Späte Sonnenstrahlen fallen schräg durch die dünnen Scheiben. Alle paar Meter sorgen weiße Stoffbahnen für ein bisschen Schatten, und selbst abends ist es hier noch so hell, dass die Farben einfach keine Ruhe geben. Die zarten Blautöne nehmen dann noch einmal Fahrt auf, warmes Maisgelb stemmt sich dagegen. Ilana Lewitan genießt die geräuschlosen kleinen Rangeleien in ihrem Atelier. »Dieses Gewächshaus ist ein Glück«, sagt sie. Und meint damit sehr viel mehr als den lichten Raum mitten in einer ehemaligen Münchner Großgärtnerei, der bekannten heutigen Künstlerkolonie Botanikum.
»Ich male, seit ich denken kann«, beginnt sie zu erzählen, »doch es hat lange gebraucht, bis mir klar wurde, dass ich gar nichts anderes machen will.« Das klingt fast kokett, wenn man weiß, welche Karriere die seit Jahren international erfolgreiche Künstlerin an den Nagel gehängt hat. Das ging schon damit los, dass ihr bereits vor dem Diplom ein Job bei dem amerikanischen Star-Architekten Richard Meier angeboten wurde.
Dem gefielen die einfallsreichen Entwürfe der Münchner TU-Studentin so gut, dass er ihr vorschlug, nach den Prüfungen gleich in der New Yorker Zentrale seines weltweit agierenden Büros anzufangen. 1988 war das, und so etwas lehnt man natürlich nicht ab, egal, wie hart es in den Teams solcher Global Player zugeht. »Zweifel lässt man gar nicht erst aufkommen«, erinnert sich Lewitan.
akademie Dabei lag die Kunst von Anfang an auf der Hand. In der Schule gilt Ilana zwar als Träumerin, die immer ein paar Zentimeter über dem Boden tänzelt, doch ihre Lehrer erkennen schnell, dass sie wunderbar zeichnen kann und ein Fall für die Akademie ist. Den Vater porträtiert sie einmal so überzeugend, dass der richtig gerührt ist vom Talent seiner Jüngsten. Aber wie das eben so ist – die Tochter soll etwas »Richtiges« lernen.
Freilich spielt die Kunst eine beträchtliche Rolle zu Hause. Die Eltern, beide stammen aus einer Künstlerfamilie, sammeln im überschaubaren Rahmen, und Ilana entwickelt ein Faible für die Bilder von Gabriel von Max, der sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts am Starnberger See auf das Malen seiner geliebten Affen konzentrierte.
Dass in den Arbeiten Ilana Lewitans regelmäßig Primaten auftauchen, kommt also nicht von ungefähr. Und wie bei von Max – man denke an die herrlich subversiven »Affen als Kunstrichter« – kann man einen wissenden Blick, vielleicht sogar den besseren Menschen im Tier und ein feines Spötteln ausmachen. Auch Jörg Immendorffs selbstironischer Maleraffe ist nicht weit.
motive Überhaupt sind die Motive ein besonderes Kapitel in diesem Werk; das beginnt bei den Torsi, Porzellanpuppen und den anonymen Denkern und endete mit Schreibmaschinen, Tablets und Ladekabeln. Wobei deren Kombinationen ganz eigene Rätsel aufgeben. Etwa, wenn in einer Waldlandschaft am unteren Bildrand Steckdosen liegen, und das mit einer Selbstverständlichkeit, als handelte es sich um Steine oder eine Ansammlung ineinander verschlungener Pilze.
Die Erklärung ist übrigens ganz von dieser Welt. »Wenn ich mit meinen beiden Töchtern spazieren gehe und gerade dabei bin, abzuschalten, mosert schon die erste, dass der Akku ihres iPhones schwächelt.«
Der Humor sitzt tief bei Ilana Lewitan, das gibt ihrer Kunst immer wieder etwas Amüsantes, sogar Leichtfüßiges. Man darf sich allerdings nicht täuschen lassen; in den zuweilen surrealen Arrangements finden sich noch ganz andere Bezüge. Denn der Wald kann auch zur Schutzzone werden, zum Versteck. Lewitans Mutter konnte der Deportation aus dem Warschauer Ghetto entkommen, der Vater floh aus einem polnischen Schtetl nahe der russischen Grenze, und für ihn waren die Bäume, das Dickicht, die Rettung.
koffer Wenn man diese Hintergründe kennt, dann wird ein Quader zum Koffer, und der Pass, den man zunächst für ein aktuelles Statement etwa zu Donald Trumps absurden Einreiseverboten halten könnte, verwandelt sich zum lebensrettenden Visum. Auch die so lässig eingestreuten Würfel können für ein Glückspiel der fatalen Art stehen: das auf Leben und Tod.
Ilana Lewitans Mutter trug bis zum Ende schwer am Erlebten, der Vater sprach nur selten über die Vergangenheit. Auch und gerade deshalb haben sich deren Ängste tief in die Seelen der Tochter eingegraben, »denn man bleibt immer das Kind von Überlebenden«, erklärt die Künstlerin, die nun für einen kurzen Moment innehält.
Es ist kühl geworden im Gewächshaus, die Farben glimmen im Schein der Lampen etwas verhaltener. Das mag auch an der Ölmalerei liegen, die sich Ilana Lewitan seit gut fünf Jahren mehr und mehr zu eigen macht. »Sie zwingt mich, Pausen einzulegen und abzuwarten«, gesteht die 57-Jährige. Und sie lässt interessantere Schichtungen zu, genauso Lasuren, die den Blick aufs Darunter freigeben.
capri Über die Zusammenstellung der Farben muss sie nie lange grübeln, die ergebe sich von selbst. So, als dränge da etwas nach außen, das im Inneren längst angelegt ist. Deshalb waren die Sommerakademien bei Hans Daucher so etwas wie eine Offenbarung. Der Münchner Kunstpädagoge ließ seine Studenten in der legendären Villa Malaparte auf Capri in die Farben des Südens eintauchen. Mitte der 90er-Jahre gab das Lewitan den letzten entscheidenden Kick, sich nun ganz auf die Malerei zu konzentrieren und das Vernunftkorsett Architektur endgültig abzulegen.
Bald experimentiert sie mit Übermalungen und Collagen und fügt Fotografien ihrer Familie in die Bilder wie etwa von den Großeltern – bis Markus Lüpertz sie in seiner sehr direkten Art auffordert, auch solche Details selbst zu malen. Es gebe keinen Grund, sich davor zu drücken, sie könne das schließlich. Punkt. Er drängt Lewitan hin zum Abstrahieren, also loszulassen vom Greifbaren und genau zu Verortenden.
Sie lotet diese Möglichkeiten aus, verlässt sich auch wieder auf ihre außergewöhnliche Intuition und findet mit der Zeit zu Kompositionen, die ihre mehrfach deutbaren Motive in Niemandsräumen irritierend verschränkter Perspektiven schweben lassen. Man ahnt den Abgrund, aber das muss nichts heißen. Hinter dem Horizont wartet noch etwas.