Medizin

Hippokrates im Ghetto

»Trost im Umfeld von Terror«: das Ghetto Lodz 1942 Foto: ullstein

Viele Berufe beziehen sich auf einen Ehrenkodex, bei keiner Profession ist dieser aber so verwurzelt wie bei den Ärzten. Schon in der Antike formulierte der griechische Arzt Hippokrates eine ärztliche Ethik. Die zeitgemäße Version dieses Eides ist die Genfer Deklaration des Weltärztebundes. Darin steht beispielsweise geschrieben, dass man als Arzt selbst unter Bedrohung nicht in Widerspruch zu den Geboten der Menschlichkeit handeln soll. Wie sieht die Situation aber aus, wenn man sich in einem Konzentrationslager wiederfindet – selber einer Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt?

Dieses Dilemma zu beleuchten, haben sich vier Wissenschaftler zum Ziel gemacht. Harold Bursztajn, Geoffrey Brahmer, Tessa Chelouche und Jacob Holzer sitzen auf dem Podium im Centrum Judaicum in Berlin. »Die vergessenen Ärzte der Shoah: Tragische Entscheidungen unter Terror« heißt das Thema ihrer Vorträge. Die Stuhlreihen sind voll besetzt, viele Besucher tragen Kopfhörer, damit sie der Übersetzung ins Deutsche lauschen können. Auf Englisch beginnen Bursztajn und Brahmer zu erklären, wie die Gesundheitspflege im Ghetto Lodz aussah. Ein Drahtseilakt zwischen Pflege und Regeln, zwischen Gewissen und Widerstand sei es gewesen, so die beiden Amerikaner.

dilemma In Gut und Böse einteilen könne man die jüdischen Ärzte des Lodzer Ghettos nicht. »Wie immer unter Menschen gab es sowohl Gerechte als auch Kollaborateure, auch bei den Medizinern«, sagt Brahmer. Natürlich seien Bestechung und Korruption an der Tagesordnung gewesen.

Aber auch menschliche Gesten und Nächstenliebe wurden im Ghetto gelebt. Das Gesundheitssystem im Lodzer Ghetto erreichte seinen Höhepunkt im Herbst 1941, als über 170 jüdische Ärzte in fünf Spitälern tätig waren. Dass dies überhaupt möglich war, sei dem Zusammenhalt der Gemeinde zu verdanken gewesen, so die Wissenschaftler.

»Einen heilenden Beruf in einem Todeslager auszuüben, erscheint paradox«, sagt die israelische Wissenschaftlerin Tessa Chelouche. Sie hat untersucht, ob und wie die jüdischen Ärzte ihre ethischen Grundsätze in den KZs berücksichtigen konnten. Dabei kam sie zu dem Ergebnis, dass es auf den einzelnen Menschen ankam, ob und in welchem Grade er sich mitschuldig machte.

Die jüdischen Ärzte in den Ghettos und KZs waren mehr als nur Mediziner. »Sie spendeten Trost in einem Umfeld von Terror, Krankheit, Hunger und Tod«, sagt Jacob Holzer. Er untersuchte die Rolle der Ärzte anhand des Romans Jakob der Lügner und kam zu der Erkenntnis, dass sie im zwischenmenschlichen Bereich Großes geleistet haben. Gerade weil ihnen medizinisch die Hände gebunden waren. Dies sei, darin sind sich die Experten einig, ein Versuch gewesen, dem hippokratischen Eid auch unter schwierigsten Umständen gerecht zu werden.

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 20. Februar bis zum 27. Februar

 21.02.2025

Berlinale

»Das verdient kein öffentliches Geld«

Der Berliner CDU-Fraktionschef Dirk Stettner hat seine Karte für die Abschlussgala zerrissen – und will die Förderung für das Filmfestival streichen

von Ayala Goldmann  21.02.2025

Bayern

NS-Raubkunst: Zentralrat fordert schnelle Aufklärung

Der Zentralrat der Juden verlangt von den Verantwortlichen im Freistaat, die in der »Süddeutschen Zeitung« erhobenen Vorwürfe schnell zu klären

 20.02.2025

Kolumne

Unentschlossen vor der Wahl? Sie sind in guter Gesellschaft – mit Maimonides

Der jüdische Weise befasste sich mit der Frage: Sollten wir als Kopfmenschen mit all unserem Wissen auch bei Lebensentscheidendem dem Instinkt vertrauen?

von Maria Ossowski  20.02.2025

Berlin

Eine krasse Show hinlegen

Noah Levi trat beim deutschen Vorentscheid für den Eurovision Song Contest an. In die nächste Runde kam er nicht, seinen Weg geht er trotzdem

von Helmut Kuhn  20.02.2025

NS-Unrecht

Jüdische Erben: »Bayern hat uns betrogen« - Claims Conference spricht von »Vertrauensbruch«

Laut »Süddeutscher Zeitung« ist der Freistaat im Besitz von 200 eindeutig als NS-Raubkunst identifizierten Kunstwerken, hat dies der Öffentlichkeit aber jahrelang verheimlicht

von Michael Thaidigsmann  20.02.2025

Literatur

»Die Mazze-Packung kreiste wie ein Joint«

Jakob Heins neuer Roman handelt von einer berauschenden Idee in der DDR. Ein Gespräch über Cannabis, schreibende Ärzte und jüdischen Schinken

von Katrin Richter  20.02.2025

Berlinale

Auseinandergerissen

Sternstunde des Kinos: Eine Doku widmet sich David Cunio, der am 7. Oktober 2023 nach Gaza entführt wurde, und seinem Zwillingsbruder Eitan, der in Israel auf ihn wartet

von Ayala Goldmann, Katrin Richter  19.02.2025

Berlin

»Sind enttäuscht« - Berlinale äußert sich zu Antisemitismus-Skandal

»Beiträge, die das Existenzrecht Israels infrage stellen, überschreiten in Deutschland und auf der Berlinale eine rote Linie«, heißt es in einer Erklärung des Festivals

von Imanuel Marcus  19.02.2025