Essay

Herausforderung Trump

Noch gibt sich Trump als uneigennütziger Beschützer Jerusalems. Das kann sich rasch ändern, meint unser Autor. Foto: picture alliance / abaca

Wer jetzt noch nicht begriffen hat, dass fortan alles, jede Niederträchtigkeit, jede Erpressung, jeder Wortbruch in den internationalen Beziehungen möglich ist, der wird den Preis seiner politischen Naivität eher früher denn später zu zahlen haben – einerlei, ob im demokratischen Europa, in Israel, Kanada oder in jedem anderen freiheitlichen Land.

Das kürzliche Vorführen des ukrainischen Präsidenten Selenskyj durch Donald Trump und dessen Vize J. D. Vance im Weißen Haus war ein weltweiter Tiefpunkt politischer Moral. Für die meisten kam das unerwartet, da es durch die Repräsentanten der Demokratie der Vereinigten Staaten geschah.

Politische Erpressung hat es seit Menschengedenken gegeben

Politische Erpressung hat es seit Menschengedenken gegeben. Lange vor Hitler und Stalin. Auch freiheitliche Staaten haben sich der Nötigung bedient und werden es weiterhin tun. Man denke nur an die Erpressung, die John F. Kennedy gegenüber seinen südvietnamesischen Verbündeten ausübte, oder entsprechende Manöver eines seiner Nachfolger, Barack Obama, gegenüber Israels Premier Benjamin Netanjahu.

Winston Churchill nötigte die polnische Exilregierung zum Nachgeben gegenüber Diktator Stalin. Die heutigen westlichen Demokratien – Paris, London, Berlin – legten sich keine Zurückhaltung auf, wenn es galt, die eigenen wirtschaftlichen, strategischen, politischen Interessen schwächeren Partnern, ja selbst Verbündeten gegenüber durchzusetzen.

Freiheit ist für den US-Präsidenten schlicht zu teuer geworden und die Europäer tun zu wenig.

Dies geschah jedoch hinter verschlossenen Türen. Das bedeutete, der Genötigte konnte in der Regel das Gesicht wahren – oder zumindest den Schein der eigenen Souveränität.

Dieses Minimum an Respekt haben US-Präsident Trump und sein Stellvertreter dem ukrainischen Staatsoberhaupt bewusst vorenthalten, indem sie ihn und seine Politik vor der Presse und laufenden Kameras zerstörten. Sie stempelten den von Russlands Diktator Putin angegriffenen Selenskyj zum Aggressor, zum Gefährder des Weltfriedens.

Niemand behauptet, wenn der Ukrainer sich taktisch klüger verhalten hätte, wenn er doch nur Trumps Ego geschmeichelt hätte, wäre die Situation nicht »eskaliert«. Es wird dargelegt, der New Yorker besitze eine narzisstische Persönlichkeit und Ähnliches mehr aus der Küchenpsychologie. Nonsens! Trump ist keineswegs ein Nervenbündel. Der gelernte Immobilienkaufmann ist vielmehr ein eiskalter Machtpolitiker und Dealmaker.

Die Ukraine wiegt in Trumps Augen schlicht weniger als Putins Russland. Kyivs Krieg um seine Unabhängigkeit und Freiheit ist schlicht zu teuer für Trump geworden. Auch taten die Europäer zu wenig, um die Souveränität der Ukraine zu verteidigen – in diesem Punkt hat der Amerikaner nicht unrecht. Trump hat die Europäer lange gewarnt. Sie haben zu viel Zeit gebraucht, um zu begreifen, dass es dem Republikaner ernst war. Donald Trump ist überzeugt, dass er die Bodenschätze der Ukraine ohnehin in der Tasche hat. Jetzt braucht er Putin. Russlands Rohstoffe locken den Hausherrn des Weißen Hauses. Speziell die Erdölreserven Moskaus.

