Dass die jüdischen Studiobosse in Hollywood sich zu Anfang der Nazizeit nicht mit Ruhm bekleckerten, konnte längst jeder wissen, der sich auch nur ein bisschen mit dem Thema beschäftigt hatte. Eine besonders fatale Rolle spielte von 1933 bis 1939 das »Hayes Office«, eine Institution, mit der Hollywood sich selbst zensierte, um nur ja keinen Anstoß zu erregen. Dieser Zensur fiel nicht nur jede Szene zum Opfer, die – igitt! – irgendwie nach Sex roch. Zensiert wurde außerdem alles, was andere Nationen in ein unfreundliches Licht rückte: Kein Land sollte im amerikanischen Kino anders als in den heitersten Farben erscheinen, auch nicht Hitlerdeutschland.
vorwürfe In jüngster Zeit sind in Amerika nun zwei Bücher erschienen, die in verschiedenen Schärfegraden mit jener Epoche abrechnen. Das eine heißt Hollywood and Hitler und stammt von dem Filmhistoriker Thomas Doherty, das andere – Hollywood’s Pact with Hitler – wurde von einem Australier namens Ben Urwand geschrieben. Während Doherty den Studiobossen nur ankreidet, sie seien aus Geldgier feige gewesen, wirft Urwand ihnen geradezu Kollaboration vor. Er will herausgefunden haben, dass der damalige deutsche Konsul in Los Angeles, ein Nazi namens Georg Gyssling, direkt Einfluss darauf nahm, was in amerikanischen Kinos gezeigt werden durfte und welche Szenen auf dem Fußboden des Schneideraums blieben.
Die Debatte um diese zwei Bücher war heiß und heftig. Viel zu mau fand Urwand das Buch seines Kollegen Doherty; er seinerseits musste sich den Einwand gefallen lassen, manche seiner Behauptungen seien schlecht belegt. Doch beide Autoren scheinen nichts über eine verborgene Episode in der Geschichte Hollywoods gewusst zu haben, die nun die Judaistin Laura Rosenzweig ausgegraben hat. Sie präsentiert ihren Fund in der jüngsten Ausgabe der »Jewish Review of Books«.
Zunächst muss man wissen, dass 1933, als Hitler an die Macht kam, die verschiedenen US-Naziorganisationen sich zu einem einzigen landesweiten Verband zusammenschlossen, den »Friends of the New Germany« – einer Vorform des späteren »German-American Bund«. Im März 1933 eröffnete die Gruppe einen Buchladen in Los Angeles, der Pamphlete über die »jüdisch-bolschewistische Bedrohung Amerikas« und Lobpreisungen des Nationalsozialismus feilbot. Im Frühling und Sommer 1933 veranstalteten die amerikanischen Nazis eine ganze Reihe von Demonstrationen, im Jahr darauf gab es eine Massenversammlung im Madison Square Garden. Die »Friends of the New Germany« versuchten vor allem, amerikanische Weltkriegsveteranen für ihre Sache zu gewinnen.
unterwandert Damit erregten sie den Argwohn von Leon Lewis, einem jüdischen Anwalt und Veteran, der früher an herausragender Stelle für die Anti-Defamation League gearbeitet hatte. Lewis gelang es, nichtjüdische Veteranen dazu zu bewegen, in den Verein einzutreten und Informationen zu sammeln. Sie berichteten ihm, dass Führer der amerikanischen Organisation sich mit deutschen Nazigrößen an Bord von Handelsschiffen getroffen hatten, die im Hafen von Los Angeles anlegten.
Viele Tonnen Flugblätter und große Geldsummen waren an Land geschmuggelt worden. Vielleicht noch alarmierender war, was in den Hügeln oberhalb von Hollywood geschah: Braune Milizen übten sich dort im Schießen und im Straßenkampf. Die US-Nazis hatten außerdem versucht, die kalifornische Nationalgarde zu infiltrieren, um herauszubekommen, wo diese ihre Waffen aufbewahrte. Kurz: Sie bereiteten sich auf eine blutige Machtergreifung vor.
