»Filmmusik ist Herz und Seele eines jeden Films«, sagte einst James Cameron, Regisseur so bekannter Filme wie Terminator oder Titanic. Doch schon seit längerer Zeit scheint sich jene angewandte Musik, wie sie in der Abgrenzung zur zweckfreien, sogenannten absoluten Musik genannt wird, aus der engen Verbindung zum Film zu lösen.
Stücke des weltbekannten John Williams werden allenthalben ganz ohne das bewegte Bild in Konzertsälen aufgeführt, Hörer lauschen dem neuen Score ihres Lieblingskomponisten, ohne den dazugehörigen Film zu kennen, und Harmonik und Tonalität neuerer Filme dringen immer wieder in die populäre Musik ein. So ist es nur folgerichtig, dass Hans Zimmer, der die Filmmusiklandschaft in den vergangenen Jahrzehnten wie kein Zweiter prägte, bereits seit 2016 regelmäßig auf Tour geht, die ihn Ende April nun auch nach Frankfurt am Main brachte.
spektakel Dort starrt die ausverkaufte Festhalle gespannt auf das, was da gleich kommen mag, als plötzlich das Licht ausgeht und die Sängerin Loire Cotler die Bühne betritt. Melancholisch-verträumter Gesang erklingt, bevor ein kräftiger Schlag auf einer großen Trommel das Spektakel eröffnet.
Der Vorhang hebt sich und gibt den Blick frei auf eine ganze Heerschar von Musikern: ein Dudelsack-Ensemble, Streicher, Holz- und Blechbläser nebst etlichen Solo-Instrumentalisten von Modular-Synthesizer über Violine und Cello zu Bass, Gitarre und zwei Schlagzeugerinnen. Und mittendrin, ganz unscheinbar, der Komponist höchstpersönlich.
»Ich werde immer älter, ihr immer schöner!«, ruft er der Menge zu.
Willkommen in der Welt des Hans Zimmer. Irgendwo im Publikum sagt eine Frau »Wie im Kino«, und genau genommen ist der nun folgende Abend natürlich größer als das Kino selbst. Das mittels Leinwand sich stetig ändernde Bühnenbild evoziert zwar noch Erinnerungen an die jeweiligen Filme, die Musik als Event bietet aber das, was Kino einst ausgezeichnet hat: »larger than life« zu sein. Virtuose Musikerinnen und Musiker, eine perfekt abgestimmte Lichtshow, eine genauestens austarierte Dynamik leiser und lauter Abschnitte, die emotionale Hochgefühle hervorrufen wollen.
FRACK Nach den ersten beiden Stücken aus den Filmen Dune und Inception begrüßt der Oscar-Preisträger unter frenetischem Beifall das Publikum. Zimmer, der trotz Frack (zur Jeans-Hose) so nahbar wie leger daherkommt, ist ein Charmeur der alten Schule: »Ich werde immer älter, ihr immer schöner!«, ruft er der Menge zu, nachdem die Lichtregie für einen Augenblick die komplette Halle beleuchtet.
Für Hans Zimmer ist es im wahrsten Sinne des Wortes ein Heimspiel: 1957 wurde er in Frankfurt geboren, aufgewachsen ist er im nahe gelegenen Königstein. Der als undiszipliniert geltende Schüler wurde von mehreren Schulen verwiesen und machte schließlich sein Abitur in England.
Ab den 70er-Jahren spielte der musikalische Autodidakt in diversen Bands Synthesizer, unter anderem auch bei The Buggles, in dessen weltbekanntem Musikvideo »Video Killed the Radio Star« er am Keyboard zu sehen ist. Über den Umweg der Radio- und Werbejingles kam Zimmer schließlich zur Filmmusik – 1988 machte ihn sein Soundtrack zu Rain Man weltbekannt.
SPRACHE Auf dem Konzert entschuldigt sich Hans Zimmer für sein mittlerweile etwas eingerostetes Deutsch – »vielleicht ist das aber auch ganz gut so«, fügt er vieldeutig hinzu. Seine Beziehung zu Deutschland sei eine seltsame, erklärte der Komponist 1999 auf der Berlinale-Pressekonferenz zum Film Die letzten Tage, der die Geschichte von fünf Auschwitz-Überlebenden erzählt. Erstmalig erfuhr die Welt von Hans Zimmer hier, dass seine jüdische Mutter 1939 selbst vor den Nazis nach England geflohen war.
Der musikalische Autodidakt wurde in Frankfurt geboren und wuchs in Königstein auf.
In späteren Interviews verriet Zimmer, dass er in der Sekunde seines »Outings« Angst vor einem antisemitischen Backlash bekam, dann aber plötzlich die Auschwitz-Überlebende Renée Firestone, die neben ihm auf der Pressekonferenz saß, wortlos seine Hand in die ihre nahm.
Seine Filmmusik, die immer wieder neue Möglichkeiten des Genres auslotete, ließe sich so in eine Riege jüdischer Komponisten einreihen, die seit den Anfängen des Tonfilms von Max Steiner und Erich Korngold, über Bernard Herrmann und Jerry Goldsmith bis hin zu James Horner und Danny Elfman das Genre maßgeblich prägten.
mittelpunkt Zurück in der Festhalle, gerät die bombastische wie auch filmreife Feier der Musik zunehmend zu einer ihrer Musikerinnen und Musiker. Immer wieder hebt Hans Zimmer, der offenbar selbst gar nicht so gern im Mittelpunkt steht und sein Ensemble lieber an Klavier, Bass und Synthesizern begleitet, einzelne Instrumentalisten hervor, lobt deren Fähigkeiten und Talent und lässt keinen Zweifel daran, wie sehr er sie schätzt.
Und natürlich werden alle bekannten Hits von König der Löwen über Fluch der Karibik bis Der letzte Samurai und Interstellar gespielt, deren einzelne Stücke der Komponist zu kleinen Suiten verwoben hat. Das überaus gemischte Publikum – Jung und Alt, schick und leger – verlässt die Halle nach zwei Zugaben mit seligem Blick. Der Ausdruck erinnert an Kinderaugen, die gerade einer spektakulären Zaubershow beigewohnt haben.
Weitere Konzerte von Hans Zimmer in Deutschland sind in Hannover (20. Mai), München (24. Mai), Berlin (26./27. Mai), Hamburg (28. Mai) und Köln (9. Juni) geplant.