»Was macht einen Film jüdisch?« – diese Frage stellte Lea Wohl von Haselberg von der Filmuniversität Babelsberg den Studierenden in der Auftaktveranstaltung der Summerschool der Bildungsabteilung des Zentralrats mit dem Titel »117 Jahre Jüdische Filmgeschichte in Deutschland«, die im Rahmen des 28. Jüdischen Filmfestivals Berlin Brandenburg (JFBB) von Mittwoch bis Sonntag stattfindet. Die Antworten waren fast so unterschiedlich wie zahlreich.
Sind es jüdische Figuren, die dargestellt werden? Ein klar erkennbares jüdisches Thema? Eine jüdische Regisseurin oder ein jüdischer Regisseur? »Alle heiklen Punkte wurden genannt«, sagt Wohl von Haselberg und ergänzt: »Wenn ich mich in dem Film mit meiner Erfahrung, meiner Biografie und Geschichte wiederfinde?« Um sogleich zu kontern: »Aber wenn wir gleichzeitig daran denken, wie heterogen das Judentum ist?«
Die Sache ist verzwickt und des Rätsels Lösung überraschend: »Der Begriff des jüdischen Films kommt aus dem Kontext der jüdischen Filmfestivals und ist kein wissenschaftlicher Begriff.« Rund 200 derartige Festivals gebe es seit den 80er-Jahren, als das erste Jewish Film Festival in San Francisco stattfand, erläutert die Seminarleiterin. »Aber man kann mit dieser Assoziationskraft ganz gut arbeiten.«
PROGRAMM Es sei schon eine »kongeniale Situation«, hatte sich der Direktor der Bildungsabteilung, Doron Kiesel, zuvor an die rund 30 Teilnehmer gewandt, »das Filmfestival und das Interesse der Studierenden, sich mit jüdischen Filmen auseinanderzusetzen.« Und Daniel Botmann, Geschäftsführer des Zentralrats, wunderte sich: »Bei diesem schönen Wetter tun sich Studierende ein derart anspruchsvolles Programm an?« Denn dieses kann sich sehen lassen.
Am Mittwoch referierten der Berliner Filmhistoriker Phiipp Stiasny über »Jüdisches Filmschaffen in der Weimarer Republik« und Christiane Wahlert, Vorstand der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, über »Filmische Darstellungen, Biografien und Film als materielles Erbe«.
Desweitern folgen in den nächsten Tagen unter anderem ein Kuratoren-Gespräch über die politische Dimension von Filmfestivals mit Arkadij Khaet, Regisseur und Mitglied des Programmkollektivs des JFBB und Bernd Buder (JFBB), eine Veranstaltung mit Irene Stratenwerth, Kuratorin der Ausstellung »Pioniere in Celluloid«, ein Vortrag des Filmwissenschaftlers Johannes Praetorius-Rhein über Filmschaffende in der Bundesrepublik am Beispiel des Produzenten Artur Brauner, Gespräche mit den Regisseurinnen Jeanine Meerapfel und Sharon Ryba-Kahn sowie ein Vortrag über Antisemitismus auf der Leinwand und im Kino von Tira Seene (Filmuniversität Babelsberg) oder eine Filmische Erinnerung an die Schoa von Doron Kiesel.
INTENSIV An jedem der Summerschool-Tage schauen sich die Studierenden, die aus Israel, New York, Belarus und Deutschland kommen und in den unterschiedlichsten Fachbereichen beheimatet sind, zudem drei bis vier Filme in verschiedenen Spielstätten an. Ein »sportliches Hochleistungsprogramm und eine unglaublich intensive Erfahrung« nennt das Christiane von Wahlert, und Lea Wohl von Haselberg nickt schmunzelnd: »Wenn man Filme so hintereinander wegguckt, fangen sie miteinander zu sprechen an.«
Schon bei der inhaltlichen Einführung zeigt sie die reiche Bandbreite der jüdischen Filmgeschichte auf. Von jüdischen, oft noch stereotypen Figuren in Stummfilmen bis zu Hollywoods Filmpionieren wie Carl Laemmle, der aus Laupheim bei Biberach stammte, 1912 die Universal Studios in Los Angeles gründete und sich während der Nazizeit beinahe ruinierte, weil er mit Bürgschaften Juden in Deutschland zur Emigration in die USA verhalf.
Vom Weimarer Kino über das »kurze Zeitfenster« des Jiddishen Film mit Produktionsstätten in Warschau und New York bis zum Thema Zionismus und Film, »zeitlich gesehen eine gemeinsame Geburtsstunde« – schon Theodor Herzl habe die Propaganda-Möglichkeiten des Mediums für einen jüdischen Staat verstanden und einen Kinematografen anschaffen lassen. Allein die Thematiken Film und Exil, »dieses rege Treiben in Europa und den USA«, oder Antisemitismus und Film seien riesig.
Sie reichen über das israelische Kino und eine »neue jüdische Sichtbarkeit« der zweiten und dritten Generation in den USA der 60er- und 70er-Jahre, wo Stars wie Barbra Streisand, Dustin Hoffman und der Filmemacher Woody Allen neue Akzente setzten, bis zum »Judentum in Serie, Fernsehen und Streaming« – unter anderem anhand des Beispiels der beliebten israelischen Serie Shtisel. »So schließt sich der Kreis zu den Anfängen«, sagte Wohl von Haselberg.
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