Mit guten Filmbüchern verhält es sich so wie mit guten Büchern über Musik: Sie sind rar. Und scheinen in diesem nicht gerade verkaufsträchtigen Genre immer rarer zu werden. So greifen Autoren, sofern sie sich nicht schon eine Prominenz via Fernsehen oder Konzertsaal erarbeitet haben, gerne auch einmal zu Aufmerksamkeit heischenden Thesen.
Eine findet man im neuen Buch Der Pakt des amerikanischen Historikers Ben Urwand. Sie lautet: Die mehrheitlich jüdischen Film-Mogule Hollywoods waren in den 30er-Jahren die filmischen Steigbügelhalter Hitlers. In vorauseilendem Gehorsam ließen sie Antinazi-Projekte versanden, verhinderten pro-jüdische Drehbücher, drehten deutschlandkritischen Filmideen den Hahn ab. Dies geschah, um ihre Geschäftsinteressen in Nazi-Deutschland zu wahren, damals Europas drittgrößter Absatzmarkt. Nur Warner Brothers brachen 1933, nach einem Überfall auf den Leiter ihres Berliner Büros, die Zelte ab.
Fußnoten Vom Schweigen und geschmeidigen Verhalten Hollywoods erzählt Ben Urwand, von Duckmäusertum, Appeasement, Business und Entertainment – und präsentiert seine Forschungsergebnisse als Sensation. Die aber sind mitnichten so neu, wie der Harvard-Historiker behauptet. Fast 1000 Fußnoten weist sein Text auf. Zahlreiche Archive hat Urwand in den USA und in Europa aufgesucht. Vieles hat er zutage gefördert. Manches davon ist tatsächlich wert, als Fund deklariert zu werden.
Allzu viel aber ist nicht neu und nicht der Skandal, den er lautsprecherisch aufdecken will. Denn seine Thesen sind steil. Allzu oft erweist sich Ben Urwand als Dan Brown der Filmhistoriografie. Wenn es keine materiellen und überprüfbaren Beweise für eine Verschwörung gibt, und das ist wahrlich nicht selten der Fall, dann soll genau dies der Beweis für eine Verschwörung sein. Sprachlich wird das bereits am sensationsheischenden Titel Der Pakt deutlich. Im Original ist er noch verdammender: The Collaboration. Auch im Text selbst fallen absichtliche Verschattungen und Verzerrungen auf sowie ein Tremolo, das nicht selten ebenso laut wie dramatisch wird. Und schlicht falsch klingt.
Was fehlt, ist ein größerer Rahmen. Da erweist sich der Historiker Ben Urwand als eher mittelmäßiger Filmhistoriker. Daten sind falsch, sodass mehrere Argumente in sich zusammenfallen. Und sein Blick ist zu eng, im Gegensatz etwa zu Thomas Dohertys 2013 erschienener Monografie Hollywood and Hitler, 1933–1939. Pro-imperialistische Filme wie The Lives of a Bengal Lancer von Henry Hathaway liest Urwand als faschistisch, was bizarr ist. Denn hier sollte das Republikanische gestärkt werden und eben nicht, was Urwand ausdauernd nachweisen will, durch antidemokratische autokratische Systeme ersetzt werden.
Marktchancen Vollends merkwürdig ist der Epilog, in dem Urwand eine von der US Army organisierte Exkursion einer Handvoll Studiobosse im Juli 1945 durch die amerikanische Zone Deutschlands schildert. Dass Darryl Zanuck, Harry Cohn und die anderen dieses Angebot annahmen – ein Programmpunkt war auch der Besuch des KZs Dachau –, liegt auf der Hand. Sie wollten Marktchancen eruieren und machten den Vorstoß, die deutsche Filmproduktion komplett ihnen zu übertragen, was von den Militärbehörden sofort verworfen wurde.
Bei Ben Urwand klingt es allerdings so, als sei beispielsweise die Fahrt auf dem Mittelrhein an Bord von Hitlers mittlerweile beschlagnahmtem Privatschiff ein Betriebsausflug von Kollaborateuren gewesen, die weidlich den Kitzel genossen, an Bord eben dieser Riesenjacht zu sein. Eine abwegige Deutung. So bleibt am Ende ein mehr als zwiespältiger Eindruck zurück, zwischen Erkenntnis und Fehlinterpretation, Erhellendem und peinlicher Einseitigkeit oszillierend.
Ben Urwand: »Der Pakt. Hollywoods Geschäfte mit Hitler«. Übersetzt von Gisella M. Vorderobermeier. Theiss, Darmstadt 2017, 328 S., 29,95 €