So war der »Dekonstruktivismus« nicht gedacht: Auch wenn der New Yorker Architekt Peter Eisenman als Begründer dieser architektonischen Richtung gilt, sind die Risse im Beton, die sich an mehr als 1.000 Stelen seines wichtigsten Werks, des Denkmals für die ermordeten Juden Europas in Berlin, derzeit zeigen, nicht intendiert.
Eisenman, der am 11. August 80 Jahre alt wird, gilt nicht nur wegen seines gebauten Werks als einer der einflussreichsten amerikanischen Architekten der Gegenwart. Auch das hohe Niveau seiner Texte und Lehre heben ihn über das Gros des Berufsstandes weit hinaus. Seine Auseinandersetzung mit der poststrukturalistischen Gedankenwelt von Jacques Derrida und der Fragmentierung von Form prägen auch das Berliner Mahnmal, das trotz der Bauschäden ästhetische Werthaltigkeit beweist.
Massen Sieben Jahre nach der Einweihung zieht und spricht es Massen von Besuchern an, die das Erlebnis, in das weite, graue Feld aus 2.711 Stelen einzutauchen und sich von ihm umgeben zu lassen, beeindruckt. Selten hat abstrakte, zeitgenössische Architektur so eloquent ein breites Publikum angesprochen wie hier. Etwa 10.000 Besucher kommen jeden Tag.
Die prominente Kritik, die Eisenmans Entwurf damals wie heute erfuhr (Henryk M. Broder und Ignatz Bubis meinten, dass »die Juden dieses Mahnmal nicht brauchen«), perlte an dem Architekten ab. Eisenmans Durchsetzungsvermögen ist es zu verdanken, dass das wogende, graue Stelen-Raster sich heute so präsentiert, wie er es in seinen ersten Computer-Animationen entworfen hatte. Er hat dabei en passant einen völlig neuen Typus Denkmal geschaffen.
Statt auf Bilder und Symbole setzt es auf körperlich-räumliche Erfahrung, in der sich »das Unbewusste ausdrücken kann, das die Psyche für das Verdrängte öffne«, so Eisenman. Den 1932 in Newark/New Jersey geborenen Architekten veränderte der Bau so sehr wie sein Entwurf Berlin. Eisenman, der sich als »assimiliert« bezeichnet, musste sich mit seiner jüdischen Identität auseinandersetzen und begann, sich immer weniger als »normaler Amerikaner« zu fühlen.
»fragmentierter Raum« Sein Konzept des »fragmentierten Raums« ermöglichte es Peter Eisenman, die Gedenkarchitektur neu zu erfinden. »Der Stelenwald vermeidet Gewissheiten und wirft uns auf uns selbst zurück. Ausmaß und Maßstab des Holocaust machen den Versuch aussichtslos, ihn mit traditionellen Mitteln zu repräsentieren«, erklärte er über sein Mahnmal als »Ort ohne Bedeutung«. Die Spaziergänge entlang der schmalen Wege durch die geometrisch-strenge Form wecken auf diese Weise vielfältige Assoziationen.
Die Kritik, die sich an Eisenmans Entwurfshaltung entzündet, ist so alt wie seine Karriere. Schon Ende der 60er-Jahre, als er als einer der »New York Five« erstmals seine »post-humanistische« Künstlerachitektur präsentierte, galt dieser Stil Kritikern wie Colin Rowe als weit entfernt von der Sozialutopie der Moderne und rein formalistisch. Eisenmans ersten großen Erfolg, das Wexner Center in Columbus/Ohio von 1989, schmähte Rowe als »schlecht gebaut und benutzerfeindlich«.
Der Karriere des Kritisierten hat das keinen Abbruch getan. Die von Eisenman angestrebte »Emanzipation der Architektur von der Funktion und Befreiung der architektonischen Form« lässt sich auch an seinem neuesten Werk, dem Kulturzentrum in Santiago de Compostela, ablesen. Auf der Spitze des Monte Gaiás hat er eine felsformationsartige, geometrisch hochkomplexe Architekturlandschaft entworfen. Viel gelobt, viel kritisiert – wie das Mahnmal in Berlin.