Essay

Hegel und die Juden

Hatte viele jüdische Schüler: der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 –1831) Foto: dpa

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Hegel und die Juden

Wie sich die Einstellung des Philosophen im Laufe seines Werks veränderte – ein Nachtrag zum 250. Geburtstag

von Micha Brumlik  03.09.2020 09:21 Uhr

Dieser Satz von Georg Wilhelm Friedrich Hegel dürfte wohl am häufigsten zitiert werden, sobald die Haltung des berühmten Philosophen gegenüber den Juden zur Sprache kommt: »Der Mensch gilt so, weil er Mensch ist, nicht weil er Jude, Katholik, Protestant, Deutscher, Italiener usf. ist.«

Doch seine Einsicht, die er in Paragraf 209 der 1821 publizierten Schrift Philosophie des Rechts formulierte, kam spät. Gleichwohl beweist sie, dass Hegel ein lernfähiger Denker war. Er entwickelte seine Ideen ständig weiter.

Schüler Zwar hatte er selbst keine jüdischen Freunde, wohl aber einige exzellente jüdische Schüler, allen voran den Rechtsphilosophen Eduard Gans, den Dichter Heinrich Heine und natürlich Karl Marx. Auch hatte er im Laufe seines Lebens mindestens drei Theorien über das Judentum entworfen, die sich alle recht unterschiedlich lesen.

Der Philosoph war ein Vorreiter der Menschenrechte.

Vor allem die Ansichten des jungen Hauslehrers zum Judentum waren noch Ausdruck eines klassischen Antijudaismus. So führte er unter anderem das Elend des jüdischen Lebens, das er 1794 in Frankfurt am Main sah, nicht etwa auf äußere Bedrängnisse zurück, sondern auf eine Lebensweise, die ob ihrer Unterwerfung unter das Gesetz zu einer nichtswürdigen Realität werden würde.

Diese Wahrnehmung brachte er in den Fragmenten über Volksreligion und Christentum auf den Punkt: »Das große Trauerspiel des jüdischen Volkes ist kein griechisches Trauerspiel, es kann nicht Furcht noch Mitleiden erwecken, denn beide entspringen nur aus dem Schicksal des Fehltritts eines schönen Wesens; jenes kann nur Abscheu erwecken. Das Schicksal des jüdischen Volkes ist das Schicksal Macbeths, der aus der Natur selbst trat, sich an fremde Wesen hing und so ihrem Dienste alles Heilige der menschlichen Natur zertreten und ermorden, von seinen Göttern […] endlich verlassen und an seinem Glauben selbst zerschmettert werden mußte.«

In seiner zweiten Theorie schließlich – er lehrte seit 1801 in Jena – verschärfte er diese Sicht. Jetzt galt ihm das Judentum als Inbegriff eines knechtischen Gottesverhältnisses. Mit seiner »Phänomenologie des Geistes« nimmt Hegel dann ausdrücklich auf das Judentum als eine Gestalt des Geistes Bezug: »Die Wurzel des Judentums ist das Objektive, d.h. der Dienst, die Knechtschaft eines Fremden.« Darüber hinaus sollte Hegel, der seit 1818 Professor in Berlin war, noch eine dritte Theorie des Judentums entwickeln. Sie findet sich in den dort gehaltenen Vorlesungen über die »Philosophie der Religion«.

antisemitismus Jetzt gilt ihm das Judentum als Inbegriff dessen, was er als »Religion der Erhabenheit« bezeichnete. In seiner Funktion als Berliner Professor setzte er sich zudem intensiv mit dem in diesen Jahren aufkommenden Antisemitismus auseinander.

Insbesondere den Heidelberger Philosophieprofessor Jakob Fries, der 1816 ein Traktat unter dem Titel »Über die Gefährdung des Wohlstandes und Charakters der Deutschen durch die Juden« publiziert hatte, betrachtete er kritisch. In der bekannten Passage aus der »Vorrede zur Rechtsphilosophie« bezeichnete Hegel Fries als einen »Heerführer der Seichtigkeit«, weil dieser als Förderer judenfeindlicher Burschenschaften »heilige Ketten der Freundschaft« als Basis der Demokratie postuliert hatte.

