Der Internationale Suchdienst (ITS) in Bad Arolsen hat ein Jahrbuch mit frühen Dokumenten von Holocaust-Überlebenden veröffentlicht. Es handele sich um Dokumente, »die einen nicht kalt lassen«, sagte die Leiterin des Bereichs Forschung und Bildung beim ITS, Susanne Urban, am Mittwoch bei der Vorstellung des Bandes in Gießen. Ein Beispiel für diese frühen Zeugnisse seien Fragebögen, mit denen die Alliierten nach 1945 die Überlebenden der Konzentrationslager befragten.
Darin schrieb etwa Helena Rosenbaum über das Konzentrationslager Auschwitz: »Während meines Aufenthaltes keine besonderen Ereignisse. Jeden Tag dieselben Verbrennungen und Folterungen.« Im ITS befänden sich außerdem die Akten von überlebenden Kindern, die trotz der schrecklichen Erlebnisse Zukunftsvisionen entwarfen, sagte Urban. Auch habe man einen Bericht von Zwillingen gefunden, die für Menschenversuche missbraucht wurden.
»Riesige Schatzkammer« Das Buch sei eine »riesige Schatzkammer«, sagte der Leiter der Arbeitsstelle Holocaustliteratur an der Universität Gießen, Sascha Feuchert. Lange habe in der Forschung die Position vorgeherrscht, dass die Überlebenden nach 1945 kaum Zeugnisse abgelegt hätten. »Das ist falsch, es gibt Hunderte Dokumente, aber sie sind einer Mauer aus Abwehr begegnet.« Wegen dieser »Abwehrhaltung«, die mit Verdrängung zu tun habe, seien die frühen Texte aus dem kulturellen Gedächtnis herausgefallen. Jetzt mache der ITS diese Texte der Forschung zugänglich.
Der Band Freilegungen: Überlebende – Erinnerungen – Transformationen ist das zweite ITS-Jahrbuch. Im vergangenen Jahr erschien eine Publikation über Todesmärsche, im kommenden Jahr ist ein Buch über »Displaced Persons« geplant.
1946 organisierten die Vereinten Nationen von Arolsen aus die Familienzusammenführung, Versorgung und Rückführung der Millionen vertriebenen Menschen nach dem Krieg. Die Einrichtung erhielt 1948 ihre Bezeichnung »International Tracing Service«. Noch heute erreichen den ITS Anfragen von Opfern des Nationalsozialismus und deren Angehörigen.
Das Dokumentationszentrum, in dem 30 Millionen Dokumente aus der NS- und der Nachkriegszeit lagern, gibt Auskunft über Verfolgungswege und hilft Menschen bei der Suche nach Familienangehörigen. Seit Ende 2007 sind die Dokumente der Forschung zugänglich. Seit einer Woche gehört das Archiv des ITS zum Weltdokumentenerbe »Memory of the World« der UNESCO. epd