Franz Kafka mochte ihre Gedichte nicht. Aber für Gottfried Benn war Else Lasker-Schüler die »größte Lyrikerin, die Deutschland je hatte«. Die oft schrill angezogene Künstlerin war Anfang des 20. Jahrhunderts ein Hingucker auf den Straßen von Berlin. Ihre ausdrucksstarken Gedichte beeindrucken immer noch.
Über viele Jahre galt Else Lasker-Schüler als eine der schillerndsten Figuren der deutschen Literaturgeschichte. Sie nannte sich »Tino von Bagdad«, »Liebling des Pharaos« oder auch »Dichterin von Arabien«. Bis zu ihrem Lebensende blieb sie zudem »Prinz Jussuf von Theben«.
»Ihre Themen waren jüdisch, ihre Fantasie orientalisch, aber ihre Sprache war deutsch, ein üppiges, prunkvolles, zartes Deutsch«, sagte Gottfried Benn über seine zeitweilige Geliebte.
EXZENTRISCH Am 11. Februar 1869 wurde Else Lasker-Schüler in einem jüdischen Elternhaus in Elberfeld geboren, das heute ein Stadtteil von Wuppertal ist. Ihre Heimatstadt feiert die exzentrische Frau zum 150. Geburtstag unter dem Titel »Meinwärts«.
Ihr Leben zwischen Boheme in Berlin, Verfolgung und Flucht aus Nazi-Deutschland spiegelt sich in ihrem Werk deutlich wider. Eine Ikone ist geradezu das Gedicht »Mein blaues Klavier«, geschrieben 1936 in der Schweiz. »Es ist das Exil-Gedicht schlechthin«, sagt Gabriele Sander, Germanistik-Professorin an der Bergischen Universität Wuppertal und Herausgeberin der Lasker-Schüler-Gedichte. Von anderen Autoren gebe es nichts Vergleichbares. Auf wenigen Zeilen verdichtet sind die Erinnerung an Kindheit und die Erfahrung von Verlust und Gewalt in der NS-Zeit.
Kafka mochte ihre Gedichte nicht. Für Gottfried Benn war sie die Größte.
Eigentlich war der jungen Else Schüler ein bürgerliches Leben bestimmt. Der Vater war Privatbankier, Ehemann Berthold Lasker ein Arzt. Mit ihm zieht sie von Wuppertal nach Berlin – und entdeckt das Künstlerleben. Treffpunkt waren Künstlercafés, mittendrin als Dauergast Else Lasker-Schüler. Zum Bekanntenkreis gehörten Georg Trakl, Egon Erwin Kisch, Franz Werfel und die Künstler des Blauen Reiters.
Ihre Gedichte veröffentlichte Lasker-Schüler in Büchern, Zeitungen und etwa der expressionistischen Zeitschrift »Der Sturm«. Manche ihrer Texte haben Bezüge zur Bibel oder sind Freunden gewidmet, andere behandeln auch Alltägliches. Dass die Dichterin keine Wohnung hatte, sondern in billigen Hotels wohnen musste, ließ sie 1923 die Berliner Zeitungsleser in einer Art Bänkelsang wissen. Vier Jahre zuvor war ihr expressionistisches Drama Die Wupper uraufgeführt worden.
Eigentlich war der jungen Else Schüler ein bürgerliches Leben bestimmt.
RISIKO »Sie war ihrer Zeit voraus und ihre Texte verführen heute noch«, meint Hajo Jahn, Vorsitzender der Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft. Die Anfangszeilen ihres Gedichts »Weltende« von 1905 lauten: »Es ist ein Weinen in der Welt, als ob der liebe Gott gestorben wär«.
»Sie war ständig in finanziellen Nöten«, berichtet die Germanistin Gabriele Sander, »sie hat auf Risiko gelebt«. Um Geld für sie aufzutreiben, spendeten 1913 Künstler Bilder für eine Auktion in München.
Zu den Stiftern gehörten August Macke, Ernst Ludwig Kirchner, Emil Nolde, Oskar Kokoschka und Franz Marc. Verkauft wurde aber kaum etwas. Lasker-Schüler war inzwischen zweifach geschieden und alleinerziehende Mutter. Ein Skandal.
FREUNDSCHAFT Mit Franz Marc verband sie eine einzigartige Postkarten-Freundschaft. Vier Jahre lang, bis zu Marcs Tod 1916 im Ersten Weltkrieg, dauert der von beiden mit Zeichnungen bestückte Briefwechsel. Else gibt sich darin einen orientalischen Namen. Marc antwortet mit blauen Pferden. Die Ausstellung Prinz Jussuf von Theben und die Avantgarde zeigt die zeichnende Dichterin im Wuppertaler Von der Heydt-Museum (6. Oktober bis 16. Februar 2020).
Seit ihrer Kindheit hatte Lasker-Schüler antisemitische Anfeindungen erlitten.
Ihre Theaterstücke werden nur noch selten aufgeführt. Der Deutsche Bühnenverein nennt für die Jahre von 2012 bis 2017 nur zwei Inszenierungen. Im Jubiläumsjahr ist das anders. Das Schauspiel Wuppertal führt im Juli ihre Tragödie IchundIch auf. Dieses Stück bringt die Hamburgische Staatsoper im Herbst als Auftragskomposition von Johannes Harneit zur Uraufführung.
Seit ihrer Kindheit hatte Lasker-Schüler antisemitische Anfeindungen erlitten. Im November 1932 erhielt sie endlich den renommierten Kleist-Preis. Das Nazi-Blatt »Völkischer Beobachter« höhnte, die Preisträgerin sei die »Tochter eines Beduinenscheichs«.
Über viele Jahre galt Lasker-Schüler als eine der schillerndsten Figuren der Literaturgeschichte.
JERUSALEM Nach körperlichen Angriffen emigrierte sie, 64 Jahre alt, 1933 nach Zürich. Hier wurde die kurz zuvor preisgekrönte Dichterin aufgegriffen: Aus Geldmangel hatte sie mehrere Nächte auf einer Bank am See zugebracht.
Von einer Reise nach Palästina konnte Lasker-Schüler 1939 wegen des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs nicht zurückkehren. Sie starb am 22. Januar 1945 in Jerusalem, kurz vor ihrem 75. Geburtstag. (mit epd)