Herr Richter, Ihre Sendung »Disco« startete vor 40 Jahren im ZDF und war elf Jahre lang Kult. Nervt es Sie, wenn man Sie nach so langer Zeit immer noch auf die Show anspricht?
Nur die Frage der Journalisten, ob es mich nervt, nervt. Dass die Menschen mich auf der Straße nach wie vor auf »Disco« ansprechen, finde ich wunderbar.
Sie gehen im Mai samt Stars und Bands der 70er-Jahre auf große Jubiläumstour. Worauf darf man sich freuen?
Auf eine großartige Familienshow mit einem bestens gelaunten Moderator und ausgewählten Klassikern der vergangenen Jahrzehnte.
»Licht aus – whomm! Spot an – jaaa!« Wird man auch wieder ihren legendären Slogan hören?
Selbstverständlich! Die Leute kommen ja nicht in die Show, damit ich »Macbeth« zitiere. Sie erwarten zu Recht das volle Programm.
Für viele Zuschauer waren Ihre Sketche damals fast wichtiger als die Musik. Hatten Sie da freie Hand?
Wo denken Sie hin? Es gab in den 70er-Jahren überhaupt keine Freiheiten im Fernsehen, und besonders humorlos waren die Gesetze im humoristischen Bereich. So gut wie nichts war erlaubt. Wir sprechen wohlgemerkt nicht über das Fernsehen der DDR und irgendwelche zentralistischen Direktiven, sondern über das ZDF.
Wie kamen Sie damit zurecht?
Wenn ich heute die alten »Disco«-Sendungen sehe, bin ich ein klein wenig stolz darauf, wie gut mir damals der Spagat zwischen den vielen Verboten und dem An- spruch, gut zu unterhalten, geglückt ist. Normalerweise leben Sketche von Sprüchen über die Kirche, Parteien, Ehe und Minderheiten – all das war damals nicht möglich.
Hatten Sie wenigstens bei der Musikauswahl ein Mitspracherecht?
Auch daran war nicht zu denken. Wenn Heino zum dritten Mal mit »Schwarzbraun ist die Haselnuss« auftrat und es, kurz gesagt, allzu Gojim Naches zuging, war das für mich nicht ganz einfach. Bei der Ankündigung von Tony Marshall, Rex Gildo oder eben Heino war eine subtile Form von Ironie bei mir unvermeidlich.
Mit dem Ende von »Disco« haben Sie Abschied vom Fernsehen genommen. Warum?
Das Fernsehen hat von mir Abschied genommen! Die Produzenten und ich waren uns einig darüber, dass die Sendung ein Ende haben musste, weil sie zur zweitältesten Popshow im deutschen TV geworden war. Ich hatte damals geglaubt, dass man mir stattdessen eine andere Sendung geben würde, was sich als Irrtum herausstellte.
Sie sind ungefähr derselbe Jahrgang wie Thomas Gottschalk und Günther Jauch. Als die beiden ihre Karrieren begannen, waren Sie bereits ein Star. Eigentlich wäre es nur folgerichtig, wenn Sie heute Shows wie »Wetten, dass ...?« moderieren würden.
Das ist richtig, aber es ist leider normal im Fernsehen, dass Sender lieblos mit ihrer eigenen Vergangenheit umgehen. Abgesehen davon sind Jauchs und Gottschalks Sendungen nicht die Formate, die mich reizen würden. Da stehe ich lieber auf der Theaterbühne und spiele Shakespeare.
Sie haben also das Beste aus dem »Disco«-Ende gemacht und sich künstlerisch verwirklicht?
Absolut. Im Nachhinein hat sich der Abschied vom Fernsehen als Glücksfall herausgestellt. Ohne die Entscheidung des ZDF wäre ich nicht jener Schauspieler geworden, über den man heute in Theaterkreisen sagt, er sei ein Charakterdarsteller.
Sie haben früh mit Unterhaltung begonnen. Als Sie zehn waren, hatten Sie bereits an die 30 Hörspiele aufgenommen und viele Fernsehfilme gedreht. Haben Sie je bereut, diesen Weg eingeschlagen zu haben?
Nun, ich wusste vorher ja nicht, welchen Weg ich genau einschlug. Ich wusste nur, dass das Rampenlicht mich geradezu magisch anzog. Für mich waren die ganzen Auftritte das Normalste auf der Welt, auch durch die Erwartungen meiner Mutter, die mich ganz gezielt in der Showbranche zu etablieren versuchte.
Ihre Mutter war Schauspielerin und durfte als Jüdin in Nazi-Deutschland nicht arbeiten. Haben Sie stellvertretend für sie Karriere gemacht?
Ganz bestimmt. Sie hat all ihre Sehnsüchte, all ihre Lebensziele auf mich projiziert. Denn als junge Frau konnte sie nicht auf der Bühne stehen, sondern musste zusehen, mit falschen Papieren irgendwie zu überleben.