Leon Lewis hatte allerdings ein Problem. Er finanzierte das Anti-Nazi-Unternehmen aus eigener Tasche. Zunächst versuchte er, die B’nai B’rith anzupumpen – ohne Erfolg. Auch die »monied men«, wie er sie nannte – reiche jüdische Rechtsanwälte, Richter, Bankiers, Ärzte –, ließen ihn im Regen stehen. Sie versprachen ihm 5000 Dollar, brachten aber nur 1000 Dollar auf und verabschiedeten sich dann ebenso schnell wie höflich.
gipfeltreffen Wer half schließlich? Die Studiobosse von Hollywood. Am 13. März 1934, so berichtet Laura Rosenzweig, versammelten sie sich im Hillcrest Country Club, den Juden einst gegründet hatten, weil sie in die christlichen amerikanischen Clubs nicht aufgenommen wurden. Alle waren sie gekommen – Louis B. Mayer und Irving Thalberg, die Chefs von Metro-Goldwyn-Mayer, ferner Sam Briskin, einer der Chefs der Columbia Studios, auch Emanuel Cohen, der Boss von Paramount, und Pandro Berman von RKO.
Außerdem dabei: die Produzenten David O. Selznick, Harry Rapf und Sam Jaffe sowie die Regisseure Ernst Lubitsch und Georg Cukor. Bei einem festlichen Dinner berichtete Leon Lewis, die Ausforschung des Nazi-Ringes habe binnen acht Monaten 7000 Dollar verschlungen; den größten Teil dieser Summe habe er aus seinem Privatvermögen bezahlt.
Louis B. Mayer reagierte sofort: »Ich für meinen Teil werde nicht passiv bleiben. Zwei Dinge werden gebraucht, Geld und eine intelligente Führung ... es ist die Pflicht der Männer hier im Raum zu helfen.« Die anderen Studiobosse schlossen sich ihm an, und innerhalb von zwei Monaten waren mehrere Tausend Dollar zusammengekommen, um einen Anti-Nazi-Spionagering zu finanzieren.
ausforschungen Dieser Ring existierte von 1934 bis 1941 und leistete ganze Arbeit. So führten seine Ermittlungen dazu, dass eine Reihe amerikanischer Nazis sich 1938 vor dem »House Un-American Activities Committee« des Kongresses verantworten mussten (das damals noch vorwiegend mit der Aufdeckung rechtsradikaler Umtriebe beschäftigt war). 1942 gelang es, einen gewissen William Dudley Pelley vor ein Bundesgericht zu bringen.
Pelley war der Chef der faschistischen Miliz »Silver Shirts«; er wurde zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt. Und 1944 wurde das Verfahren gegen gleich 23 Naziagenten auf einmal eröffnet, unter ihnen Herman Schwinn, der »Gauleiter« des »German-American Bund« in Los Angeles. Alles in allem: keine schlechte Bilanz.
1939 brach Hollywood dann endlich sein cineastisches Schweigen. Confessions of a Nazi Spy kam heraus, ein Film über Versuche von Naziagenten, die amerikanische Gesellschaft zu unterminieren. Dieser Film, entstanden in den Studios der Warner Brothers, unter Regie von Anatole Litvak, mit Edward G. Robinson in der Hauptrolle, klärte die US-Öffentlichkeit zum ersten Mal über das auf, was die jüdischen Filmfürsten längst wussten: Er zeigte geheime Treffen auf deutschen Handelsschiffen und handelte von Versuchen, Veteranen für die Sache der Nazis zu gewinnen.
Gewiss kann man Louis B. Mayer und Gefährten dafür tadeln, dass sie nicht früher gesprochen haben. Gewiss räumten sie dem deutschen Generalkonsul eine zu große Macht ein. Der Vorwurf der Kollaboration aber, den Ben Urwand in seinem schlecht recherchierten Buch erhebt, ist haltlos: Kollaborateure finanzieren keinen Anti-Nazi-Spionagering.
Thomas Doherty: »Hollywood and Hitler«.
Columbia University Press, New York 2013, 448 S., 35 US-$
Ben Urwand: »The Collaboration: Hollywood’s Pact with Hitler«. Harvard University Press, Cambridge 2013, 26,95 US-$
Laura Rosenzweig: »Spy versus Spy«. Jewish Review of Books, Winter 2014