Die Amerikaner haben hier relativ wenig zu bieten. Sie pressen mit Fracking das Letzte aus ihrem Boden. Die dabei entstehenden Umweltschäden interessieren Trump nicht. Mit Putin glaubt der New Yorker leichtes Spiel zu haben. Er kann ja jederzeit den Spieß umdrehen und den Kreml-Herrscher unter Druck setzen – meint er. Auf diese Weise will Trump indirekt auch den wahren Konkurrenten der USA einhegen, und zwar China.

Als Nächstes steht Kanada auf dem Speise­plan des US-Präsidenten

Wir sollten begreifen, dass diese illoyale Strategie Donald Trumps nicht auf die Ukraine begrenzt ist. Als Nächstes steht Kanada auf dem Speise­plan des US-Präsidenten. Das riesige Nordland mit seinen unerschöpflichen Bodenschätzen würde Trump als 51. US-Bundesstaat munden. Das hat man dort begriffen. Der designierte Ministerpräsident Mark Joseph Carney spricht unmissverständliche Worte. »Kanada wird niemals und in irgendeiner Form Teil von Amerika werden.«

Europa muss die neue Washingtoner Herausforderung mit aller Kraft annehmen und ihr begegnen. Bereits Barack Obama hat den alten Kontinent aufgefordert, endlich mehr für seine Verteidigung zu tun und Geld aufzuwenden – ohne ernst genommen werden. Die Gelegenheit zur Aufrüstung – seien wir ehrlich, darum geht es, mental und mit Waffen – wurde vertan. Das muss nun nachgeholt werden, inklusive Wiederaufnahme der Wehrpflicht.

Die gemeinsamen europäischen Sicherheitsmaßnahmen müssen umgehend eingeleitet werden, und zwar gegen den Opportunismus von AfD, BSW und Linkspartei sowie Ungarn, der Slowakei oder anderen Verantwortungslosen.

Das ist innen- und außenpolitisch machbar. Denn bereits die jeweilige Wirtschaftskraft Deutschlands, Großbritanniens oder Frankreichs übertrifft die von ganz Russland. Nun müssen wir der Ukraine massiv und effektiv beistehen, in unserem eigenen Interesse. Das wird von Putin und Trump genau beobachtet werden. Nur so können wir Europas Freiheit mittelfristig sicherstellen.

Israel muss ebenfalls aufpassen. Bislang gibt sich Donald Trump als uneigennütziger Beschützer Jerusalems. Doch niemand sollte so gutgläubig sein und meinen, Trump würde nicht die hohen Ausgaben Washingtons für die militärische Unterstützung Israels registrieren. Irgendwann wird der amerikanische Freund und Pate seine Rechnung präsentieren.

Mit militärischen Mitteln allein kann Jerusalem den Konflikt mit den Palästinensern nicht gewinnen.

Wann das geschehen könnte? Spätestens dann, wenn sich die Möglichkeit für einen Deal mit dem Iran anbietet, um den die neue Administration bereits kräftig wirbt. Teheran hat Washington neben Rohöl einiges anzubieten: Bodenschätze, eine Bevölkerung von mehr als 90 Millionen Menschen und eine strategisch hervorragende Lage. Zudem will Trump unter allen Umständen einen Krieg mit dem Mullah-Regime vermeiden.

Israel und Europa bleibt nichts anders übrig, als endlich klare Realpolitik zu betreiben. Jerusalem kann mit militärischen Mitteln allein den Konflikt mit den Palästinensern nicht gewinnen.

Es benötigt eine politische Lösung – auch wenn sie im Moment fast unmöglich erscheint und große Zugeständnisse erfordern wird. Hier können, ja müssen Jerusalem und Brüssel im eigenen Interesse an einem Strang ziehen, politisch und strategisch, aber auch im Rüstungsbereich. Wenn das gelingen sollte – und es muss gelingen –, dann können wir gemeinsam die Trump‹sche Herausforderung bewältigen. Aber nur dann!

Der Autor ist Historiker und Politologe. Zuletzt erschien von ihm das Buch »Brandstifter und Mitläufer. Putin, Trump, Netanyahu«, Herder, Freiburg 2024, 176 S., 18 €

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