Er ist wieder da? Er ist immer da. Bayreuth muss mit diesem Makel leben und stellt sich seit einigen Jahren verstärkt seiner Vergangenheit, wacker und tapfer. Als politisch korrektes Feigenblatt? Nein, klug und nachdenklich in Diskursen mit Gästen wie Daniel Barenboim oder András Schiff und mit der hervorragenden Publikation Sündenfall der Künste? Richard Wagner, der Nationalsozialismus und die Folgen.
In den Inszenierungen der Festspiele taucht die NS-Zeit mal mit mehr Karacho auf, mal diskreter. Dieses Jahr geschieht dies direkt hintereinander. Zunächst die diskrete Version. Dmitri Tcherniakov hat für die Festspieleröffnung die Vollromantikoper Der Fliegende Holländer inszeniert. (An dieser Stelle erinnern wir mal wieder an Herrn Heinrich Heine, bei dem Wagner sich großzügig bedient hat.)
VERNICHTUNGSFANTASIE Jede deutschtümelnde Romantik mit Schiff und Wellen und ewiger Treue hat der russische Regisseur in seiner Interpretation vermieden. Dennoch hat Tcherniakov den Text wörtlich genommen, diese Vernichtungsfantasie des Holländers, die sich liest wie eine Regieanweisung für den Weltkrieg: »Wann dröhnt er, der Vernichtungsschlag, mit dem die Welt zusammenkracht? Wann alle Toten auferstehn, dann werde ich in Nichts vergehn.« Böser Monolog, böse Absicht. Genauso böse ist dieser Kerl in Bayreuths fulminanter Inszenierung auch, ein Vernichter, der Leute erschießt und zum Schluss die Stadt in Brand setzen lässt.
Die private Rachefantasie eines Psychopathen, dessen Mutter sich einst umbrachte? Oder mehr? Ein Künstler wie Tcherniakov denkt poetisch, vielschichtig. Er hat ein tiefsinnigeres Konzept als nur die psychologisierende Querbürsterei der Story. Nur welches? Tcherniakov redet nicht darüber. Manchmal braucht es kollegiale Nachhilfe, um zu begreifen. »H. kehrt zurück in die Stadt«, so die großflächige Überschrift auf der Bühne. H.? Holländer, okay, aber warum abgekürzt?
HITLERBILD Volker Blech von der »Berliner Morgenpost« erklärt es endlich schlüssig. H. hat ein echtes Frauenproblem. Seine Nichte Geli hatte sich erschossen, H. hielt seine Verlobte Eva Braun versteckt. H. und seine Frauenpsychosen: So wird die Story runder, die Assoziation passt.
Zum letzten Mal stehen die viel gepriesenen Meistersinger von Nürnberg des deutsch-australischen jüdischen Starregisseurs Barrie Kosky in Bayreuth auf dem Programm.
Senta sehnt sich nach ihm, dem Fremden, dem eigentlich Unbekannten, so wie viele deutsche Frauen das Hitlerbild anbeteten. Sie ist aber viel zu ungestüm, zu systemsprengend, zu wild (die Litauerin Asmik Grigorian hat ein einzigartiges Sentabild geschaffen, eine Sängerin, die tatsächlich zum Idol einer Generation werden wird). Der Holländer (John Lundgren) besteht ihren Praxistest nicht. Es ist keine Liebe. Sie will ihn nicht. Sie tritt gegen die Wände, schmeißt sich hin. Die Stadt brennt.
Erleichterung zum Schluss. Frau Mary erschießt ihn. Senta lacht. Und? Die Wagnerianer toben. Der Meister selbst hat sich garantiert im nahen Grabe umgedreht, so hat Wagner gar nichts gemeint in seinem Werk. Aber so kann man es sehen, und so passt die Geschichte zum Ort. Die heftigsten Buhrufe für den Regisseur hat dieser lächelnd quittiert. Anderes hat er vielleicht nicht erwartet.
POGROM Am Abend darauf Barrie Koskys leichter zu begreifender Geniestreich. Zum letzten Mal stehen die viel gepriesenen Meistersinger von Nürnberg des deutsch-australischen jüdischen Starregisseurs in Bayreuth auf dem Programm. Kosky hat seine Wagnerskepsis grandios inszeniert, indem er die Person Wagner verschmelzen lässt mit Hans Sachs. Aus dem jüdischen Dirigenten Hermann Levi wird Beckmesser. Das Bühnenbild der Villa Wahnfried verschwindet im Gerichtssaal von Nürnberg. Der zweite Aufzug endet mit einem Pogrom und der aufgeblasenen Stürmerkarikatur des Ewigen Juden.
Diese Inszenierung ist so brillant, so schlüssig, so klug, nur schade, dass sie verschwindet, wenn auch verständlich nach sechs Jahren. An ihr aber wird jede weitere gemessen. Bayreuth gleicht in diesem Jahr einer Festung mit neun Checkpoints, um alle gesundheitlichen oder anderen Gefahren auszuschließen. Angela Merkel war zum letzten Mal als Kanzlerin zu Gast, auch sie hat beide Inszenierungen besucht. Ein letztes Mal Koskys Meistersinger. Ein doppelter Abschied.