Mit dem ersten Schritt in die Ausstellung Welcome to Jerusalem ist der Besucher auch schon mittendrin: Polizisten patrouillieren über einen Basar, in einer Kantine wird Essen ausgegeben, Schüler laufen durchs Treppenhaus, ein Baby wird geboren. Das Jüdische Museum Berlin katapultiert das Publikum mit Filmszenen auf großen Leinwänden und von allen Seiten direkt in den israelischen Alltag. Doch schnell tauchen in diesem Überfluss der audiovisuellen Eindrücke etwa mit dem Holocaust History Museum auch die ersten Bilder auf, die zeigen: Das hier ist nicht der Alltag einer x-beliebigen Stadt.
Die Stadt Jerusalem »ist ein emotional hochbesetztes Thema«, sagte Kuratorin Cilly Kugelmann bei der Vorstellung der Ausstellung mit rund 170 Exponaten in zehn Räumen, die am Sonntag eröffnet wurde und bis zum 30. April 2019 zu sehen ist. Der Status der Stadt mit den meisten Sakralbauten der Welt ist als Hauptstadt des seit 1948 bestehenden Staates Israel und als beanspruchte Hauptstadt eines künftigen Staates Palästina bekanntlich brisant.
hauptstadt Aktueller könnte das Thema der Schau zudem kaum sein: Am vergangenen Mittwoch verkündete US-Präsident Donald Trump in einem historischen Alleingang, die USA würden Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkennen und auch den Sitz ihrer Botschaft von Tel Aviv dorthin verlegen.
Welcome to Jerusalem habe mit Trumps Entscheidung indes »nichts zu tun«, betonte Museumsdirektor Peter Schäfer. »Für das Timing können wir nichts.« Die Ausstellung zeige die 860.000-Einwohner-Stadt – ohne Position zu beziehen – als »Brennpunkt von Konflikten« und als Ort, auf den alle drei monotheistischen Religionen aus unterschiedlichen Gründen Anspruch erheben würden. Besuchern werde »keine Interpretation« vorgegeben.
Was die Stadt von allen anderen Städten der Welt unterscheide, sei die von Juden, Christen und Muslimen »auf sie projizierte Heiligkeit«, sagte Kugelmann. Die zentrale Achse der Ausstellung präsentiert daher Modelle der Sakralbauten aller drei Religionen – der Grabeskirche, des islamischen Heiligen Bezirks Haram al-Sharif mit dem Felsendom und der Al-Aksa-Moschee sowie der jüdischen Klagemauer auf dem Tempelberg. Von dem riesigen Haram-al-Sharif-Modell existieren weltweit nur drei Exemplare, das in Berlin gezeigte stammt aus dem Bibelmuseum in Amsterdam.
tempel Die Installation »Augmented Temple« bringt derweil den Herodianischen Tempel aus der Antike nahe: Auf einem zwei Meter großen Modell werden damalige Besucherströme von an hohen Feiertagen bis zu 10.000 Menschen projiziert und die Architektur des Tempels erklärt. Zudem können Besucher vier »Augmented Reality«-Filme zu Ritualen aus dem Tempelleben sehen.
Welcome to Jerusalem geht nicht chronologisch vor. Auf den filmischen Einstieg folgt die Vermessung der Stadt mittels unzähliger Karten, die teils bereits politische Ansprüche illustrieren. Ein nächster Raum widmet sich voll mit Kreuzen und religiösen Souvenirs der Bedeutung Jerusalems als touristischem Pilger- und Wallfahrtsort.
Thematisiert werden darüber hinaus etwa die letzten Jahrzehnte des Osmanischen Reichs, unterschiedliche religiöse Auslegungen im Judentum und zeitgenössische künstlerische Positionen.
gläubige Die Ausstellung verdankt ihre eindringliche Wirkung einer starken medialen Prägung. In kaum einem Raum gibt es keine Leinwände oder Fernseher, die Gläubige bei ihren jeweiligen Gebeten und Ritualen zeigen. Das Bildmaterial der auch in einer Filmlounge gezeigten Echtzeitdokumentation 24h Jerusalem von Regisseur Volker Heise ist allgegenwärtig und spiegelt die Geschichte der Stadt und ihre Kultur unmittelbar mit dem aktuellen Leben dort.
Auch Trumps Hauptstadtdefinition wird noch ein Platz eingeräumt werden: Am Ausgang ist eine lange Pinnwand mit internationaler Berichterstattung geplant, dort soll eine aktuelle Chronik Jerusalems von heute bis zum April 2019 entstehen.
Jüdisches Museum Berlin, Lindenstraße 9–14,
täglich 10–20 Uhr, bis 30. April 2019
www.jmberlin.de