Haben Sie den Ehrgeiz Ihrer Mutter je als zu starken Druck empfunden?
Durchaus, ihr Leistungsdruck war enorm. Diese Erwartungen, die immer allgegenwärtig waren, lasteten sehr schwer auf meinen Schultern. Ich bin nicht der Meinung, dass sich ein Kind mehr in Fernsehstudios als in der Schule aufhalten sollte, wie es bei mir der Fall war.
Ihr Vater Georg Richter saß während des Dritten Reichs im Konzentrationslager, weil er Kommunist war. Wie stark hat die Biografie der Eltern Ihr Leben geprägt?
Insgesamt gesehen bin ich sehr von diesen beiden Elementen geprägt. Ich weiß, was es bedeuten kann, »rassisch« verfolgt zu werden; ich weiß, was es bedeuten kann, wenn man freiwillig politisch in einem Maße politisch aktiv wird, dass man deswegen verfolgt wird. So etwas bleibt auch im eigenen Leben nicht ohne Wirkung.
Inwiefern?
Ich war immer sehr wachsam, wenn es um mein Judentum ging. Meine Mutter wollte nicht, dass ich darüber spreche. Sie hatte aufgrund ihrer Verfolgung im Dritten Reich stets Angst, dass sich das in irgendeiner Art rächen könnte. Mein Vater war nach den vielen Jahren im Zuchthaus und im Konzentrationslager gebrochen. Obwohl er ein mutiger Widerstandskämpfer war, hat auch er sich diesem Wunsch meiner Mutter angepasst.
Mittlerweile bezeichnen Sie sich ganz unverkrampft als »5-Minuten-Jude«, in Anspielung auf die »5-Minuten-Terrine«.
(lacht) Bei den Deutschen provoziert diese Formulierung natürlich Missverständnisse, aber da wir hier unter uns sind, kann ich sagen, dass ich den Ausdruck sehr treffend finde. Wenn man eine jüdische Mutter hat, ist man eben Jude. Punkt. Und ohne eine jüdische Erziehung genossen haben zu dürfen, bin ich in manchen Aspekten ausgesprochen jüdisch. Mit »Disco« etwa habe ich das bürgerlich-jüdische Unterhaltungskabarett wiederbelebt, das es in den 70er-Jahren, bedingt durch die Schoa, nicht mehr gab.
Als die 68er mit langen Haaren und ranzigen Parkas auf die Straße gingen, moderierten Sie in Anzug und Fliege eine eher seichte Unterhaltungsshow. Wie dachten Sie damals über die Studentenproteste?
Ich selbst war zu dieser Zeit ein eher links als konservativ denkender Mensch. Deswegen traf es mich, dass die Linken mich ablehnten, als ich Kontakt zu ihnen suchte. Ich fühlte mich als Außenseiter. Darf ich dazu eine Geschichte erzählen?
Gerne.
Ich bekomme häufig von den Söhnen und Töchtern der 68er die Rückmeldung, dass ihre Eltern sich »Disco« sehr wohl angeschaut haben – wenn auch nur heimlich. Und noch eine Geschichte, die mich bewegt. Kürzlich sagte mir ein türkischer Taxifahrer, dass er als Kind meine Sendung sah, weil ich damals im blonden deutschen TV der Einzige war, der wie ein Türke ausschaute. Genauso wie bei den deutschen Familien wurde bei ihm zu Hause abends zuerst gebadet, dann gab es Schnittchen, und schließlich rief ihn seine Mutter mit den Worten »Komm schnell, dein kleiner Türke ist wieder im Fernsehen!«. Wunderbar.
Wenn Sie das Rad der Zeit zurückdrehen könnten, würden Sie Ihren Weg noch einmal so gehen, wie Sie ihn gegangen sind?
Tucholsky hat auf diese Frage sinngemäß geantwortet, dass er keine Lust habe, seine alten Fehler noch einmal zu machen, er wolle lieber neue Fehler machen. Was mich angeht, habe ich dazu hoffentlich noch ein paar Jahre Gelegenheit. Wer am Ziel ist, ist naturgemäß am Ende angelangt.
Das Gespräch führte Philipp Peyman Engel.
Ilja Richter wurde 1952 in Berlin geboren. Schon als Kind wirkte er in Hörspielen und Filmen mit. 1971 startete die ZDF-Musiksendung »Disco«, die Richter als Moderator bundesweit populär machte. Nach dem Ende von »Disco« 1982 wechselte Ilja Richter zum Theater und reüssierte als Schauspieler und Regisseur. Daneben schrieb er Kolumnen für die taz und veröffentlichte mehrere Bücher. Die »Disco« Revival-Tour, unter anderem mit »Middle of the Road« und Chris Andrews, startet am 5. Mai in München und führt bis 28. Mai durch 17 deutsche Städte. Tourdaten unter
www.discodietour.de