Hegels Ansatz lautete, dass der jüdische Gott »nur für den Gedanken« sei,

Zugleich kam Hegel in seinen Berliner Vorlesungen zur »Philosophie der Religion« zu dem Schluss, dass bei den Juden – anders als bei anderen Religionen – eine innere Spannung zwischen partikularem Erwählungsglauben und universalem Gottesbegriff herrsche: »Dennoch fällt mit Recht diese Ausschließung [der anderen Völker] bei dem jüdischen Volke mehr auf, denn solches Gebundensein an die Nationalität widerspricht durchaus der Vorstellung, daß Gott nur im allgemeinen Gedanken gefasst werde und nicht in einer partikularen Bestimmung.«

Hegel führte diesen Aspekt weiter aus. Sein Ansatz lautete, dass der jüdische Gott »nur für den Gedanken« sei, dieser Umstand aber »einen Kontrast gegen die Beschränkung auf die Nation« ausmache.

Hartnäckigkeit Vor allem aber sei dem jüdischen Volk – anders als dem von ihm so bezeichneten »Mohammedanismus« – nicht ein »Fanatismus des Bekehrten« zu eigen, sondern, wie er es geradezu mit Bewunderung betonte, ein »Fanatismus der Hartnäckigkeit«. Deswegen auch sei es »nicht zu verwundern, daß das jüdische Volk sich dies so hoch angerechnet hat; denn dass Gott Einer ist, die Wurzel der Subjektivität, der intellektuellen Welt, der Weg zur Wahrheit«. Diese Einsichten motivierten ihn dazu, offen für die bürgerlichen Rechte der Juden einzutreten.

Einen Ausdruck dieser Haltung findet sich in Ergänzungen zum Paragrafen 270 seiner Rechtsphilosophie, in dem es um die staatsrechtliche Rolle der Religion geht.

Als früher Denker des modernen Nationalstaates schrieb er: »So formelles Recht man etwa gegen die Juden, in Ansehung der Verleihung selbst von bürgerlichen Rechten gehabt hätte, indem sie sich nicht bloß als eine besondere Religionspartei, sondern als einem fremden Volke angehörig sehen sollten, so sehr hat das aus diesen und anderen Gesichtspunkten erhobene Geschrei übersehen, daß sie zuallererst Menschen sind und daß dies nicht nur eine flache, abstrakte Qualität ist.«

Vorlesung Damit erweist sich Hegel als Vorreiter dessen, was schon früh in der Französischen Revolution proklamiert wurde und heute in westlichen Kulturen beinahe als selbstverständlich gilt: der Menschenrechte. Bekanntlich wird das Postulat vom »Recht auf Rechte« Hannah Arendt zugeschrieben, tatsächlich aber war es bereits Hegel, der diesen Ausdruck prägte. In der Mitschrift seiner Vorlesung von 1819/20 zur Rechtsphilosophie ist es zu finden: »Das absolute Recht ist, Rechte zu haben.«

Der Philosoph war ein Vorreiter der Menschenrechte. Daher verwundert es nicht, dass Hegel auf junge jüdische Intellektuelle wie Heine, der seine Vorlesungen in Berlin hörte, eine ganz besondere Anziehungskraft ausübte.

»Mahomet« Voller Bewunderung erkannte der Dichter in ihm ein Gegenstück zum Begründer des Islam – er nennt ihn »Mahomet«, der ja ebenfalls das Judentum als Volk des Buches gelobt hatte. »Wie der Prophet des Morgenlandes sie ›das Volk des Buches‹ nannte«, so hat sie der Prophet des Abendlandes [nämlich Hegel] in seiner Philosophie der Geschichte als das »Volk des Geistes« bezeichnet.

Ihren wohl deutlichsten Ausdruck fand Heines Bewunderung in einem 1844 publizierten Gedicht:

»Schlage die Trommel und fürchte dich nicht, und küsse die Marketenderin!
Das ist die ganze Wissenschaft,
Das ist der Bücher tiefster Sinn.
[….]
Das ist die hegelsche Philosophie,
Das ist der Bücher tiefster Sinn!
Ich hab sie begriffen, weil ich gescheit, Und weil ich ein guter Tambour bin.«

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