In den vergangenen Monaten drängte sich der Eindruck auf, Raubkunst in Deutschland habe einen Namen, ein Gesicht und eine Adresse. Zumindest Letzteres stimmt so nicht mehr. Denn nicht mehr nur in der Wohnung des Kunstsammlers Cornelius Gurlitt in München-Schwabing wurden Gemälde gefunden, sondern in der vergangenen Woche auch in seinem Haus im österreichischen Salzburg.
Zudem gibt es nach Angaben des Magazins »Focus« eine Spur, die zu zwei Bankschließfächern in der Schweiz führt. Es gibt Gerüchte über noch mehr Lagerorte, doch der Einzige, der deren Wahrheitsgehalt bestätigen könnte, ist der 81-jährige Cornelius Gurlitt selbst.
rückgabeversprechen Der hält zwar diese Informationen zurück, ließ aber in der vergangenen Woche über seinen Anwalt Christoph Edel ankündigen, er wolle alle Gemälde aus seiner Sammlung, die als Raubkunst zu klassifizieren sind, ihren jüdischen Besitzern oder deren Nachfahren zurückgeben. Das Bild »Sitzende Frau« von Henri Matisse etwa soll bald an die Erben des Kunsthändlers Paul Rosenberg, Marianne Rosenberg und Anne Sinclair gehen. Mit Hermann Göring hatte ein führender Nazi sich das Bild unter den Nagel gerissen, später war es über Umwege in den Besitz von Cornelius Gurlitts Vater gelangt. Dieser, der Kunsthändler Hildebrand Gurlitt, hatte Geschäfte mit von den Nazis als »entartet« diffamierter Kunst gemacht.
Von anderen konkreten Rückgaben ist bislang nicht die Rede, nicht einmal die vollständige Liste der – nach dem Salzburger Fund – auf 1280 angewachsenen Kunstwerke, die bei Gurlitt lagerten, darf öffentlich gemacht werden. Die »Bild«-Zeitung scheiterte vergangenen Freitag mit ihrem Versuch, beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof die Veröffentlichung der Liste zu erreichen: Das »Diskretionsinteresse des Kunstsammlers« sei gewichtiger, urteilte die höchste Instanz (das Verwaltungsgericht Augsburg hatte noch anders entschieden), dem Informationsinteresse sei schon weitgehend Rechnung getragen worden.
Dieter Graumann, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, sagte »Bild«, er könne den Beschluss nicht nachvollziehen: »Wer eine faire und gerechte Lösung in diesem Fall anstrebt, muss für größtmögliche Transparenz sorgen.« Auch Rüdiger Mahlo, Deutschland-Repräsentant der Claims Conference, fordert weitgehende Transparenz im ganzen Fall Gurlitt: »Alle Objekte der Gurlitt-Sammlung müssen in Datenbanken, wie zum Beispiel Lost Art, veröffentlicht werden.«
geisterhaus Sogar Cornelius Gurlitts Anwälte waren von dem Fund in einem als verwahrlost geltenden Haus in Salzburg überrascht. Dort lagerten nicht, wie anfangs gemeldet wurde, 60 Kunstwerke, sondern 238. Sie wurden erst zwei Wochen nach der ersten Hausdurchsuchung gefunden. Journalisten, die das Anwesen gesehen hatten, sprachen von einem »Messie-« oder »Geisterhaus«.
Entsprechend war der Zustand der Werke – darunter Bilder von Monet, Renoir, Manet, Gauguin, Liebermann, Cézanne, Nolde, Picasso und Munch. »Wir haben Werke, die unbeschädigt sind, und Werke, die der Restaurierung bedürfen«, erklärte der Kommunikationsberater Stephan Holzinger, der als Gurlitts Sprecher fungiert.
Für die Claims Conference fordert Rüdiger Mahlo, dass sich unabhängige Provenienzforscher um den Bestand kümmern sollen. »Es reicht nicht, wenn Gurlitt und sein Team Fachleute beauftragen«, so Mahlo. »Es kann nicht sein, dass die Bilder 70 Jahre unter Verschluss geblieben sind und nun Herr Gurlitt die Position eines Aufklärers innehaben möchte.«