Andrej Filipow, einst Stardirigent des Moskauer Bolschoi-Orchesters, ist vor 30 Jahren, in der Breschnew-Ära, in Ungnade gefallen, weil er sich geweigert hatte, jüdische »Volksfeinde« aus seinem Ensemble zu entfernen. Nun fristet er sein Leben als Hausmeister im Bolschoi. Da fällt ihm eines Tages beim Putzen im Büro des Direktors ein gerade eintreffendes Fax in die Hände. Der Intendant des Pariser Théâtre du Châtelet sucht dringend Ersatz für ein verhindertes amerikanisches Orchester. Andrej kommt wie ein Blitz die Idee, sein altes Ensemble wieder auferstehen zu lassen und es in Paris für das echte Bolschoi-Orchester auszugeben. Er lässt das Fax mitgehen …
Wie schon Zug des Lebens und Geh und lebe ist auch Radu Mihaileanus neuer Film Das Konzert ein ständiges Wechselbad, anrührend, komisch, dramatisch und sehr jüdisch. Wieder geht es um Notlügen, die zur Befreiung führen, um Menschen, die mit Humor der Tragödie entfliehen, nur dank ihrer Improvisationsfähigkeit und ihrer Einfälle überleben. Mihaileanu ist die osteuropäische Antwort auf die Coen-Brüder, allerdings politischer. Es geht bei allem Witz um verlorene Ideale, um die Angst totalitärer Machthaber vor der Intelligenzia und die Traumata, die die Diktatur bei vielen hinterlassen hat.
bunte truppe Mit seinem besten Freund Sascha Grossman, früher am Cello, jetzt am Lenkrad einer Ambulanz, sammelt Andrej seine renitente alte Truppe zusammen. Stoff genug, um sämtliche Klischees über Juden, Russen, Georgier, Sinti, Roma und Kommunisten zu bedienen (und wunderbare Schauspieler einzusetzen). Einer spielt Klarinette als Hintergrundmusik für Pornos, ein anderer verkauft Melonen auf dem Markt, eine Ex-Musikerin bewacht Dinosaurier im Museum, und der gläubige Viktor ist Rentner, lässt sich aber mit einem »In Paris gibt es mehr Synagogen als Kirchen und in Notre Dame beten sie drinnen und sagen draußen Kaddisch« bequatschen. Sogar Iwan Gawrilow, den linientreuen einstigen Manager des Bolschoi, der an seiner Entlassung beteiligt war, nimmt Andrej mit an Bord, weil Iwan ein genialer Organisator ist und Französisch kann. Von einem Uralt-Telefon im muffigen Bolschoi-Keller verhandelt er mit dem Herrn Direktor in Paris, der in einem perfekten, schneeweißen Büro vor teuren Bildern sitzt. Iwan verlangt ein bestimmtes Hotel, ein bestimmtes Restaurant und eine Dampferfahrt auf der Seine für 60 Mann. Andrej seinerseits will unbedingt die junge französische Geigerin Anne-Marie Jacquet als Solistin, nur sie. Und er will Tschaikowskys Konzert für Violine und Orchester in D-Dur spielen lassen, und nur das – das Stück, das bei seinem Rauswurf auf dem Programm stand.
Radu Mihaileanu, als Kind von Schoa-Überlebenden im kommunistischen Rumänien aufgewachsen, floh 1980 nach Frankreich. Er kennt sich aus in beiden Welten, Ost und West, und besitzt ein feines Gespür und eine genaue Beobachtungsgabe, die sich in unzähligen kleinen Details spiegelt. Im von Mihaileanu als fein und elegant inszenierten Paris angekommen, quillt die wilde, angesoffene, kreischende Slawen-Horde mit ihren rentnerfarbenen Blousons, antiquierten Schieber- mützen und Streifen-Shirts aus dem Flughafen, verlangt sofort und in bar die Auszahlung der Gage und verschwindet wie ein unkontrollierbarer Bienenschwarm.
harmonie Doch dann wendet sich das Blatt und der Film. Der zweite, gedämpft ruhige Erzählstrang dreht sich um Anne-Marie, die sensible junge Geigerin, die nicht weiß, wer ihre Eltern sind, und um den depressiven Selbstzweifler Andrej, der auf der Suche nach der »ultimativen Harmonie« ist und sich mit Schuldgefühlen plagt. Hier kommt die Kunst ins Spiel, mit deren Hilfe Anne-Maries Geheimnis gelüftet wird. Großartig ist dabei die Filmmusik von Armand Amar, die mit Elementen von sozialistischem Marsch-Realismus, Zigeunermelodien und russischer Folklore spielt. Amar gelingt es, Tschaikowskys Violinkonzert auf die Hälfte zu kürzen, ohne es zu kastrieren. Wie Mihaileanu diese zwölf Minuten an das Ende des Films setzt, ohne dass eine öde 3-Sat-Konzertaufzeichnung daraus wird, sondern ein Exempel für die ungeheure Macht der Musik – das ist großes Kino. Rückblenden, in denen Anne-Maries Mutter »Luftgeige« im Gulag spielt; die Gesichter der Musiker – jedes einzelne eine Offenbarung; das elektrisierte Publikum; das Augengespräch zwischen Anne-Marie und Andrej, der mit ihr und seinen Musikern das Konzert doch noch in der von ihm erstrebten »ultimativen Harmonie« vollenden kann. Dem alten Viktor, der mit Kippa auf dem Kopf spielt, bleibt nach der letzten Note nur noch ein finales »Amen!«