täter, sind die Deutschen neidisch auf die Juden und haben sich auf viktimologische Aufholjagd begeben. Raucher, Kampfhundehalter und Ostrentner fühlen sich »wie damals die Juden« diskriminiert; Abtreibung, Alleeabholzungen und Fluglärm sind der jeweils neue Holocaust.
Jetzt kriegen die Deutschen sogar ihren eigenen Jom Haschoa. Einen offiziellen »Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus« gibt es seit 2005 zwar schon, am 27. Januar, dem Jahrestag der Befreiung von Auschwitz. Aber der hat sich nicht als publikumstauglich erwiesen, weshalb ARD und ZDF die Feierstunde im Bundestag auch nicht mehr übertragen.
Dagegen Jom Haschoa in Israel: An jedem 27. Nissan um 10 Uhr früh ertönen im Land die Sirenen. Zwei Minuten lang ruht das öffentliche Leben, Autos stehen still, die Arbeit wird unterbrochen, eine ganze Nation schweigt. Ein eindrucksvolles Bild.
stillstand »Auch haben«, quengelt da der deutsche Opferneidler. Und wie im Märchen erscheint eine gute Fee und erfüllt ihm seinen Wunsch. Yael Bartana heißt sie, eine Videokünstlerin und waschechte Israelin. Für die »Impulse Theater Biennale 2013« hat sie das Projekt »Zwei Minuten Stillstand. Halt an und denke« konzipiert, das »ein politischer Akt, eine soziale Skulptur und kollektive Performance im öffentlichen Raum der Stadt« werden soll.
Die Stadt ist Köln. Dort sollen am 28. Juni die Menschen zwei Minuten lang ihren Alltag unterbrechen, um »Gegenwart zu reflektieren, über die Geschichte nachzudenken und über unsere Zukunft. Darüber, was es heute bedeutet, deutsch zu sein, als Immigrant in Deutschland zu leben, welche Konsequenzen der Holocaust ebenso wie seine Instrumentalisierung heute haben«.
Instrumentalisierung heißt seit Norman Finkelstein bekanntlich: Die Zionisten sind schlimme Finger. Deshalb geht es bei der Aktion auch um »die Besetzung der palästinensischen Gebiete«. Da gedenkt es sich gleich viel angenehmer, wenn Juden selbst auch Täter sind.
eurokrise Nicht, dass die Bundesbürger damit völlig aus dem Schneider wären. Wir haben schließlich Eurokrise: »Selbst die finanziellen Ungleichheiten in der EU sind vielfach noch immer Folgen des Zweiten Weltkriegs, so wie es Deutschlands Wohlstand ist.« Fehlt nur noch der Klimawandel. Doch der gehört bestimmt auch irgendwie dazu, denn die Aktion ist »nicht nur Gedenken, sondern eine Aufforderung, die Gegenwart zu verändern. Ein Tag des Aufbegehrens gegen Gewalt und Ungerechtigkeit heute.«
Der Start zu »Zwei Minuten Stillstand« ist übrigens um 11 Uhr am Roncalliplatz. Nicht zu verwechseln mit dem Alter Markt um 11.11 Uhr, viereinhalb Monate später. Da beginnt die Karnevalssession unter dem Motto: »Zokunf – mer spinkgse was kütt« – »Zukunft. Mal sehen, was kommt.« Könnte glatt von Yael Bartana sein.