Dieser Blick. Neugierig, beobachtend, spähend, lauernd lugt das stilisierte Auge den Betrachter durch die schützende Hand zwischen dem gespreizten Mittel- und Ringfinger hindurch an.
Mit seinem detailreduzierten Farbaquarell »Durch die Hand geschaut« manifestiert sich der Maler Jankel Adler (1895–1949): künstlerisch bei seiner Suche nach einer eigenen Formensprache fern vom Figürlichen. Und gleichzeitig gibt er ein religiöses, ein jüdisches Bekenntnis mit der Verwendung des Priestersegens ab. Im Spannungsfeld zwischen Vertreibung und Wunsch nach Kontakt spiegelt die 1935 entstandene »Kohen-Hand« die Zerrissenheit des damals 40-jährigen Malers wider, der seit zwei Jahren im Exil lebte.
sammlung Das Von der Heydt-Museum in der Wuppertaler Innenstadt rückt mit der Ausstellung Metamorphosen des Körpers das grafische Werk von Jankel Adler, der eigentlich Jakub mit Vornamen hieß, »ins Zentrum und setzt es in Beziehung zu den Arbeiten aus der Sammlung des Museums«.
Es knüpft damit an eine umfassende Retrospektive über das Schaffen des jüdischen Künstlers aus dem Jahr 2018 an, bei der sein Œuvre bereits einmal im Kontext von Künstlerkollegen, Weggefährten und Vorbildern wie Pablo Picasso, Paul Klee, Hans Arp und Franz Wilhelm Seiwert präsentiert wurde.
Adler zeichnet aus, dass er mit feinem Strich präzise und detailliert die Realität des Gesehenen wiedergibt, gleichzeitig aber, wie seine Skizzen belegen, aus dem Figürlichen ausbricht und neue, geometrische Formen sucht. Er arbeitet mit Brechungen – auch der Sehgewohnheiten – und sucht experimentell seine eigene künstlerische Linie. Ein Progressiver, der enge Beziehungen zu den Kölner und Düsseldorfer Vertretern dieser Kunstrichtung der 20er-Jahre pflegte.
Mit der segnenden Hand der Kohanim gibt Jankel Adler ein religiöses Bekenntnis ab.
Adler wurde im Juli 1895 als Sohn einer vielköpfigen chassidischen Kaufmannsfamilie in der damaligen russischen, heute polnischen Ortschaft Tuszyn geboren. Mit 14 Jahren folgte er den Geschwistern zuerst ins Rheinland, später ins Bergische Wuppertal, wo er 1916 an der Kunstgewerbeschule sein Studium begann. Dort gehörte er zu den Mitgründern der Künstlervereinigung »Die Wupper«, die engen Kontakt zu den rheinischen Avantgardisten pflegte.
kriegsende Nach Kriegsende 1918 und Polens Unabhängigkeit reiste er nach Lodz und wurde dort Mitbegründer der Vereinigung jiddischer Künstler und Literaten, »Jung Jiddisch«. Links, jüdisch, libertär orientierte er sich politisch wie in seinen Bildern, weg von Festgefügtem, Autoritärem, Dogmatischem.
Nach der Machtübernahme der Nazis 1933 floh Adler, der vom Regime zum »entarteten Künstler« erklärt wurde, nach Paris, zeitweise lebte er in Warschau. Vom deutschen Überfall auf Frankreich wurde er an der Côte d’Azur überrascht, wo er sich freiwillig zur polnischen Armee meldete, mit der er nach Großbritannien evakuiert wurde. In Schottland fand der jiddische Progressive eine neue Heimat.
Der Mensch stand für Jankel Adler auch weiterhin im Mittelpunkt seines Schaffens – der Körper, den er in seinen Grafiken und Gemälden einer Metamorphose unterzog, zum Teil radikaler verfremdet. Die Dekonstruktion ermöglichte ihm, das Figürliche auf das Wesentliche seiner Beobachtung zu reduzieren und damit ausdrucksstark zu präzisieren. »Ich glaube, jeder Maler muss, wenn er malt, davon überzeugt sein, dass das, was er tut, Realität ist«, zitiert ihn das Museum am Ausgang der Ausstellung.
Else Lasker-Schüler nannte Jankel Adler, nachdem er sie porträtiert hatte, den »hebräischen Rembrandt«.
Zu den Gemälden, die das Museum bei der ersten Werkschau von Adler schon besaß, gehörte auch das Porträt von Else Lasker-Schüler, deren Gesicht in feinem Pinselstrich im Stil Alter Meister der spanischen Malkunst ausgearbeitet ist und das dennoch die Zeichen deformierender und dekonstruierender Formen zeigt.
Sicher ein Meisterwerk des Künstlers, der die jüdische Literatin aus gemeinsamen Zeiten in Barmen kannte, wo Lasker-Schüler geboren wurde und Adler wohnte. Else Lasker-Schüler nannte Jankel Adler, nachdem er sie porträtiert hatte, den »hebräischen Rembrandt«.
KONVOLUT Die Adler-Ausstellung von vor vier Jahren eröffnete dem Von der Heydt-Museum die Möglichkeit, ein großes künstlerisches Konvolut von 548 Lithografien, Radierungen, Gouachen, Zeichnungen sowie vier Ölgemälden in Großbritannien zu erwerben, wo Adler 1949 verstorben war.
Nach dem Ankauf ordnete und katalogisierte die Kunstwissenschaftlerin Kateryna Kostiuchenko das Werk des Künstlers. »Die Erwerbung ist für das Museum von besonderer Bedeutung, besonders bezüglich der Werke der Künstlervereinigung ›Junges Rheinland‹«, betont Kostiuchenko.
Eine repräsentative, thematisch geordnete Auswahl des Werks Adlers präsentiert jetzt das Museum noch bis Ende August und stellt 112 Werke aus, davon 72 Grafiken und zwei Gemälde Adlers, die Neuerwerbungen sind. Dazu kommen künstlerische »Gegenüberstellungen« in Form von 22 Arbeiten anderer Künstler seiner Epoche.
schoa Beeindruckend und bedrückend zugleich war seine Auseinandersetzung mit der Schoa. Erst nach 1945 erfuhr Jankel Adler, dass alle seine Geschwister in den Vernichtungslagern ermordet worden waren.
Seine Gouache-Skizzen aus einer Schlachterei mit den Tierkadavern verwandeln sich in die figürliche Abstraktion mit dem Titel »Treblinka«. Radikal malerisch reduziert auf das Tatsächliche: die NS-Vernichtungslager als ein Menschenschlachthaus.
Die Ausstellung »Jankel Adler: Metamorphosen des Körpers« in Wuppertal ist noch bis 28. August geöffnet.