Die 17-jährige Lea aus Karlsruhe hat als »Likratina« in einer Schule in Mannheim ganz neue Erfahrungen gemacht. Dort gibt es viele Muslime, die ebenso wie Juden ein Problem mit Gummibärchen haben könnten. Denn die enthalten bekanntlich Gelatine – und das kann aus Schweineknochen stammen. Doch die Bärchen gibt’s auch koscher, wie Lea beim Besuch in der Schulklasse erfuhr.
»Likrat« ist das hebräische Wort für »Begegnung«, und so heißt auch ein Dialog-Programm für Jugendliche, das die Hochschule für Jüdische Studien (HfJS) in Heidelberg seit drei Jahren im Auftrag des Zentralrats der Juden in Deutschland sowie mit finanzieller Unterstützung der Dietmar-Hopp-Stiftung und des Bundesfamilienministeriums organisiert. Die Idee: Jüdische Jugendliche besuchen zu zweit Schulklassen und erzählen von ihrem Leben, ihrer Kultur und ihrer Religion.
lernen In der vergangenen Woche fand in der Heidelberger Hochschule die erste »Likrat-Konferenz« statt. Auf dem Podium: der Abiturient Michael, der seine erste »Begegnung« in einer Schulklasse in Pforzheim hatte. Seine Erfahrung fasst er so zusammen: »Zuerst traut man einander nicht so richtig, aber am Ende geht man mit einem Lächeln raus.« Was seine eigenen Identität angeht, sagt er: »Ich bin Jude, auch wenn ich in Deutschland aufgewachsen und von beiden Kulturen geprägt bin.«
Gabriel Goldberg, Jugendreferent der Landesverbände Nordrhein und zuständig für jüdische Gemeinden in acht Städten, spannt den Bogen noch weiter. Seine Religionszugehörigkeit, sagt er, sei quasi schon in seinem Namen verankert. Seine Eltern hätten ihn in der Tradition ihrer russischen Herkunft erzogen, und statt Weihnachten feiere er Chanukka, erzählt er. Das Likrat-Programm findet er »prima«. Wenn es nach ihm ginge, hätte man es ruhig schon ein paar Jahre früher erfinden können.
Definition Erfunden haben es übrigens – die Schweizer: Der frühere HfJS-Chef Alfred Bodenheimer hat das Projekt maßgeblich mitentwickelt. Und mit Erik Petry von der Universität Basel saß ein weiterer Schweizer auf dem Podium. Der Historiker ist dort seit 1998 tätig und ausgewiesener Forscher auf den Gebieten Antisemitismus und Zionismus. Er wurde zwischendurch aufgefordert, den Begriff »Antisemitismus« zu definieren. Für ihn ist das zunächst einmal die pauschale Übernahme von überlieferten Vorurteilen.
Weitere Teilnehmer der Konferenz waren Barbara Schäuble, Erziehungswissenschaftlerin an der Universität Kassel, die sich in ihrer beruflichen Laufbahn immer wieder mit dem Thema Rassismus beschäftigt, und Albrecht Lohrbächer, ehemals evangelischer Schuldekan aus Weinheim. Er, der sich seit 26 Jahren für den deutsch-israelischen Schüleraustausch engagiert, findet: »Das Programm Likrat ist gesellschaftspolitisch gar nicht hoch genug einzustufen.«
Auch der erste Prorektor der HfJS, Johannes Heil, ist der Meinung, das relativ kleine Projekt habe Modellcharakter und werfe die Frage auf, ob man bei den Begegnungen zwischen deutschen und jüdischen Schülerinnen und Schülern die Lehrkräfte vielleicht außen vor lassen sollte.
lüften Dies müsse nicht sein, meint die Leiterin des Likrat-Projekts, Susanne Benizri. Schließlich ist sie selbst Lehrerin und kann über ihre Kollegen eigentlich nichts Negatives berichten. Eines steht jedenfalls fest: »In der Sache steckt viel Dynamik«, sagt Heil. Laut Susanne Benizri endet die Modellphase des Projekts demnächst. Sie ist froh, dass bis dahin in den Schulklassen »einige Schubladen aufgerissen« wurden. Etwa jene, in denen bislang Vorurteile über das Judentum steckten. Diese sind nun hoffentlich entrümpelt, gut durchlüftet und können mit neuen Inhalten gefüllt werden. »Ich hoffe, wir können in den nächsten Jahren flächendeckend arbeiten«, sagt Johannes Heil. Das wäre auch dringend notwendig. Bei der Likrat-Konferenz war auch der Übergriff auf eine jüdische Tanzgruppe bei einem Kulturfest in Hannover ein Thema. Dort flogen Steine, die Täter waren nordafrikanischer und arabischer Abstammung. Vielleicht kann Likrat so etwas künftig verhindern? Erik Petry ist optimistisch. Er meint, das Programm sei ein »Exportschlager«.